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Die Holzmacher

Wenn sich ein Sturm ausgetobt hat, fängt für Forstfirmen der Stress an. Alle reißen sich um sie und ihre Maschinen.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Jörg Stock

Sächsische Schweiz/ Osterzgebirge. Einsteigen beim Chef. Er entschuldigt sich, muss erst mal Platz machen im Geländewagen, dicke Klamotten und das Futteral mit dem Gewehr beiseite räumen. Am Morgen war Sven Irrgang, Leiter des Forstbezirks Bärenfels, noch auf Jagd. Das hat mit Herwart zu tun. Nach dem großen Sturm fiel einen Monat lang praktisch kein Schuss im zerzausten Wald, weil es zu unsicher war und die Schadensaufnahme Vorrang hatte. Dabei ist jetzt Treibjagdsaison, die Chance im Jahr, des Wilds habhaft zu werden. Die Abschüsse nachzuholen, dürfte schwierig sein, sagt Irrgang. Aber man muss es wenigstens versuchen, damit nach Herwart nicht auch noch die Rehe und die Hirsche am Wald fressen.

Die Arbeit im Wald

Warnung vor dem Baum.
Warnung vor dem Baum.
Stämme werden behutsam aus der Fläche gezogen...
Stämme werden behutsam aus der Fläche gezogen...
... und verkaufstauglich zerteilt.
... und verkaufstauglich zerteilt.
Revierförster Maik Schumann mit demolierter Buche.
Revierförster Maik Schumann mit demolierter Buche.
„Sargdeckel“ im Eigenheimformat.
„Sargdeckel“ im Eigenheimformat.

Als der Orkan am letzten Oktobersonntag durch Sachsen pfiff, hat er 670 000 Kubikmeter Holz umgeschmissen, im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge schätzungsweise 133 000 Kubikmeter. Es war das schwerste Sturmereignis seit Kyrill 2007. Sven Irrgangs Forstbezirk hat es mit knapp 90 000 Kubikmetern Schadholz wieder mit am härtesten erwischt. Allerdings ist die Verwüstung deutlich moderater ausgefallen als vor zehn Jahren, als allein im Landeswald des Bezirks 150 000 Kubikmeter Holz umfielen. „Das war ein ganz anderer Sturm“, sagt der Forstmann.

Sven Irrgang steuert durch den Tharandter Wald, bei Kyrill am schlimmsten gebeutelt. Entwurzelte Bäume sieht man nur vereinzelt. Das ist gut, und auch wieder nicht. Die Schadstellen sind diesmal klein und weit verstreut. Die Förster müssen ihren Wald penibel mustern und jeden umgekippten Baum bergen, jedenfalls bis das Frühjahr da ist. Wird ein Baum vergessen, ist sich Irrgang sicher: Der Borkenkäfer findet ihn ganz bestimmt.

Ein Warnzeichen stoppt die Fahrt: Holzfällung. Lebensgefahr. Dahinter Flatterband und noch weiter hinten ein Rumoren, Poltern, metallisches Kreischen – die Geräuschkulisse roher Kraftentfaltung. Eine breite Kettenspur führt auf das Getöse zu. Sie gehört zu einem Harvester. Wie ein riesiges Insekt steht die Holzerntemaschine in der Botanik und angelt nach Baumstämmen. Die Vorderräder sind mit Stahlbändern überzogen, damit sich die Last besser verteilt. Der Weg ist erst mal hin. Aber den kann man reparieren, sagt Sven Irrgang, im Gegensatz zum Waldboden. Ist der erst mal zusammengequetscht, lässt sich nichts mehr machen.

Der Harvester gehört der Firma Lamm aus Oelsa. Das Unternehmen birgt im Auftrag des Forstbezirks Herwart-Holz aus der Niederung des Warnsdorfer Bachs. Thomas Lamm, der Juniorchef, überblickt den Arbeitsbereich. „Das arme Stück Wald“, sagt er. Eigentlich ist es gar kein Wald mehr. Die stattlichen Fichten, über hundert Jahre alt, liegen fast alle am Boden. In dem triefnassen Grund konnten sie kaum Wurzeln schlagen. Je höher sie wurden, je breiter ihre Krone wuchs, umso wackeliger wurden sie. Sie haben es Herwart leicht gemacht.

