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Die Heimat bleibt

Adlige Familien kehren trotz Enteignung und Vertreibung in ihre Heimat zurück. Eine Ausstellung und ein Begleitbuch erzählen von ihren Schicksalen.

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Von Matthias Donath

Landkreis. Die Verfolgungen, Vertreibungen und Enteignungen des 20. Jahrhunderts haben viele Familienschicksale beeinflusst. Besonders prägend war die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie und aus anderen deutschen Siedlungsgebieten, etwa aus Böhmen oder Schlesien. Aufgrund der herrschenden Ideologien der „Arbeiter- und Bauernmacht“ wurde der Adel in vielen Teilen Ost- und Ostmitteleuropas zum Verlassen seiner angestammten Heimat gezwungen. In der Tschechoslowakei etwa wurden die Adligen, die sich zur tschechoslowakischen Nation bekannt hatten und deshalb von der Vertreibung verschont geblieben waren, dennoch ab 1948 enteignet. In Oberschlesien mussten auch jene adligen Grundbesitzer das Land verlassen, die nach 1922 die polnische Staatsbürgerschaft angenommen hatten.

Sachsen: Prinz zur Lippe

Ende des 18. Jahrhunderts wanderte ein Zweig der Grafen zur Lippe aus dem Fürstentum Lippe-Detmold nach Sachsen aus. Er erwarb bedeutenden Grundbesitz, darunter durch Erbschaft auch das Rittergut Proschwitz bei Meißen. 1945 flüchteten Clemens Prinz zur Lippe (1907-1996) und seine Frau Pauline (1912-2002) mit fünf Kindern in die amerikanische Besatzungszone. Den Rechtsanspruch auf das Rittergut Proschwitz übertrug er seinem jüngsten Sohn Georg. Im Sommer 1990 begann er, in Proschwitz ein eigenes Weingut aufzubauen. Er erwarb Rebflächen und schließlich auch das Schloss.
Ende des 18. Jahrhunderts wanderte ein Zweig der Grafen zur Lippe aus dem Fürstentum Lippe-Detmold nach Sachsen aus. Er erwarb bedeutenden Grundbesitz, darunter durch Erbschaft auch das Rittergut Proschwitz bei Meißen. 1945 flüchteten Clemens Prinz zur Lippe (1907-1996) und seine Frau Pauline (1912-2002) mit fünf Kindern in die amerikanische Besatzungszone. Den Rechtsanspruch auf das Rittergut Proschwitz übertrug er seinem jüngsten Sohn Georg. Im Sommer 1990 begann er, in Proschwitz ein eigenes Weingut aufzubauen. Er erwarb Rebflächen und schließlich auch das Schloss.
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Insofern überrascht es, dass nach dem Ende der kommunistischen Ära vor allem Adelsfamilien in die ehemaligen Vertreibungsgebiete zurückkehrten – obwohl nur in Ausnahmefällen eine Restitution des enteigneten Besitzes erfolgte. Die spannenden Schicksale der Rückkehrer betrachtet eine Ausstellung, die am 22. Oktober in Schloss Krobnitz bei Reichenbach/Oberlausitz eröffnet wird. Dabei werden die historischen Länder Sachsen, Böhmen und Schlesien einem Vergleich unterzogen. Denn die rechtlichen Rahmenbedingungen waren durchaus unterschiedlich. Im heute polnischen Schlesien war Deutschen lange der Erwerb von Grund und Boden verboten, sodass nur wenige Familien den Mut hatten, in der alten Heimat neu anzufangen. In der ehemaligen DDR wurden die Enteignungen zwischen 1945 und 1949 nicht rückgängig gemacht. Ganz anders sah es in der Tschechischen Republik aus, wo der Grundbesitz an die Enteigneten zurückgeben wurde – aber nur an die Vertriebenen tschechischer Nationalität, nicht an die Sudetendeutschen.

Obwohl der Adel am stärksten von den Repressalien betroffen war und nach dem Zweiten Weltkrieg nahezu vollständig Sachsen, Böhmen und Schlesien verlassen hat, kann man beobachten, dass es vor allem Adelsfamilien waren, die nach 1990 in die alte Heimat zurückkehrten. Gleiches trifft für bürgerliche Familien nur im geringen Maße zu. Woran liegt das?

Eine Erklärung ist die enge Bindung an Heimat, Grund und Boden, die zur adligen Tradition gehört. Die adlige Familie schließt die Vorfahren und auch die Nachkommen mit ein. Der Einzelne versteht sich lediglich als Glied einer Kette, die in der Vergangenheit wurzelt und die es fortzusetzen gilt. So wurde die emotionale Bindung an die Heimat der Vorfahren in Adelsfamilien stärker weitergetragen als bei bürgerlichen oder bäuerlichen Familien, die ebenfalls der Vertreibung und Enteignung ausgesetzt waren.

Ausstellung und Buch erzählen anhand von 14 Familien aus Sachsen, Böhmen und Schlesien, wie sich die Rückkehr vollzogen hat und welche Motive die Rückkehrer angetrieben haben. So wird deutlich, warum einige Familien – eine kleine Minderheit, wenn man die Gesamtzahl der Vertriebenen einrechnet – trotz einer Unterbrechung von mehreren Jahrzehnten und trotz gravierender wirtschaftlicher und politischer Veränderungen bereit waren, sich wieder am Herkunftsort anzusiedeln. Der grenzübergreifende Vergleich macht die Gemeinsamkeiten deutlich, die die Rückkehrerfamilien in Mentalität und Selbstverständnis verbindet. Er zeigt aber auch die erheblichen rechtlichen Unterschiede auf, die zwischen Polen, der Tschechischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Rückgabe von enteignetem Vermögen bestehen.

Besonders schwer war es für die wenigen Familien, die sich für eine Rückkehr nach Schlesien entschieden haben. Sie mussten sich auf eine ganz andere, polnisch geprägte Kultur und Lebensweise einlassen. Nur unter widrigsten Umständen durften sie in den 1990er Jahren überhaupt Grundbesitz erwerben. Ganz anders ist die Situation in der Tschechischen Republik, wo das seit 1948 enteignete Vermögen vollständig restituiert wurde. Etwa 60 Adelsfamilien erhielten Schlösser und Waldbesitz zurück. Der bekannteste Rückkehrer ist Fürst Karl Schwarzenberg, der mehrfach Außenminister der Tschechischen Republik war.

Auch in Sachsen wären bei einer Rückgabe des enteigneten Besitzes vermutlich viel mehr Familien zurückgekehrt. Dass die Nachfahren der Enteigneten die Häuser und den Grund und Boden ihrer Vorfahren zurückkaufen mussten, schreckte viele ab. Dennoch entschlossen sich rund 30 Adelsfamilien aus Sachsen für einen Neubeginn in der alten Heimat.

Ausstellungseröffnung am Sonnabend, 22. Oktober, um 14 Uhr im Schloss Krobnitz bei Reichenbach/Oberlausitz, Am Friedenstal 5, Eintritt frei.

Ab Mai 2017 ist die Ausstellung auf Schloss Nossen zu sehen.

Das Begleitbuch „Heimat bleibt. Vertriebene Familien kehren zurück“ (110 Seiten, farbig, viele Fotos, 9,80 Euro) kann in allen SZ-Treffpunkten erworben und über [email protected], 03521 41045520, bestellt werden.