Merken

Die Hassfigur der Rechten

Sein Engagement für eine offene Gesellschaft brachte Eric Hattke viele Drohungen ein. Der Sprecher von „Dresden für Alle“ sucht einen Neuanfang und verlässt das Netzwerk.

Teilen
Folgen
© Sven Ellger

Von Tobias Wolf

Volksverräter, Schädling, blauäugiger Naivling: Eric Hattke hat sich viel anhören müssen im letzten Jahr. Der Student, der binnen Kurzem zum Gesicht des Netzwerks „Dresden für Alle“ und zur Hassfigur von Rechtspopulisten von Pegida & Co. wurde, will Schluss machen, ein bisschen zumindest. Für den Sprecherposten des Netzwerks will der 25-Jährige nicht noch einmal kandidieren. „Es braucht einen Wechsel beim Netzwerk, und ich brauche den auch“, sagt Hattke. Er gehe nicht im Streit, betont er. Künftig gibt es wohl mehrere Personen an der Spitze.

Hattke gründet mit Gleichgesinnten den Atticus-Verein, will Projekte zu politischer und interkultureller Bildung machen. Der Verein will mit sozial Benachteiligten arbeiten, nicht allein fokussiert auf Flüchtlinge. „Wir wollen das gemeinsame Gefühl in der Stadt stärken“, sagt er.

Es ist ein nachdenklicher junger Mann, der in einem Café im Zentrum sitzt und in die Tasse starrt, ernster, misstrauischer, illusionsloser: „Pegida hat die Stadt verändert. Pegida ist nichts, was vergessen werden muss, sondern überwunden.“ Als er im Dezember 2014 aus dem Nichts für „Dresden für Alle“ auf die öffentliche Bühne stieg und zum Sternmarsch aufrief, war er eher Teenager als Erwachsener. Er war getrieben davon, den Dagegen-Bürgern von Pegida eine Für-etwas-sein-Bewegung entgegenzusetzen – in einer Stadt, in der die Mehrheit lieber schweigend zusieht. Dann spürt er die Kehrseite. „Du hängst an der nächsten Laterne“, ist eine von vielen anonymen Morddrohungen. Beirren lässt er sich nicht. „Ich habe mich im Netzwerk nicht an Pegida abgearbeitet, sondern ich wollte zeigen, wie es besser geht, mit konkreten Lösungen“, sagt Hattke. Mittlerweile gehören über 100 Organisationen dazu, darunter die Semperoper, Museen, Hochschulen, Kirchgemeinden, Sozialvereine und Willkommensinitiativen.

„Dresden für Alle“ hat sich zum respektierten Akteur in der Stadt entwickelt. Sein Sprecher ist die Projektionsfläche für den Hass. Öffentlich bewegt sich Hattke nicht mehr so unbekümmert. Im September ruft ein Mann die Polizei an, gibt sich als Eric Hattke aus, behauptet, seine Frau umgebracht zu haben. Da ist Hattke gerade bei einem Verbandstreffen. Seine Familie bekommt Drohanrufe, er solle aufhören „sich für Ausländer einzusetzen“, Aussagen wie „wir schießen durch die Fenster“ fallen.

Die Politik gibt ihm Rückendeckung. Innenminister Markus Ulbig (CDU) nennt das Verhalten der Anrufer schäbig, feige und menschenverachtend. Ähnlich äußert sich Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP).

Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) spricht von rechtsextremistischem Hass, der nicht hinnehmbar sei. Noch heute erinnert sie sich daran, dass Hattke für sein Engagement bedroht wurde. „Es erfordert Mut, diese Haltung stellvertretend für andere immer wieder öffentlich zu machen“, sagt sie. Hattke habe Aktionen wie „Dresden isst bunt“, bei der Tausende Migranten und Dresdner auf dem Altmarkt picknickten, oder den Spendenlauf Run and Roll vorangetrieben.

Mancher in der Staatsregierung nennt Hattke eine Rampensau, einen Treiber, dem die Protokollregeln egal sind. So einen brauche es, um etwas voranzubringen. Da werden schon mal konsternierte Ministerinnen beim offiziellen Termin zur Begrüßung umarmt. Zugleich gilt Hattke als erfrischend naiv, zuweilen auch beratungsresistent. Er nervt Parteien und Presse. Zeitweise senken Stadträte die Köpfe, wenn er den Raum betritt, weil sie nicht noch mehr Ideen für Willkommenskultur hören wollen. Auch das gehört nun zur Selbstkritik.

„Man merkt erst in der Rückschau, was man für ein Idiot war“, sagt Hattke. Zu oft wollte er mit dem Kopf durch die Wand, hat dabei auch Eitelkeiten verletzt. Einfach mal eine Demo zu organisieren, sei auch nicht so einfach gewesen, wie gedacht. „Es gab Menschen, die mir gezeigt haben, wie es geht und mich auch Fehler haben machen lassen“, sagt Hattke. „Dafür bin ich dankbar.“ Mancher Uni-Mitarbeiter kennt ihn noch von früher, als er im Studentenrat Diskussionen zu den undemokratischen Entwicklungen in Ungarn organisierte. Er sei überaus geschätzt, weil er kämpft, heißt es aus der TU Dresden. Hattke ziehe in dieselbe Richtung wie die Uni: für mehr Willkommenskultur und Internationalität.

Das Friedrichstädter Zeltcamp wird für das Netzwerk und seinen Sprecher zur härtesten Prüfung. Auf einmal kommen 1 000 Flüchtlinge an. Das Netzwerk sammelt Spenden, organisiert Dutzende Freiwillige, die Tag und Nacht helfen, Hattke sieht das Elend, spürt, wie selbst die Freiwilligen leiden. „Es macht dich fertig, weil du trotz aller Arbeit ab einem bestimmten Punkt das Gefühl hast, hilflos zu sein.“ Das Camp bringt ihm Ärger ein. Böse Worte fallen zwischen den Helfern und den Profis vom Deutschen Roten Kreuz (DRK). Spontane Hilfsbereitschaft trifft auf eine quasi-militärisch aufgebaute Hilfsorganisation.

Das Verständnis kommt erst nach dem Chaos des Spätsommers. Es sei ein Fehler gewesen, zu denken, die Helfer passen einfach ins System, sagte DRK-Chef Rüdiger Unger hinterher. „Wir konnten nicht wirklich mit ihren Ad-hoc-Einsätzen umgehen.“ Die Hilfe war aber wertvoll. Später beliefert das Netzwerk die DRK-Asyl-Unterkünfte mit Tausenden Waschbeuteln . Dass ihn CDU-Sozialpolitikerin Daniela Walter – die ansonsten in der Asyl-Krise nicht durch Lösungsvorschläge auffiel – für den Einsatz im Camp öffentlich abwatschte, hat ihn getroffen. Parteigenossen distanzierten sich hinterher von Walters rüdem Angriff.

Der Abschied als Netzwerksprecher soll ein Neubeginn sein, kein Rückzug. Bei den Bürgerversammlungen in der Kreuzkirche, wo „besorgte Bürger“ Redner oft höhnisch auslachen, sitzt er hinten, schweigt lieber. Auch so eine Erkenntnis für die Zukunft: Mit einigen ist bei bestem Willen nicht zu reden, mit anderen dafür umsomehr.