Merken

Die heile Welt des Sozialismus

Für unserer Serie „Markt statt Marx“ fragten wir, wer noch ein DDR-Brigadetagebuch besitzt. Zahlreiche Leser meldeten sich. Ihre Einsendungen wecken Erinnerungen und laden zum Schmunzeln ein.

Teilen
Folgen
NEU!
© Uwe Soeder

Dem Küchenkollektiv zum Internationalen Frauentag – eine „weiße Maus“ mit Polizeimütze und Verkehrsstab grüßt die Frauen aus der Küche des Volkspolizeikreisamtes Bautzen 1982 zu ihrem Ehrentag. Glückwünsche zum Frauentag und der Bericht über die dazugehörige Feier durften zu DDR-Zeiten in keinem Brigadebuch fehlen. Ebenso wenig wie Verpflichtungen zur Planerfüllung und zum sparsamen Umgang mit den Arbeitsmitteln. So steht 1978 im „Kampfprogramm“ des Bautzener Küchenkollektivs die Losung: „Spare mit jedem Pfennig, jedem Gramm und jeder Minute“. Wie überall wurde auch an den Kochtöpfen um den Titel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ gekämpft.

Blick in die Brigadetagebücher

Jugend-Mode
Jugend-Mode
Gute Wünsche Besonders aktiv war man offenbar im VEB Hebezeugwerk Königsbrück. Gleich mehrere Brigadetagebücher wurden eingesandt, zum Beispiel auch das der „Brigade Technik“ von 1984. Hier wurde nicht nur auf „Materialökonomie“ großes Gewicht gelegt, auch die „Weihnachtsgeschenke“ waren vorbildlich.
Gute Wünsche Besonders aktiv war man offenbar im VEB Hebezeugwerk Königsbrück. Gleich mehrere Brigadetagebücher wurden eingesandt, zum Beispiel auch das der „Brigade Technik“ von 1984. Hier wurde nicht nur auf „Materialökonomie“ großes Gewicht gelegt, auch die „Weihnachtsgeschenke“ waren vorbildlich.
Brigade-Vorbild  Fein säuberlich ausgeschnitten klebt das Porträt von Albert Schweitzer auf der ersten Seite des Buches der gleichnamigen Brigade aus dem Betrieb Formaplast (heute Jockey) Sohland. Regina Gräubig, damals Sekretärin des Betriebsleiters, hat viele Beiträge gestaltet – und drei Bücher bis heute aufbewahrt.
Brigade-Vorbild Fein säuberlich ausgeschnitten klebt das Porträt von Albert Schweitzer auf der ersten Seite des Buches der gleichnamigen Brigade aus dem Betrieb Formaplast (heute Jockey) Sohland. Regina Gräubig, damals Sekretärin des Betriebsleiters, hat viele Beiträge gestaltet – und drei Bücher bis heute aufbewahrt.
Feier-Abend  Über mehrere Jahre wurde das Brigadebuch des Kindergarten-Kollektivs in Rauschwitz geführt. Das Team hatte viel Spaß – mit den Kindern, aber offenbar auch ohne sie. Regelmäßig gab es Betriebsvergnügen, über die ausführliche Berichte verfasst werden. Auch der 20. Geburtstag einer Kollegin am 5. Februar 1983 wird bunt angekündigt und anschließend groß gewürdigt. Das Brigadeleben blühte vor allem nach Feierabend auf.
Feier-Abend Über mehrere Jahre wurde das Brigadebuch des Kindergarten-Kollektivs in Rauschwitz geführt. Das Team hatte viel Spaß – mit den Kindern, aber offenbar auch ohne sie. Regelmäßig gab es Betriebsvergnügen, über die ausführliche Berichte verfasst werden. Auch der 20. Geburtstag einer Kollegin am 5. Februar 1983 wird bunt angekündigt und anschließend groß gewürdigt. Das Brigadeleben blühte vor allem nach Feierabend auf.
Kaffee-Klatsch   Welch eine Errungenschaft! Im März 1982 freute sich das Kollektiv des Ambulatoriums Cunewalde über eine Kaffeemaschine K 109. Alle rund 20 Brigademitglieder hatten etwas von ihrer Jahresendprämie 1981 zum Kauf beigesteuert, weiß Helga Geißler, damals Laborantin im Ambulatorium.
Kaffee-Klatsch Welch eine Errungenschaft! Im März 1982 freute sich das Kollektiv des Ambulatoriums Cunewalde über eine Kaffeemaschine K 109. Alle rund 20 Brigademitglieder hatten etwas von ihrer Jahresendprämie 1981 zum Kauf beigesteuert, weiß Helga Geißler, damals Laborantin im Ambulatorium.
