Für unserer Serie „Markt statt Marx“ fragten wir, wer noch ein DDR-Brigadetagebuch besitzt. Zahlreiche Leser meldeten sich. Ihre Einsendungen wecken Erinnerungen und laden zum Schmunzeln ein.
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Dem Küchenkollektiv zum Internationalen Frauentag – eine „weiße Maus“ mit Polizeimütze und Verkehrsstab grüßt die Frauen aus der Küche des Volkspolizeikreisamtes Bautzen 1982 zu ihrem Ehrentag. Glückwünsche zum Frauentag und der Bericht über die dazugehörige Feier durften zu DDR-Zeiten in keinem Brigadebuch fehlen. Ebenso wenig wie Verpflichtungen zur Planerfüllung und zum sparsamen Umgang mit den Arbeitsmitteln. So steht 1978 im „Kampfprogramm“ des Bautzener Küchenkollektivs die Losung: „Spare mit jedem Pfennig, jedem Gramm und jeder Minute“. Wie überall wurde auch an den Kochtöpfen um den Titel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ gekämpft.
Blick in die Brigadetagebücher
Für die Dresdner Volkskundlerin Merve Lühr sind Einträge in Brigadebüchern wichtige Quellen, um mehr über das Verhältnis zwischen Betrieb und Freizeit in dem untergegangenen Land zu erfahren. Über 60 Brigadebücher hat das Archiv des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde an der Technischen Universität Dresden bislang erfasst.
Frau Lühr, was macht Brigadebücher für Sie als Forscherin so interessant?
Diese öffentlichen Tagebücher sind für mich ein einzigartiger Spiegel der sozialistischen Zeit. Wie verbanden sich Betrieb und Freizeit? Wie sind die Menschen mit dem Druck umgegangen, all die Punkte im sozialistischen Wettbewerb zu erfüllen? Antworten auf diese und viele weitere Fragen lassen sich in den Erinnerungsträgern finden.
Welche Inhalte in den Brigadebüchern interessieren Sie am stärksten?
Mir liegt sehr daran, zwischen den Zeilen verborgene Inhalte zu finden. Wenn zum Beispiel geschrieben steht „Vier unserer Kollegen zogen es vor, nicht mit zum Brigadeausflug ins Theater zu kommen“, kann dies als Kritik am Verhalten dieser Kollegen verstanden werden, weil sie sich dem Brigadeleben entzogen. Solcherlei subtile Anmerkungen waren auch damals schon wichtig, da die Tagebücher als Vermittlungsmedium zwischen Arbeitsbrigade und Betriebsleitung fungierten. Am Ende eines Wettbewerbsjahres wurden die gesammelten Berichte übergeben und die Leitung beurteilte die Bücher und die Entwicklung des Kollektivs. Der größte inhaltliche Schatz verbirgt sich allerdings in der Kombination aus diesem Schriftzeugnis und den dazugehörigen Zeitzeugen. Wenn sich ein ehemaliger Mitarbeiter diese Bücher anschaut, sprudeln die interessantesten Geschichten aus den vergilbten Seiten.
Finden sich in den Brigadebüchern auch Hinweise auf Kritik an der Planwirtschaft?
Nicht wirklich. Ab und an findet sich eine Beschwerde, dass die Produktion beziehungsweise die Arbeit nicht ordnungsgemäß laufen konnte. Da werden zum Beispiel Lieferengpässe diverser Waren oder Rohstoffe und teilweise deren schlechte Qualität bemängelt. Schließlich waren die Arbeiter selbst an der Planerfüllung interessiert, da sie Aussicht auf eine Prämie am Jahresende hatten. Ebenfalls wird sich über Alltagsprobleme ausgelassen. „Es gibt kein Obst in der Kantine“ kann man da lesen. Kritik am sozialistischen System selber konnte ich bisher nicht finden, auch nicht zwischen den Zeilen.
Hat es das Brigadebuch nur in der DDR gegeben? Oder gibt es ähnliche Dokumentationen aus anderen Ländern?
Auf diese Frage bin ich während meiner Forschungen schon öfter gestoßen. Bei Recherchen konnte ich bisher kein anderes Land ausfindig machen, in welchem solcherlei Bücher verfasst wurden. Das Prinzip der Arbeitsbrigade kommt grundsätzlich aus der Sowjetunion und wurde in der DDR nach der Zonenteilung etabliert. Dann tauchten in den 1950er Jahren die ersten Brigadebücher auf, geführt von besonders engagierten und erfolgreichen Arbeitskollektiven.
Welches Ziel verfolgte die DDR-Führung mit der Einführung der Brigadebücher?
Sie sollten auch als Vorbild für andere Brigaden dienen. Schlussendlich wurde auf der Bitterfelder Konferenz 1959 mit dem Motto „Greif zur Feder, Kumpel!“ beschlossen, alle Brigaden zum Schreiben eines Brigadebuchs aufzufordern. Sie sollten zur Bildung einer „sozialistischen Nationalkultur“ beitragen. Anderswo scheint diese Methodik nicht übernommen worden zu sein.
Zumeist werden die Bücher heute privat aufbewahrt. Es besteht die Gefahr, dass sie verloren gehen. Existieren Archive, die diese wichtigen Quellen aufbewahren?
Unser Archiv, das Lebensgeschichtliche Archiv des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde, sammelt neben diversen Dokumenten zu verschiedenen Lebenswelten in Sachsen auch Brigadebücher. Bisher haben wir etwa 60 von sechs Betrieben in unseren Schränken lagern. Sie sind digitalisiert und bei uns im Haus einsehbar. Natürlich liegt hier bisher nur ein Bruchteil aller Brigadebücher. Viele sind nach der Wende wohl in den Papierkorb gewandert. Andere stehen womöglich noch in Firmenarchiven, auf Dachböden oder in feuchten Kellern. Wir sind natürlich daran interessiert, diese Bestände nach Möglichkeit zu sichern. Mein Ziel ist es, mithilfe der Bücher zentrale Bereiche der sozialistischen Wirtschaft abzudecken. Bisher habe ich Einblicke in eine Säuglingsstation, den Bergbau in Freiberg, Robotron „Messelektronik“, eine Lebensmittelfabrik in Lommatzsch und die Wachmannschaft vom Armeemuseum Dresden sowie einer Teppichfabrik im Vogtland erhalten können. Ich hoffe auf viele weitere solcher wertvollen Dokumente.
Gespräch: Bernhard Teichfischer
Das Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde ist generell an Brigadebüchern aus der DDR interessiert, um diese auszuwerten, zu digitalisieren und zu archivieren. Angebote an: Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V., Zellescher Weg 17, 01069 Dresden. Telefon 0351 4361642