Die Förster wollten die Fichten ohnehin fällen. Aber nicht so schnell, so rabiat. Die Bäume sollten den neu gepflanzten Auenwald – am Wasser Erlen, im Hinterland Ahorne und Buchen – noch eine Weile schirmen. Nun sind die Beschützer mitten in ihre Schützlinge hineingestürzt, haben einige unter sich begraben. Das Herz blutet, wenn man sieht, dass ein Stück der Arbeit kaputt geht, sagt Sven Irrgang. Aber ein Gutteil der Bäumchen ist zu retten. Auch deshalb ist der Harvester hier.

Forstwirt Kay Hänel winkt in den Kommandostand der Maschine. Ja, sein Gerät sieht heute ein wenig aus wie ein Panzer, sagt er und grient. „Aber ich hab’ nichts zum Schießen.“ Seine Waffe ist das Aggregat am Ausleger, ein Multifunktionswerkzeug mit Krallen, Messern, Transportwalzen und Kettensäge. Normalerweise hat er damit einen Baum in weniger als einer Minute gefällt, entastet und in handelsübliche Rollen geteilt. Hier aber muss er auf die kleinen Bäumchen achten, muss die zwanzig Tonnen seines Geräts mit dem Gefühl von Fingerspitzen dirigieren.

Der Ausleger langt nach dem nächsten Stamm. Er liegt mitten in einem Trupp Buchennachwuchs. Ihn rausschleifen könnte Schaden machen. Also heben. Mit eisernem Griff packen die Krallen den Baum, hieven ihn empor. Die Maschine wankt unter der Last, der Motor brüllt. „Ist schon grenzwertig“, sagt Kay Hänel. Er legt den Baum auf dem Weg ab, fasst nach, schiebt die Stammspitze in den Wald gegenüber. Jetzt schnellt die Säge vor. In der schallgedämpften Kabine ist der Schnitt kaum zu hören. Nur die Späne sieht man stieben. Dann fällt die erste Holzrolle zur Erde.

Nach etwa drei Minuten liegt die Fichte, in sechs Abschnitte geteilt, zum Einsammeln bereit. 23 Meter war sie lang, meldet der Computer, Macht gut zwei Kubikmeter verkaufsreifes Holz. Schon greift die Maschine den nächsten Stamm. So geht das den ganzen Tag, sagt Hänel. Und die Tage sind lang, vor allem wenn man schnell vorankommen muss, die Maschine anderswo gebraucht wird. Da werden statt 100 Kubikmeter auch mal 400 durchgezogen. Meist ist Kay Hänel dabei allein mit sich und der Maschine. Zum Langeweilehaben kommt er trotzdem nicht. Voll konzentriert, vergeht die Zeit schnell. Und konzentrieren muss man sich, sagt er, etwa so wie ein Hubschrauberpilot – hat er mal gehört. „Man darf sich keinen Fehler erlauben.“

Ist der Sturm nun eine Goldgrube für die Forstfirmen? Thomas Lamm könnte darauf verzichten. Ihm wäre es lieber, wenn alles planmäßig abliefe. Stürme erzeugen bei den Waldbesitzern ein Hauen und Stechen um die Maschinen. Die Leute drehen durch, sagt er. „Jeder will der Erste sein.“ Irgendwie versteht er das ja. „Aber wir können auch nicht mehr als arbeiten.“

Was der Lammsche Harvester im Tharandter Wald an Holz aufarbeitet, wird in die Lausitz gebracht, ins Kodersdorfer Sägewerk der Schweighofer-Gruppe. Aus dem Runden wird dort „irgendwas Eckiges“, sagt Sven Irrgang. Ein Kubikmeter Fichtenholz üblicher Qualität bringt aktuell um die 90 Euro. Ein Preisverfall wegen Herwart sei nicht zu erwarten, heißt es bei Sachsenforst in Graupa. Die Preise in den für 2018 bereits abgeschlossenen Verträgen bewegten sich auf dem bisherigen Niveau.