Computer-Technik  Antje Bensch aus Schmeckwitz hat „kistenweise Dokumente“ aus dem Arbeitsleben des VEB Kombinat Robotron Dresden gesichtet, die aus dem Nachlass ihrer kürzlich verstorbenen Mutter stammen, die dort als Dolmetscherin gearbeitet hat. Im „Buch der guten Taten“ findet sich zum Beispiel dieser Neujahrsgruß mit einem „handlichen“ PC aus dem Jahre 1973
Computer-Technik Antje Bensch aus Schmeckwitz hat „kistenweise Dokumente“ aus dem Arbeitsleben des VEB Kombinat Robotron Dresden gesichtet, die aus dem Nachlass ihrer kürzlich verstorbenen Mutter stammen, die dort als Dolmetscherin gearbeitet hat. Im „Buch der guten Taten“ findet sich zum Beispiel dieser Neujahrsgruß mit einem „handlichen“ PC aus dem Jahre 1973
Ferien-Lager  Frank Hammermeister aus Oßling hat noch das Tagebuch der Kinderferienlager der Konsumgenossenschaft Kamenz. Es wurde von 1980 bis 1984 mit Ideenreichtum geführt und gibt Einblicke in diese Form des betrieblichen Engagements für die Heranwachsenden. Natürlich durften auch die Spreewaldfahrten nicht fehlen. Am 24.7.1980 bei viel Sonne und 28 Grad.
Ferien-Lager Frank Hammermeister aus Oßling hat noch das Tagebuch der Kinderferienlager der Konsumgenossenschaft Kamenz. Es wurde von 1980 bis 1984 mit Ideenreichtum geführt und gibt Einblicke in diese Form des betrieblichen Engagements für die Heranwachsenden. Natürlich durften auch die Spreewaldfahrten nicht fehlen. Am 24.7.1980 bei viel Sonne und 28 Grad.
Brigade-Ausflug  Der gemeinsame Ausflug – ob zum Wandern oder zu einer Kulturveranstaltung – war fester Bestandteil des Brigadelebens. Die meisten erinnern sich gern an die Unternehmungen nach Feierabend. So auch Ingeburg Lehmann aus Taschendorf, die in der Firma Bruno Leunert in Bretnig arbeitete. Mit ihrer Brigade „8. März“ ging’s 1974 auf den Schwedenstein. Aus mancher Brigade treffen sich ehemalige Kollegen sogar heute noch.
Brigade-Ausflug Der gemeinsame Ausflug – ob zum Wandern oder zu einer Kulturveranstaltung – war fester Bestandteil des Brigadelebens. Die meisten erinnern sich gern an die Unternehmungen nach Feierabend. So auch Ingeburg Lehmann aus Taschendorf, die in der Firma Bruno Leunert in Bretnig arbeitete. Mit ihrer Brigade „8. März“ ging’s 1974 auf den Schwedenstein. Aus mancher Brigade treffen sich ehemalige Kollegen sogar heute noch.
Kesselhaus-Kunstwerk Von Hand gezeichnet schmückt dieses wappenartige Symbol jedes der sechs Brigadebücher aus den 1980er-Jahren, die Siegfried Pursche aus Cunewalde in die Redaktion brachte. Er arbeitete im Heizhaus des Motorenwerkes. Bezüglich der Arbeitsbedingungen herrschte dort allerdings nicht immer eitel Sonnenschein wie auf der Zeichnung.
Kesselhaus-Kunstwerk Von Hand gezeichnet schmückt dieses wappenartige Symbol jedes der sechs Brigadebücher aus den 1980er-Jahren, die Siegfried Pursche aus Cunewalde in die Redaktion brachte. Er arbeitete im Heizhaus des Motorenwerkes. Bezüglich der Arbeitsbedingungen herrschte dort allerdings nicht immer eitel Sonnenschein wie auf der Zeichnung.
Faschings-Überraschung  Spitze blitzte unter den Schürzen hervor, als die Küchenfrauen im Volkspolizei-Kreisamt Bautzen am Faschingsdienstag 1981 ihren Dienst versahen. An diesem Tag schmeckte auch einem schlecht gelaunten Genossen das Essen, vermerkt der humorvolle Eintrag im Brigadebuch, in das Waltraud Zschau aus Bautzen die SZ schauen ließ.
Faschings-Überraschung Spitze blitzte unter den Schürzen hervor, als die Küchenfrauen im Volkspolizei-Kreisamt Bautzen am Faschingsdienstag 1981 ihren Dienst versahen. An diesem Tag schmeckte auch einem schlecht gelaunten Genossen das Essen, vermerkt der humorvolle Eintrag im Brigadebuch, in das Waltraud Zschau aus Bautzen die SZ schauen ließ.
