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Die Hüter der Schätze

In Deutschland gibt es nur noch eine Manufaktur für Schmuckschatullen, und die ist im Erzgebirge zu Hause. Die Sacher GmbH beliefert mit ihren Kartons auch Luxuskonzerne weltweit, weil ihr Gründerin keine Angst vor großen Namen und ein gutes Gespür hat.

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© Thomas Kretschel

Von Ines Mallek-Klein

Das tannengrüne Etui ist fast so groß wie ein DIN-A4-Blatt. Innen mit beigefarbenem Samt ausgeschlagen und außen mit Kunstleder überzogen. Eine Ordensschatulle, wie sie schon viele die Sacher GmbH aus Annaberg-Buchholz verlassen haben. Und doch ist sie besonders, nicht nur wegen ihrer imposanten Größe. Der Auftraggeber war Muammar al-Gaddafi. Der libysche Staatschef schmückte nicht nur gern sich selbst, sondern auch seine Getreuen. Der Auftrag war eine echte Herausforderung, erinnert sich Gerhild Sacher, die als Namensgeberin, Gründerin, Gesellschafterin und Geschäftsführerin in Personalunion bei der Sacher GmbH fungiert. Die von Libyen bestellte Schatulle hatte abgerundete Ecken, die mit dem grünen Kunstleder bezogen werden mussten. Faltenfrei. Da war Handwerkskunst gefragt, so Gerhild Sacher. „Unsere Mitarbeiter haben geweint“, erinnert sie sich. Doch am Ende war, wie immer, alles gut. Die Ordensschachteln wurden termingerecht und makellos geliefert.

Mit feinster Seide ausgeschlagen ist dieses Nähkästchen, das zum umfangreichen Fundus der Firma Sacher gehört.
Mit feinster Seide ausgeschlagen ist dieses Nähkästchen, das zum umfangreichen Fundus der Firma Sacher gehört. © Thomas Kretschel

Es ist dieser Qualitätsanspruch, mit dem sich die Sacher GmbH aus Annaberg am Markt behauptet, und das nun schon seit 26 Jahren.

Die Geschichte des Herstellers von Feinkartonagen und Schmuckkästchen reicht aber viel weiter zurück. 1846 gründete Johann Georg Adler, Sohn eines Bauern und selbst gelernter Buchbinder, die Firma Adler und fertigte Musterkarten für die Posamentenindustrie. Die geriet aber schon wenig später in die Krise. Johann Georg Adler musste sich eine Marktlücke suchen und fand sie in der Herstellung von hochwertigen Feinkartonagen. Die wurden bis dato fast ausschließlich in Paris gefertigt. Deutsche Hände seien viel zu grob für solche Kunstwerke, behauptete ein Autor der Leipziger Zeitung damals und prophezeite Adler den schnellen Konkurs.

Es kam anders. Das Geschäft florierte. Adler beschäftigte zeitweise bis zu 700 Leute in Buchholz und baute das Firmengebäude an der Mühle, stockte es schrittweise auf, sodass heute 1400 Quadratmeter Produktionsfläche zur Verfügung stehen. Dass das Firmengebäude heute Gerhild Sacher gehört, ist weniger wirtschaftlich erfolgreichen Zeiten in den 1920er-Jahren geschuldet. Die Nachkommen des Gründers gaben mehr Geld aus, als sie einnahmen. Im Zuge einer Insolvenz wurde das Gebäude aus dem Firmenbesitz herausgelöst und konnte 1991 von Gerhild Sacher von der Treuhand gekauft werden. Sie hat 1986 als Exportleiterin in dem Unternehmen begonnen. Es war inzwischen enteignet worden und fertigte aus feinem Leder Schmuckkästchen und Maniküre-Etuis. Die Waren gingen fast ausschließlich in das nichtsozialistische Ausland, waren dort begehrt und brachten gute Devisen.

Der Absatz war nicht das Problem. Eher schon die Materialbeschaffung. Gerhild Sacher zeigt ein Etui für Mokkalöffel in wenig ansehnlichem Dunkelbraun. Die Nachahmung von Krokodilleder macht das Kästchen nicht hübscher. „Mit solchen Stücken bin ich noch 1988 auf Messen gefahren. Die westdeutschen Einkäufer waren entsetzt. So etwas hatten wir nach dem Krieg, raunzten sie mich an“, erinnert sich die Geschäftsführerin. Ideen für schöne, neue Produkte gab es längst, aber Kartonagen waren knapp, und Leder erst recht.

Nach der Wende 1990 stand Gerhild Sacher vor der Wahl: Entweder sie übernimmt neben dem Export auch die Verantwortung für Einkauf und Produktion, oder sie stellt sich beim Arbeitsamt in die Schlange. Gerhild Sacher wählte den Sprung ins kalte Wasser und gründete mit 14 weiteren Mitarbeitern ihr Unternehmen. Starthilfe gab ein finanziell potenter Mitgesellschafter. Die Wege trennten sich aber bereits 1993 wieder. „Wir hatten einfach zu unterschiedliche Auffassungen“, sagt die Unternehmerin, ohne Wehmut und ohne Groll.

