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Die Iren sind da

Nach Fast Food etabliert sich nun Fast Fashion: Wie kein anderer Textilhändler setzt Primark auf billige und schnelle Mode. Das lockt Konsumenten in Scharen an. Der Verkaufsstart in Dresden aber war eher mau.

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© Sebastian Willnow

Von Andrea Schawe und Ulrich Wolf

Enttäuschung ist für sie ein Fremdwort. Sie würde es nicht in den Mund nehmen, erst recht nicht an diesem Tag. Heute zählt nur Enthusiasmus. Den muss Breege O’Donoghue rüberbringen. Dazu ist die Vorstandsfrau der Textilkette Primark extra von Dublin nach Dresden gekommen. Als sie eine halbe Stunde vor der Eröffnung ihrer ersten Filiale in Ostdeutschland ans Rednerpult tritt, jubeln die Mitarbeiter.

Mit Transparenten und einer Kleidertauschbörse protestierten mehrere Organisationen gegen Konsumrausch und Wegwerfmode in der Dresdner Innenstadt.
Mit Transparenten und einer Kleidertauschbörse protestierten mehrere Organisationen gegen Konsumrausch und Wegwerfmode in der Dresdner Innenstadt. © Sebastian Willnow
Stephanie und Nora stehen nach zwei Stunden Warten in der ersten Reihe.
Stephanie und Nora stehen nach zwei Stunden Warten in der ersten Reihe. © Sebastian Willnow
Vorstandsfrau Breege O’Donoghue arbeitet bei Primark seit 36 Jahren.
Vorstandsfrau Breege O’Donoghue arbeitet bei Primark seit 36 Jahren. © Sebastian Willnow

Breege, die hier von allen nur Brietsch gerufen wird, ist 70. Sie trägt schwarze Highheels, eine enge schwarze Lederhose, einen weißen Parka mit Fellkragen. Die roten Haare sind zum Dutt gesteckt. „Guten Morgen alles“, ruft sie. „Morning Breege“, schallt es zurück. Die Mitarbeiter wedeln mit türkisfarbenen Luftballons. Türkis ist die Hausfarbe von Primark, sogar die Wasserflaschen, die Buttercremetorte und die Marzipanschnittchen für die Ehrengäste tragen Türkis.

„Bei uns gibt es keine Schnickschnacks“, sagt Breege. „Yeah“, tönt es zurück. „Wir sind ährlisch, fleißig, loyal, schnäll, ehrgeizisch.“ „Yeah.“„Aus die Kleiderbügel machen wir Druckpatronen, we are Trendsetter.“ „Yeah.“ „We love unsere Kunden, die wenig zahlen und mehr bekommen.“ Großer Jubel. „Wie meine Jacke. Die ist von uns und kostet nur 30 Juros.“ Noch größerer Jubel.“ „Primark is in Dräsden gouldrichtig. Nun du, Bürgermeister.“ Frenetischer Applaus.

Dresdens Baubürgermeister Jörn Marx wirkt neben Breege so dynamisch wie ein Bettlaken. „So viel Begeisterung wünschte ich mir, wenn wir eine Straße oder Brücke eröffnen“, lautet sein bester Satz.

Um acht Minuten vor elf beginnen die Mitarbeiter mit dem Countdown. Schwarze Hosen, schwarze T-Shirts. Vorn ist ein rotes Herz gedruckt und die Aufschrift „I love Primark“, hinten prangen die Logos der Jugend: Facebook, Twitter, YouTube. Auf den Namensschildern stehen nur die Vornamen: Stephanie, Manuela, Carolin, Khaled, Jessy, Jesper, Tim, Andy und so weiter. 80 Prozent der insgesamt 597 Filialmitarbeiter sind Frauen, die Hälfte war zuvor arbeitslos, nur ein Fünftel ist vollzeitbeschäftigt. 31 von ihnen arbeiten heute zum ersten Mal. Mit „ganz viel Spaß und Begeisterung“ hätten sie das Abschlusstraining absolviert, sagt Petra Groth. Die Dame stellt sich als Head of People and Culture in Continental Europe vor. Man könnte auch sagen: Personalchefin.