Rekord-Umsatz Geschenkekauf zur Weihnachtszeit bescherte auch schon in der DDR den Geschäften besonderen Umsatz. Extra für die Wilthener Weihnachtsmesse wurde begehrte Bück-dich-Ware aufgespart und dann an einem Wochenende im Haus „Bergland“ verkauft, erinnert sich Ulrike Raue, die von 1976 bis 1991 das HO-Textilhaus in Wilthen leitete.
Rekord-Umsatz Geschenkekauf zur Weihnachtszeit bescherte auch schon in der DDR den Geschäften besonderen Umsatz. Extra für die Wilthener Weihnachtsmesse wurde begehrte Bück-dich-Ware aufgespart und dann an einem Wochenende im Haus „Bergland“ verkauft, erinnert sich Ulrike Raue, die von 1976 bis 1991 das HO-Textilhaus in Wilthen leitete.
Politische Propaganda  Ein historisches Ereignis: der Abzug der sowjetischen Atomraketen aus dem Taucherwald. Mit viel Tamtam wurden die sowjetischen Soldaten 1988 auf dem Bahnhofsvorplatz Bischofswerda verabschiedet. Verewigt wurde das damals im Brigadebuch der Abteilung Glas- und Gebäudereinigung des VEB Dienstleistungen Bischofswerda. Trotz der politischen Vorgaben erinnert sich Petra Mutscher, die heute noch in einer Gebäudereinigerfirma arbeitet, gern an die Brigadezeit.
Politische Propaganda Ein historisches Ereignis: der Abzug der sowjetischen Atomraketen aus dem Taucherwald. Mit viel Tamtam wurden die sowjetischen Soldaten 1988 auf dem Bahnhofsvorplatz Bischofswerda verabschiedet. Verewigt wurde das damals im Brigadebuch der Abteilung Glas- und Gebäudereinigung des VEB Dienstleistungen Bischofswerda. Trotz der politischen Vorgaben erinnert sich Petra Mutscher, die heute noch in einer Gebäudereinigerfirma arbeitet, gern an die Brigadezeit.
Gurken-Schwemme Der Handel hatte es nicht leicht: Oft herrschte Mangel, manchmal aber auch Überfluss, so wie im August 1979, als sich die Mitarbeiterinnen der Konsum-Verkaufsstelle in Putzkau vor Gurken nicht retten konnten. Als gelernte DDR-Bürger wussten sie sich zu helfen und legten die Gurken selbst ein. Dank Erika Mildner aus Putzkau gibt’s diese Episode hier zu lesen.
Gurken-Schwemme Der Handel hatte es nicht leicht: Oft herrschte Mangel, manchmal aber auch Überfluss, so wie im August 1979, als sich die Mitarbeiterinnen der Konsum-Verkaufsstelle in Putzkau vor Gurken nicht retten konnten. Als gelernte DDR-Bürger wussten sie sich zu helfen und legten die Gurken selbst ein. Dank Erika Mildner aus Putzkau gibt’s diese Episode hier zu lesen.
Vorbildliche Brigade   Als erstes sozialistisches Kollektiv im Braunkohlenwerk Hirschfelde wurde 1962 die Brigade Hoffmann aus der Schwelerei ausgezeichnet. Das wurde auch mit einem Bericht in der Betriebszeitung gewürdigt und zugleich als Vorbild für andere Abteilungen gepriesen. Das Brigadebuch, das Ereignisse zwischen 1961 und 1965 auflistet, ist das älteste Dokument, das die SZ auf ihren Aufruf hin erhielt. Eingereicht hat es Werner Döring aus Bautzen.
Vorbildliche Brigade Als erstes sozialistisches Kollektiv im Braunkohlenwerk Hirschfelde wurde 1962 die Brigade Hoffmann aus der Schwelerei ausgezeichnet. Das wurde auch mit einem Bericht in der Betriebszeitung gewürdigt und zugleich als Vorbild für andere Abteilungen gepriesen. Das Brigadebuch, das Ereignisse zwischen 1961 und 1965 auflistet, ist das älteste Dokument, das die SZ auf ihren Aufruf hin erhielt. Eingereicht hat es Werner Döring aus Bautzen.
Ernte-Helfer Kartoffeln statt Kohle: Sozialistische Hilfe hieß es in der DDR, wenn Werktätige vorübergehend in anderen Bereichen oder anderen Betrieben eingesetzt wurden. Das kam öfter vor. So half im Herbst 1985 ein Kollege aus dem Kesselhaus des Motorenwerkes Cunewalde für vier Wochen bei der Auslieferung von Kartoffeln durch die LPG Lawalde.
Ernte-Helfer Kartoffeln statt Kohle: Sozialistische Hilfe hieß es in der DDR, wenn Werktätige vorübergehend in anderen Bereichen oder anderen Betrieben eingesetzt wurden. Das kam öfter vor. So half im Herbst 1985 ein Kollege aus dem Kesselhaus des Motorenwerkes Cunewalde für vier Wochen bei der Auslieferung von Kartoffeln durch die LPG Lawalde.
