Merken

Die Kirche und der Teufel

1976 starb die Studentin Anneliese Michel nach einem Exorzismus. Manche ziehen daraus ganz eigene Schlüsse.

Teilen
Folgen
NEU!
© dpa

Von Sebastian Kunigkeit

Würzburg. Eine epilepsiekranke Studentin, tief religiös und felsenfest überzeugt, von Dämonen besessen zu sein. Eltern, die von Medizinern keine Hilfe mehr erwarten. Und ein Bischof, der einen Exorzismus genehmigt, also eine Austreibung des Bösen mit Gebeten und Handauflegung. Am Ende ist die 23-jährige Anneliese Michel aus dem fränkischen Klingenberg tot. Der Fall löste harsche Kritik an der katholischen Kirche und eine Debatte über ihre Riten aus. Fast 40 Jahre später ist er nun erstmals wissenschaftlich aufgearbeitet worden.

Anneliese Michel starb am 1. Juli 1976 an den Folgen extremer Unterernährung, sie wog nur noch 31 Kilogramm. Während der Monate, in denen der Salvatorianerpriester Arnold Renz und der Pfarrer Ernst Alt 67 Mal den Exorzismus vollzogen, hatte sie zunehmend das Essen verweigert. Ihre strenggläubige Familie und die Geistlichen, die sie abgeschottet und keinen Arzt gerufen hatten, wurden wegen fahrlässiger Tötung zu Bewährungsstrafen verurteilt.

Die Doktorarbeit der Würzburger Historikerin Petra Ney-Hellmuth zeigt, wie verschieden die Reaktionen ausfielen. Während Kirchenkritiker das Vorgehen als „mittelalterlich“ werteten, sahen traditionalistische katholische Kreise den Fall als Beleg für Besessenheit und die Realexistenz des Teufels. Sie instrumentalisierten ihn als Argument gegen die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Noch heute kursieren die Tonbandaufnahmen der „dämonischen Botschaften“ aus dem Mund der Studentin im Internet. „Das spielt sich überwiegend in einer Art Suböffentlichkeit ab“, sagt Ney-Hellmuth.

Sie stützt sich auf bislang gesperrte Akten aus dem Würzburger Diözesanarchiv, darunter eine Pressedokumentation, interne Unterlagen sowie Briefe an Bischof Josef Stangl, in denen dieser zum Teil wüst beschimpft wird. Außerdem wertete sie Unterlagen der Staatsanwaltschaft und Gerichtsakten aus.

Anneliese litt über Jahre unter Krampfanfällen und berichtete von „Fratzen“. „Die Diagnose einer Epilepsieerkrankung (...) ist weder von Anneliese noch von ihrem direkten Umfeld jemals akzeptiert worden“, schreibt Ney-Hellmuth. Stattdessen habe die Familie Zuflucht in einer religiösen Deutung der Symptome gesucht und damit Annelieses Überzeugung, besessen zu sein, bestärkt. (dpa)