Groth hatte für Dresden 2 000 Bewerbungen auf dem Tisch. Die, die sie ausgewählt hat, stammen aus 22 Nationen und haben 23 Chefs. Einer davon heißt Tobias. Seine Leute rufen ihn nur Tobi. Er ist vielleicht Ende 20, trägt einen schwarzen Anzug, rote Lackschuhe und einen Knopf im Ohr wie ein Bodyguard. Über Tobi steht in Dresden nur noch Hazel. Mit Nachnamen heißt sie O’Connor, ist 29 und besuchte im südirischen Cork eine Fachhochschule. „Ich bin seit sieben Jahren bei Primark“, sagt sie. Vor Dresden war sie Filialleiterin in Karlsruhe. „Der Store hier ist größer, das ist eine neue Herausforderung.“

Kein anderer Textilhändler wächst in Europa so schnell wie Primark. Dresden ist die sechzehnte Filiale in Deutschland, die Nummer 285 insgesamt. Das Unternehmen, das einer kanadisch-australischen Familiendynastie gehört, beschäftigt 58 000 Menschen, macht 6,2 Milliarden Euro Umsatz. Von jedem Euro bleiben 13 Cent Gewinn übrig – im Textileinzelhandel ist das eine Traumrendite.

„Wir sind besessen vom Preis-Leistungs-Verhältnis“, sagt Deutschland-Chef Wolfgang Krogmann. Der Zweimetermann zeigt auf seine Krawatte. „Die kostet nur fünf Euro, ist natürlich von Primark.“ Es sei nun mal das Konzept des Hauses, viel Ware zu geringen Preisen zu verkaufen. „Um unsere Ziele zu erreichen, müssen wir Masse machen.“ Dann bringt der 58-Jährige das Beispiel von den Socken: „Wenn wir alle unsere bislang verkauften Strümpfe auf eine Leine hängen würden, dann reicht die einmal rund um den Globus.“

Primark setzt auf Kampfpreise, um Konkurrenten zu unterbieten und Kunden in die Läden zu locken. Zur Eröffnung der Filiale in Köln strömten 25 000 Menschen, in Stuttgart waren es 10 000, in Krefeld 6 000. In Dresden kommen an diesem Donnerstag immerhin 2 000, deutlich weniger als erwartet. Während anderswo vor allem junge Frauen stundenlang vor der Eröffnung ausharrten, finden sich in Dresden um halb neun gerade einmal zwei Neugierige. Stephanie und Nora sitzen auf den kalten Gehwegplatten vor der noch geschlossenen Centrum-Galerie. Sie sind enttäuscht. „Ich dachte, hier ist mehr los“, sagt die 23-Jährige, die extra aus dem Erzgebirge angereist ist. „Ich bin so früh gekommen, weil es sonst die Klamotten in meiner Größe nicht mehr gibt.“

Zweieinhalb Stunden warten die beiden, dann stehen sie in der ersten Reihe vor den riesigen Aluminium-Rollos der Filiale. Primark-Leute verteilen anthrazitfarbene Gaze-Einkaufstaschen. Während drinnen Breege auf Touren kommt, will hier draußen keine rechte Partystimmung aufkommen. Daran können auch die jungen Frauen in den gelben Pooh-der-Bär-Kostümen nichts ändern. Sie gehen die Warteschlange auf und ab, verteilen „I-love-Primark“-Bonbons an die überwiegend weibliche und jugendliche Kundschaft.

Drinnen, nach Breeges Rede, bilden gut 50 Mitarbeiter ein Spalier. Sie tuscheln. „Wo war noch mal der Feuerlöscher?“, fragt eine. „Frag' den Tobi“, kommt zur Antwort. „Alle, die heute ohnmächtig werden, musst du aber beatmen“, sagt die, die nach dem Feuerlöscher gefragt hat.

Um Punkt elf fahren die Rollos lautlos nach oben. Eher verlegen schieben sich die ersten Kunden durch das klatschende Spalier. Zwei Jungs, vielleicht 14, 15 Jahre alt, stürzen fluchtartig auf eine Rolltreppe zu. Girlies kichern. Eine junge Frau drückt fest die Hand ihres Freundes und sagt: „Wir sind drin.“ Die überraschend zahlreichen Rentner staunen nur.

Möglich, dass Deutschland-Chef Krogmann enttäuscht ist angesichts des eher lauen Kundenstroms. Anmerken lässt er sich nichts. „Wir sind nach Dresden gekommen, um zu bleiben“, sagt er nur. In der Regel mietet sich Primark für zehn Jahre ein. Zumindest in Gelsenkirchen, Hannover, Essen, Saarbrücken und Dortmund gab es mietfreie Zeiten und Zuschüsse. Das soll auch in Dresden der Fall sein, eine Bestätigung dafür gibt es nicht. Auch zu Umbaukosten und Umsatzzielen wird geschwiegen. Dabei lässt sich aus dem Lagebericht 2012/13 des deutschen Primark-Geschäfts ableiten: Im Schnitt erlöste jede Filiale 51,5 Millionen Euro und machte 1,7 Millionen Euro Gewinn.