Grüße an Kosmonautin  Die Brigade "Valentina Tereschkowa" aus dem VEB Aluminiumwerk Lauta schickte 1976 Frauentagsglückwünsche an die sowjetische Kosmonautin. Der Brief wurde über die sowjetische Botschaft an die Namenspatronin weitergeleitet.
Grüße an Kosmonautin Die Brigade "Valentina Tereschkowa" aus dem VEB Aluminiumwerk Lauta schickte 1976 Frauentagsglückwünsche an die sowjetische Kosmonautin. Der Brief wurde über die sowjetische Botschaft an die Namenspatronin weitergeleitet.
Antwort aus der Botschaft Von der sowjetischen Botschaft erhielt die Brigade "Walentina Tereschkowa" dieses Antwortschreiben.
Antwort aus der Botschaft Von der sowjetischen Botschaft erhielt die Brigade "Walentina Tereschkowa" dieses Antwortschreiben.
Prämie im Wettbewerb Die Brigade "8. März" aus dem Betrieb "Bruno Leune" aus Bretnig belegte im Wettbewerb den 2. Platz. Dafür gab es eine Prämie: 81 Mark. Eingesandt wurde der Auszug aus dem Brigadetagebuch von Ingeburg Lehmann aus Taschendorf.
Prämie im Wettbewerb Die Brigade "8. März" aus dem Betrieb "Bruno Leune" aus Bretnig belegte im Wettbewerb den 2. Platz. Dafür gab es eine Prämie: 81 Mark. Eingesandt wurde der Auszug aus dem Brigadetagebuch von Ingeburg Lehmann aus Taschendorf.
Solidaritätsbekundung Auch das spiegelte sich in Brigadebüchern wider: Solidarität mit Luis Corvalan. Der chilenische Kommunist wurde nach dem Putsch Pinochets im September 1973 verhaftet und als politischer Gefangener in ein Konzentratiionslager gesteckt. Eine weltweite Protestkampagne forderte seine Freilassung.
Solidaritätsbekundung Auch das spiegelte sich in Brigadebüchern wider: Solidarität mit Luis Corvalan. Der chilenische Kommunist wurde nach dem Putsch Pinochets im September 1973 verhaftet und als politischer Gefangener in ein Konzentratiionslager gesteckt. Eine weltweite Protestkampagne forderte seine Freilassung.
Wahlen in der DDR Arbeitskollektive verpflichteten sich, bei den Wahlen ihre Stimme den Kandidaten der Nationalen Front zu geben. Mit Terminfestsetzung. Hier ein Auszug aus dem Brigadebuch des HO-Textilhauses Wilthen.
Wahlen in der DDR Arbeitskollektive verpflichteten sich, bei den Wahlen ihre Stimme den Kandidaten der Nationalen Front zu geben. Mit Terminfestsetzung. Hier ein Auszug aus dem Brigadebuch des HO-Textilhauses Wilthen.
Grüße an die Patengruppe Jede Brigade hatte eine Patengruppe im Kindergarten oder eine Patenklasse. Auch das HO-Textilhaus Wilthen.
Grüße an die Patengruppe Jede Brigade hatte eine Patengruppe im Kindergarten oder eine Patenklasse. Auch das HO-Textilhaus Wilthen.
Sportlicher Betrieb Sportliche Betätigungen gehörten zum Brigadeleben. Bei Formaplast in Sohland gab es eine organisierte Orientierungswanderung. Die Brigade "Albert Schweitzer" nahm erfolgreich daran teil.
Sportlicher Betrieb Sportliche Betätigungen gehörten zum Brigadeleben. Bei Formaplast in Sohland gab es eine organisierte Orientierungswanderung. Die Brigade "Albert Schweitzer" nahm erfolgreich daran teil.
Die Maus gratuliert Die weiße Maus als Volkspolizist gratuliert dem Küchenkollektiv des Volkspolizei-Kreisamtes zum Internationalen Frauentag.
Die Maus gratuliert Die weiße Maus als Volkspolizist gratuliert dem Küchenkollektiv des Volkspolizei-Kreisamtes zum Internationalen Frauentag.
Alle Neune  Keine ruhige Kugel schob die Brigade "Johann Gottlieb Fichte" vom VEB Dienstleistungen Bischofswerda. Beim Kegelabend waren auch die Ehepartner dabei.
Alle Neune Keine ruhige Kugel schob die Brigade "Johann Gottlieb Fichte" vom VEB Dienstleistungen Bischofswerda. Beim Kegelabend waren auch die Ehepartner dabei.

