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Die Hochzeitsreise muss warten

Nicklas Dietrich macht nach dem Aufstieg mit RB Leipzig ohne Pause als Fitnesstrainer der Nationalmannschaft weiter.

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© Kairospress/Th. Kretschel

Von Daniel Klein

Eigentlich hätte er jetzt Urlaub. Die Aufsteiger von RB Leipzig sind verreist, da muss auch der Athletik-Trainer nicht arbeiten. Eigentlich. Bei Nicklas Dietrich ist das anders, er hat noch einen Zweitjob bei der Nationalmannschaft. Während sich die Rasenballer also momentan am Strand oder in den Bergen erholen, wohnt der 33-Jährige gerade in Évian-les-Bains am Genfer See. Das klingt nur nach Urlaub.

„Ein bisschen neidisch bin ich schon auf die Leipziger Jungs“, gibt er zu. „Aber das Schicksal ist selbst gewählt, deshalb will ich nicht klagen.“ Vor allem seine Frau Carolin hätte allen Grund dazu. Vor einem Jahr hatten die beiden kirchlich geheiratet, die Hochzeitsreise musste erneut verschoben werden. „Die schulde ich meiner Frau noch“, sagt Dietrich. „Vielleicht suchen wir uns im Winter was.“ Bereits vor einem Jahr war die Pause kurz, blieben nur zwei Wochen für den Umzug von Mannheim nach Leipzig – Trauung inklusive.

Acht Jahre hatte er bei der TSG Hoffenheim als Athletiktrainer gearbeitet, sich von der U17 zu den Profis hochgearbeitet. Dann kam der Anruf von RB-Sportdirektor Ralf Rangnick. „Das war eine schwierige Entscheidung, die beiden Jahre unter Markus Gisdol mit Hoffenheim in der Bundesliga waren wunderbar. Rückblickend muss ich jedoch sagen: alles richtig gemacht.“

Die Familie, zu der noch Tigerdackel Pebbles gehört, hat sich längst eingelebt. Carolin arbeitet in der Geschäftsstelle von RB. Unter ihrem Mädchennamen Nytra holte die Hürdensprinterin 2010 EM-Bronze, nun möchte sich die 31-Jährige für ihre dritten Olympischen Spiele qualifizieren.

Auch die Ehefrau arbeitet bei RB

Es soll der Schlusspunkt sein unter ihre – zuletzt von Verletzungen gebremste – Karriere, danach steigt sie voll bei RB ein. „Da sie Leistungssportlerin ist, weiß sie, was es bedeutet, bei einer Fußball-EM dabei zu sein“, erklärt Dietrich. Von ihrer Zustimmung – und natürlich der seines Arbeitgebers – habe er abhängig gemacht, ob er das Angebot von Oliver Bierhoff annimmt.

In den Fokus des Nationalmannschafts-Managers geriet Dietrich durch ein Praktikum beim US-Fitnessanbieter Exos. Die Firma arbeitet seit 2004 mit dem DFB zusammen, es war eine der Neuerungen, die Jürgen Klinsmann eingeführt hatte und die zunächst belächelt worden waren. Exos empfiehlt noch immer die Fitnesstrainer für die Auswahl. Mit Yann-Benjamin Kugel, der beim 1. FC Köln angestellt ist, teilt sich Dietrich seit September die Arbeit mit der A-Nationalmannschaft. Beim EM-Turnier wird das Athletik-Team mit Exos-Gründer Mark Verstegen und Shad Forsythe, der nach dem WM-Titel vom DFB zu Arsenal London gewechselt war, verstärkt.

Im Mannschaftsquartier am Genfer See arbeitet das Quartett zumeist in kleinen Gruppen. Einer kümmert sich um die Angeschlagenen, einer konzentriert sich auf die Auswertung der GPS-Daten. Während des Trainings tragen die Spieler Sender um den Brustkorb, mit denen Körperfunktionen aufgezeichnet werden. „Der Athletik-Bereich genießt beim DFB seit Jürgen Klinsmann ein hohes Ansehen. Der Verband war da quasi ein Vorreiter für die Vereine“, findet Dietrich, der in Heidelberg und Karlsruhe Sportwissenschaft studiert hat. Dass es die deutsche Elf seit 2002 bei WM-Endrunden immer mindestens ins Halbfinale geschafft hat, lag sicher auch an der Fitness.

Dafür investiert der Verband einiges – nicht nur ins Personal. Neben dem Rasenplatz in Évian-les-Bains wurde ein Zelt aufgebaut, das einem komplett ausgestatteten Kraftraum gleicht. Das Fitnessprogramm ist dagegen ein eher minimalistisches. „Die Spieler kommen nach einer anstrengenden Saison in ihren Vereinen zu uns. Deshalb geht es bei uns in erster Linie um Regeneration und Frische, darum, die Form auf einem hohen Level zu halten“, erklärt er. Und dafür bräuchten die Profis Freiräume – zeitlich und örtlich. Sowie ein perfektes Umfeld mit Wohlfühlcharakter.

Das klingt fast nach Wellness. Woher kommt dann nur das Vorurteil, dass Athletiktrainer bei den Spielern in etwa so beliebt sind wie ein Muskelfaserriss? Dietrich schmunzelt und widerspricht: „Das war früher mal so.“ Treppenläufe auf Sprungschanzen und Sprints mit angehängten Autoreifen sind rar geworden und gehören in eine Zeit, in der die Fitnesstrainer aus anderen Sportarten kamen und ihr Programm 1:1 im Fußball umsetzten.

Einfache Übungen statt Firlefanz

Zwei Tage stupide Treppenläufe sind für den Neu-Leipziger nur Zeitverschwendung. „Fußballer werden in erster Linie besser, wenn sie Fußball spielen“, findet er. Seine Übungen hätten einzig das Ziel, das, was auf dem Platz passiert, zu unterstützen. Einfaches korrekt ausgeführt ist besser als komplizierter und trendiger Firlefanz.

Das gilt für die Auswahl, aber auch für RB. In der vergangenen Saison, als Rangnick noch Trainer war, glänzte er nach den Spielen oft mit Statistiken, wie viele Kilometer seine Mannschaft mehr zurückgelegt hatte als der Gegner. Die Vermutung liegt nahe, dass daran die Athletiktrainer einen großen Anteil hatten. Ein Irrtum, klärt Dietrich auf. Das RB-typische laufintensive Pressing werde beim normalen Training einstudiert. „Dadurch ist die Belastung höher als bei manch anderem Verein. Für den Athletikbereich gilt daher: Weniger ist manchmal mehr.“

Mit Kai Kraft, bei dem der Name quasi Programm ist, teilt sich Dietrich die Arbeit bei RB. Beide kennen sich aus Hoffenheimer Zeiten. Bis vor einem Jahr kümmerte sich Ex-Stabhochspringer Tim Lobinger um die RB-Profis, vergangene Saison nur noch um die U23, nun verlässt er den Verein.

Am 7. Juli ist beim Aufsteiger Trainingsauftakt, drei Tage vor dem EM-Finale. Dietrich hofft natürlich auf eine deutsche Beteiligung, hätte andererseits aber auch nichts gegen einige freie Tage. Egal wie es kommt – für eine Hochzeitsreise reicht es keinesfalls.