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Die Kamenzer Nord-West-Passage

Die Innenstadt soll vom Verkehr entlastet und das Industriegebiet schneller angefahren werden. Der Kreis geht voran.

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© René Plaul

Von Frank Oehl

Kamenz. Die „Nordwestpassage“ ist in die Geschichte eingegangen. Als infrastrukturelle Herausforderung der Menschheit. Sie bezeichnet den 5780 Kilometer langen Seeweg nördlich des amerikanischen Kontinents, der den Atlantischen mit dem Pazifischen Ozean verbindet. Manch Abenteurer hat dort sein Leben gelassen. Deutlich leichter dürfte hingegen eine kommunalpolitische Aufgabe gelöst werden, die ab jetzt „Nord-West-Umfahrung“ der Stadt Kamenz heißen soll. Der Kreistag wird sich am Montag näher damit befassen.

© SZ-Grafik

Es gibt nämlich bereits eine Machbarkeitsstudie, und das kam so: Eigentlich wollte sich das Landratsamt „nur“ um eine bessere Ortsdurchfahrt auf den kreiseigenen Straßen in Brauna und Liebenau kümmern und sprach deshalb in Schönteichen vor, das von Kamenz aus mitverwaltet wird. Im roten Rathaus gingen alle Lampen an: „Sollten wir nicht gleich eine direkte Zufahrt aus Richtung Königsbrück zum Industriegebiet Bernbruch-Nord ins Auge fassen?“ Diese Frage steht nicht erst seit der Daimler-Investition, aber nun umso mehr. Der Landkreis ist sofort angesprungen, erst beförderte Steffen Domschke das Thema und mittlerweile ist es die Kamenzerin Birgit Weber, die als Beigeordnete des Landrates auch für die Straßen- und Tiefbauplanung verantwortlich ist.

Die Zeit drängt

Allerdings zunächst nur für Kreisstraßen. Die Nordwestpassage an Kamenz vorbei berührt aber letztlich zwei Staatsstraßen. Birgit Weber: „Wir wollen den Anschluss zur Umgehungsstraße S 94 herstellen. Über eine verlegte S 100 wäre die Umfahrung der Stadt im Norden komplett.“

Die Vorteile mit Blick auf die Industrieansiedlung liegen auf der Hand und haben auch im sächsischen Wirtschaftsministerium eingeschlagen. „Im Ergebnis wird die Notwendigkeit der Einstufung des Vorhabens als wichtige Verkehrsverbindung eingeschätzt und eine Aufnahme in den neuen Landesverkehrsplan beantragt.“ So steht es in der Beschlussbegründung für den Kreistag am nächsten Montag. Allerdings kann der Landesverkehrsplan auch ein sehr geduldiges Papier sein, wie man am langwierigen Radwegebau zwischen Kamenz und Pulsnitz sieht.

Bei Daimler aber geht es am 22. Mai mit der Grundsteinlegung für die neue Produktionshalle zügig weiter. Schon jetzt wird die Zufahrt über Liebenau viel genutzt, insofern die Laster unter der Eisenbahnbrücke durchpassen. Etwa 2 500 Autos fahren täglich über die viel zu schmalen Dorfstraßen im Nordwesten der Stadt. Und was schon jetzt auf den durchaus gut ausgebauten Straßen in Kamenz los ist, wurde erst vor ein paar Tagen im Ratssaal thematisiert, als sich eine Bürgerinitiative gegen den Verkehrslärm auf der Nordstraße präsentierte, die ja auch für die Oststraße mitspricht. Das heißt: Die Zeit drängt.

Auch aus diesem Grund wird dem Kreistag jetzt vorgeschlagen, dass das Landratsamt die weitere Planung im Auftrag des Freistaates für die Umfahrung übernehmen möge. Birgit Weber: „Es geht um eine vorgezogene Planung im regionalen Interesse, die in einem überschaubaren Zeitraum umgesetzt werden muss.“ Das heißt, der Kreis geht in Vorleistung bis zur Vorentwurfsgenehmigung. Das Land übernimmt die Planungs- und Baukosten und zahlt außerdem eine Verwaltungskostenpauschale an Bautzen. Was soll der Kreistag am Ende dagegen haben?

Europaweite Ausschreibung

Bisher – siehe oben – gibt es nur eine Machbarkeitsstudie, die aber schon recht detailliert ist. Die Verlegung der S 100 soll am Abzweig nach Liebenau am Vogelberg beginnen. Mit einer neuen vierarmigen Kreuzung oder auch einem Kreisverkehr würde ein Unfallschwerpunkt verschwinden, der im spitzen Winkel des Abzweiges begründet liegt, wie es schon mancher Kraftfahrer, der auf die S 100 wollte, leidvoll erfahren hat. Dann geht es in kurzer, geschwungener Linie (siehe Grafik) über das oder unter dem Bahngleis Kamenz-Cunnersdorf durch und übers Schwosdorfer Wasser auf relativ kurzem Wege zum Kreisverkehr in Bernbruch.

Bis dort sind es nur 2,1 Kilometer, und mit den zwei Brückenbauwerken belaufen sich die Gesamtkosten auf etwa fünf Millionen Euro. In dieser Summe ist auch die Aufrüstung der Straße an Sachsenfahnen vorbei und die Anbindung der neuen S 100 (mit Abbiegespur) an die S 94 enthalten. Wenn der ganze Abschnitt hochgestuft ist, verläuft die neue S 100 dann gemeinsam mit der S 94 bis Miltitz, wo sich beide wieder trennen.

Die Umsetzung freilich wird trotzdem dauern. Sie ist zum einen an eine europaweite Ausschreibung gebunden, die der Landkreis im Namen des Freistaates vornehmen wird. Und auch die Planung muss beim zu erwartenden Gesamtleistungsumfang ausgeschrieben werden. Birgit Weber: „Sie soll 2019 vorliegen, woran sich ein mindestens zweijähriges Planfeststellungsverfahren anschließt.“ Das heißt: Vor 2022 wird die Kamenzer Nord-West-Umfahrung wohl kaum fertig sein. OB Roland Dantz freilich hofft, dass es doch schneller geht. „Die Innenstadt braucht die Verkehrsentlastung dringend.