Für die Dresdner Volkskundlerin Merve Lühr sind Einträge in Brigadebüchern wichtige Quellen, um mehr über das Verhältnis zwischen Betrieb und Freizeit in dem untergegangenen Land zu erfahren. Über 60 Brigadebücher hat das Archiv des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde an der Technischen Universität Dresden bislang erfasst.

Frau Lühr, was macht Brigadebücher für Sie als Forscherin so interessant?

Diese öffentlichen Tagebücher sind für mich ein einzigartiger Spiegel der sozialistischen Zeit. Wie verbanden sich Betrieb und Freizeit? Wie sind die Menschen mit dem Druck umgegangen, all die Punkte im sozialistischen Wettbewerb zu erfüllen? Antworten auf diese und viele weitere Fragen lassen sich in den Erinnerungsträgern finden.

Welche Inhalte in den Brigadebüchern interessieren Sie am stärksten?

Mir liegt sehr daran, zwischen den Zeilen verborgene Inhalte zu finden. Wenn zum Beispiel geschrieben steht „Vier unserer Kollegen zogen es vor, nicht mit zum Brigadeausflug ins Theater zu kommen“, kann dies als Kritik am Verhalten dieser Kollegen verstanden werden, weil sie sich dem Brigadeleben entzogen. Solcherlei subtile Anmerkungen waren auch damals schon wichtig, da die Tagebücher als Vermittlungsmedium zwischen Arbeitsbrigade und Betriebsleitung fungierten. Am Ende eines Wettbewerbsjahres wurden die gesammelten Berichte übergeben und die Leitung beurteilte die Bücher und die Entwicklung des Kollektivs. Der größte inhaltliche Schatz verbirgt sich allerdings in der Kombination aus diesem Schriftzeugnis und den dazugehörigen Zeitzeugen. Wenn sich ein ehemaliger Mitarbeiter diese Bücher anschaut, sprudeln die interessantesten Geschichten aus den vergilbten Seiten.