Danach kamen sie immer wieder, die Experten, die zu einer Verlagerung der Produktion nach Osteuropa oder Asien rieten. Gerhild Sacher widerstand. Sie setzt auf Flexibilität und auf Qualität. „Beides funktioniert nur mit unseren Beschäftigten hier vor Ort“, sagt sie. Gut 25 Mitarbeiter sind es mittlerweile. Es wird langsam eng in dem historischen Gebäude. Erweiterungen sind nötig und Platz dafür ist da, nachdem ein von der Treuhand zwangsläufig mitübernommenes Heizhaus und ein 40 Meter hoher Schornstein längst abgerissen sind.

Aber um diese Modernisierungen wird sich vorrangig Sohn Ulf kümmern. Der Betriebswirtschaftler war erst Personalchef bei einem großen Automobilzulieferer, bevor er vor fünf Jahren in das elterliche Unternehmen kam. „Meine besten Zeiten sind vorbei, jetzt muss die Nachfolgegeneration ran“, sagt Gerhild Sacher. Sie wird weiter Geschäftsführerin bleiben und wichtige Kunden betreuen. Aber den Weg in die neue digitale Welt, den soll Ulf Sacher ebnen.

Und so halten auch immer mehr Maschinen Einzug in die Manufaktur. Die Kartonagen werden mit ihrer Hilfe kaschiert, gestanzt, bedruckt und teilweise gefaltet. Die Endfertigung bleibt aber, was sie immer war, Handarbeit.

Sacher würde die Kundenliste niemals preisgeben. Nicht wenige Abnehmer verlangen eine Verschwiegenheitserklärung. Doch ein Gang durch das Musterzimmer offenbart Beeindruckendes. Da stehen mit schwarzem Leder bezogene Schatullen mit Parfüm von Gucci. Da gibt es Kartons für Meissener Porzellan, und auch eine Edelmodekette, die ihre Produkte gerne in knalligem Orange präsentiert, lässt die Kartons in Annaberg-Buchholz fertigen. Wie wird man als sächsischer Mittelständler Lieferant von weltweit agierenden Luxuskonzernen?

„Indem man zuverlässig und flexibel ist, zugleich auch höchste Qualitätsanforderungen erfüllt“, sagt Gerhild Sacher. Und eines sei ganz entscheidend. Man müsse die Seele des Produktes verstehen, das verkauft werden soll. „Unsere Verpackung ist immer nur die Hülle. Sie darf dem Produkt nicht die Show stehlen, muss aber natürlich die Wertigkeit der Marke verkörpern“, sagt Gerhild Sacher. Eine Gratwanderung, die sie und ihr Team offenbar perfekt meistern. Denn auch Luxusuhrenhersteller aus Glashütte schwören auf die Verpackungskünstler aus Annaberg. Ihr Anspruch ist ganz einfach: „Unsere Kisten müssen so schön sein, dass man sie nicht wegwerfen möchte“, sagt Ulf Sacher. Dass das Firmenlogo Sacher auf den edlen Kartonagen, die wahlweise auch mit Leinen überzogen und mit Goldprägung versehen sind, nie auftaucht, grämt die Unternehmer nicht.

Dafür gibt es mit der Schmuckkastenfertigung das zweite Standbein von Sacher. Das Unternehmen ist der einzig verbliebene Produzent in Deutschland. Alle anderen haben ihre Produktion verlagert. Die Schmuckschatullen werden allesamt in Handarbeit gefertigt. Sie unterscheiden sich in Größe und Aufteilung. Der Ferrari unter den Modellen ist mit rotem Leder bezogen und wurde in Kooperation mit Wempe entwickelt. Zahlreiche Fächer und Einschübe bieten Platz für Ringe, Ketten, Armreifen oder Ohrschmuck. Die Designs entwirft Gerhild Sacher von Anfang an selbst. Seit fünf Jahren bringt auch der Juniorchef seine Ideen mit ein. Da gibt es die Klassiker in Schwarz, die kleinen Kofferimitationen in Champagner-braun oder die Eyecatcher mit Rot, Grün und Silber.

Früher waren Schmuckkästchen Geschenkartikel. Heute kauft Frau oft selbst, um ihre Schätze geordnet zu hüten. Der Korpus der Schmuckschatullen besteht immer aus Kartonagen. Er wird mit seidigen Stoffen ausgeschlagen und mit Leder beklebt. „Wir nähen hier auch, aber nur zur Zierde. Das unterscheidet uns maßgeblich von einer Taschenmanufaktur“, sagt Gerhild Sacher.

Es ist hektisch in diesen Tagen in der Manufaktur. „Wir arbeiten auf Anschlag“, sagt die Chefin mit Blick auf das Weihnachtsgeschäft. Viele Kunden, darunter Juweliere oder Kaufhausketten wie Galeria Kaufhof, ordern immer kurzfristiger. In den Frühjahrs- und Sommermonaten bleibt Zeit für die Ordensschachteln. In mancher liegt dann das Bundesverdienstkreuz oder die Meritorious Service Medal, die bei multinationalen Einsätzen von US-Streitkräften an Offiziere verbündeter Armeen verliehen wird. Eine Schatulle aber liegt im Buckingham Palace bei der Queen. Die ist gefüllt mit kunstvoll bemaltem Porzellan für die Puppenstube, hergestellt von der Dresdner Porzellanmanufaktur Freital. Es sind eben immer Schätze, die kleinen und großen, die in den Sacher-Kästchen aufbewahrt werden.

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