Der Aufwand, den die Iren in Dresden vor der Eröffnung betrieben hatten, glich dem zur Vorbereitung eines Popkonzerts. Gut 100 Sicherheitsleute, ein Korridor aus Absperrgittern von über 200 Meter Länge, Laufwege wie beim Sicherheitscheck am Flughafen. Rund 20 Mode-Blogger aus Spanien, Frankreich, Irland und England ließ man einfliegen. Die verbreiten Primark-Nachrichten im Internet, zum Beispiel dass mit „Farrell“ die erste Modemarke von Popsänger Robbie Williams in Dresden Weltpremiere hat.

Mit etwa 7 500 Quadratmetern ist Dresden die viertgrößte Primark-Filiale Deutschlands. 75 Umkleidekabinen, 68 Kassen, vier Rolltreppen und zwei Fahrstühle. Auf drei Etagen glitzern Schuhe, Shirts und Schals. In der Weihnachtsecke liegen Christmas-Jumper, das sind Pullover mit leuchtenden Rentieren. Die Jeans-Produkte sind farblich unterteilt, vermutlich für Menschen ohne Englischkenntnisse: Blau steht für „Ultra Soft Super Skinny“, Gelb für „Skinny“, Grün für „Boyfriend“ und Rot für „Jegging“. Insgesamt locken 10 000 Artikel: Der billigste ist ein Slip für einen Euro, der teuerste ein Paar Lederstiefel für 65 Euro. Auf den Innenlabels der Waren steht nicht, wo sie produziert wurden. „Das wird sich im nächsten Jahr ändern“, verspricht der Deutschland-Chef.

Fast alle westlichen Modehäuser lassen ihre Ware in den Billiglohnländern Asiens produzieren – vor allem in China, Indien und Bangladesch. Das Schicksal der Arbeiter dort rückte erst ins Bewusstsein, als im April vorigen Jahres ein illegal gebautes Fabrikgebäude in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka einstürzte. 1 127 Menschen starben, darunter 580 eines Primark-Zulieferers.

So etwas ruft Kritiker auf den Plan. Auch in Dresden. Direkt neben der Warteschlange halten drei junge Leute ein zehn Meter langes Transparent in die Höhe. „Unterstützt regionale, nachhaltige und faire Produktion“ steht auf dem Banner. Bullige Sicherheitsmänner verbannen den Protesttrupp nach draußen. Dort spielt ein DJ auf dem Dach eines hellblauen VW-Busses Musik von „Police“. Es sind vor allem Studenten, die die viele Chemie in den Primark-Produkten kritisieren. Die Wegwerfgesellschaft. Die Ausbeutung. Die Umweltverschmutzung. Ihre Kleidertauschbörse findet ein paar Dutzend Interessenten. Primark-Boss Krogmann zufolge kontrolliert der Konzern mit 50 eigenen Leuten regelmäßig alle 800 Lieferanten in Fernost. Die dürften keine Subunternehmer einsetzen. Krogmann: „Was wir da machen, ist richtig. Das sage ich aus voller Überzeugung und vollem Herzen.“

Wer auf Primark abfährt, den interessieren die Umstände im fernen Asien wenig. Primark-Fans sehen Textilien als beinahe alltäglichen Gebrauchsgegenstand an. „Die Kunden bekommen das Gefühl ‚Ich kann mir immer neue Mode kaufen‘“, sagt Peter Frank von der BBE-Handelsberatung. Den Iren gelinge es, niedrige Instinkte zu befriedigen. Marktforscher Ottmar Franzen stellt fest: „Die eher nicht so betuchten Primark-Kunden verlassen jede Filiale mit dem Gefühl, mal richtig mit Geld geprasst zu haben.“ Auf Facebook mögen 3,4 Millionen Menschen Primark. Der firmeneigene Internetauftritt heißt „Primania“. Im Lagebericht des Konzerns heißt es: „Mit großem Mengenangebot in besten Verkaufslagen und Einzigartigkeit in den Produkten bietet auch der Onlinehandel keine Konkurrenz für Primark.“

Unter mangelndem Selbstbewusstsein leiden die Iren offensichtlich nicht. Auch wenn sich weder das Management der Centrum-Galerie noch Primark selbst in der Lage sahen, die Zahl der Kunden bis zum frühen Abend zu beziffern.

Den ersten Umsatz machte übrigens Kathy. Um exakt 11.18 Uhr. An der Kasse sechs im Erdgeschoss kassiert sie um diese Zeit eine recht korpulente Mittzwanzigerin aus Pirna ab. Deren Einkauf besteht aus zwei Schals (einmal weiß mit Glitzer, einmal kariert), zwei Pullovern (weiß und schwarz, synthetisch), einem Rock (knielang) und einer Handtasche (pinkfarben). Kostenpunkt: 92 Euro.