Finden sich in den Brigadebüchern auch Hinweise auf Kritik an der Planwirtschaft?

Nicht wirklich. Ab und an findet sich eine Beschwerde, dass die Produktion beziehungsweise die Arbeit nicht ordnungsgemäß laufen konnte. Da werden zum Beispiel Lieferengpässe diverser Waren oder Rohstoffe und teilweise deren schlechte Qualität bemängelt. Schließlich waren die Arbeiter selbst an der Planerfüllung interessiert, da sie Aussicht auf eine Prämie am Jahresende hatten. Ebenfalls wird sich über Alltagsprobleme ausgelassen. „Es gibt kein Obst in der Kantine“ kann man da lesen. Kritik am sozialistischen System selber konnte ich bisher nicht finden, auch nicht zwischen den Zeilen.

Hat es das Brigadebuch nur in der DDR gegeben? Oder gibt es ähnliche Dokumentationen aus anderen Ländern?

Auf diese Frage bin ich während meiner Forschungen schon öfter gestoßen. Bei Recherchen konnte ich bisher kein anderes Land ausfindig machen, in welchem solcherlei Bücher verfasst wurden. Das Prinzip der Arbeitsbrigade kommt grundsätzlich aus der Sowjetunion und wurde in der DDR nach der Zonenteilung etabliert. Dann tauchten in den 1950er Jahren die ersten Brigadebücher auf, geführt von besonders engagierten und erfolgreichen Arbeitskollektiven.

Welches Ziel verfolgte die DDR-Führung mit der Einführung der Brigadebücher?

Sie sollten auch als Vorbild für andere Brigaden dienen. Schlussendlich wurde auf der Bitterfelder Konferenz 1959 mit dem Motto „Greif zur Feder, Kumpel!“ beschlossen, alle Brigaden zum Schreiben eines Brigadebuchs aufzufordern. Sie sollten zur Bildung einer „sozialistischen Nationalkultur“ beitragen. Anderswo scheint diese Methodik nicht übernommen worden zu sein.

Zumeist werden die Bücher heute privat aufbewahrt. Es besteht die Gefahr, dass sie verloren gehen. Existieren Archive, die diese wichtigen Quellen aufbewahren?

Unser Archiv, das Lebensgeschichtliche Archiv des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde, sammelt neben diversen Dokumenten zu verschiedenen Lebenswelten in Sachsen auch Brigadebücher. Bisher haben wir etwa 60 von sechs Betrieben in unseren Schränken lagern. Sie sind digitalisiert und bei uns im Haus einsehbar. Natürlich liegt hier bisher nur ein Bruchteil aller Brigadebücher. Viele sind nach der Wende wohl in den Papierkorb gewandert. Andere stehen womöglich noch in Firmenarchiven, auf Dachböden oder in feuchten Kellern. Wir sind natürlich daran interessiert, diese Bestände nach Möglichkeit zu sichern. Mein Ziel ist es, mithilfe der Bücher zentrale Bereiche der sozialistischen Wirtschaft abzudecken. Bisher habe ich Einblicke in eine Säuglingsstation, den Bergbau in Freiberg, Robotron „Messelektronik“, eine Lebensmittelfabrik in Lommatzsch und die Wachmannschaft vom Armeemuseum Dresden sowie einer Teppichfabrik im Vogtland erhalten können. Ich hoffe auf viele weitere solcher wertvollen Dokumente.

Gespräch: Bernhard Teichfischer

Das Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde ist generell an Brigadebüchern aus der DDR interessiert, um diese auszuwerten, zu digitalisieren und zu archivieren. Angebote an: Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V., Zellescher Weg 17, 01069 Dresden. Telefon 0351 4361642

Mehr aus Brigadebüchern unterwww.sz-link.de/brigadetagebuch