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Die größte Frage der Welt

Soziale Sicherheit für alle: Das versprechen die Anhänger des Grundeinkommens. Die Schweizer stimmen darüber ab.

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© dpa

Von Thomas Burmeister, Bern

Wäre das nicht schön? – Ein Leben ohne größere Geldsorgen für alle, von der Wiege bis zur Bahre. Selten hat ein Referendum so polarisiert wie dieses. Nichts als heiße Luft sei die Volksinitiative „Für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ in der Schweiz, schimpfen die einen. Wunschdenken notorischer Faulpelze sei das. Andere preisen das Projekt als Akt der Befreiung und Antwort auf die vierte industrielle Revolution. Debattiert wird darüber auch in Deutschland. Doch nur in der Schweiz dürfen die Bürger über ein staatliches Mindesteinkommen für jedermann an der Wahlurne entscheiden. Wie es aussieht, werden sie es am kommenden Sonntag allerdings klar ablehnen. Doch die Debatte darüber ist durchaus wichtig.

„Das Grundeinkommen soll der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen“, heißt es im Text der Initiative. Konkrete Summen werden darin nicht genannt, das müsse ein Gesetz regeln. Doch mindestens 2 500 Franken pro Erwachsenem und 625 Franken für jedes Kind (derzeit 2 263 sowie 567 Euro) müssten es schon sein, erklärt Daniel Häni, der Sprecher der Grundeinkommen-Initiative. Im Gegenzug sollen andere Sozialleistungen wegfallen, also die Renten-, Sozialhilfe- und Arbeitslosenzahlungen.

Neu ist die Idee einer Existenzsicherung durch Vater Staat nicht. Und sie ist keine alleinige Domäne der Linken. Schon der „Vater des Liberalismus“, der englische Philosoph John Locke (1632–1704), meinte, alle Menschen hätten einen Rechtsanspruch auf vollkommene Freiheit und Gleichheit.

In Deutschland wirbt der Milliardär Götz Werner seit 2005 für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Wie andere Befürworter verweist der Gründer der Drogeriemarkt-Kette dm auf absehbare Folgen der Digitalisierung und des Vormarsches der Roboter im Zuge der Industrie 4.0: Millionen von Arbeitsplätzen werden wegfallen. Was wird mit den betroffenen Menschen? „Das bedingungslose Grundeinkommen ist die humanistische Antwort auf den technologischen Fortschritt“, erklären die Vertreter der Initiative.

Zugleich betonen sie, dass ein garantiertes Grundeinkommen die Menschen nicht zu Faulenzern mache. Umfragen zeigten, dass die weitaus meisten Schweizer auch dann weiter nach Bildung und Beschäftigung streben würden, wenn grundlegende Bedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, Wohnung, Kultur und Sport gesichert sind.

Unbezahlbares Projekt?

Um Zustimmung haben die Befürworter mit spektakulären Aktionen geworben, in Städten der Schweiz ebenso – wie am letzten Sonntag – in Berlin: Vor dem Brandenburger Tor entrollten Aktivisten das laut Guinness-Buch der Rekorde mit 8115,53 Quadratmetern größte Plakat der Welt. In riesigen Lettern steht auf dem Poster aus Lastwagenplanen die „größte Frage der Welt“: „Was würdest du tun, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre?“

Gegner der Initiative machen geltend, das Vorhaben sei nicht bezahlbar. Sie verweisen auf Berechnungen von Ökonomen der Universität St. Gallen: Danach müssten selbst beim Wegfall aller bisherigen Sozialleistungen noch jährlich 150 Milliarden Franken (136 Milliarden Euro) für die Grundeinkommen aufgebracht werden. Dafür müsse die Mehrwertsteuer auf über 50 Prozent steigen.

Die Initiatoren widersprechen. Eine intelligente Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums würde Steuererhöhungen unnötig machen: „Das Grundeinkommen ist finanziell gesehen ein Nullsummenspiel.“ Große Chancen auf Annahme hat die Initiative kaum. Das angesehene Meinungsforschungsinstitut gfs.bern geht von gut 70 Prozent „Nein“-Stimmen aus.

Traditionell sind den Schweizern Sozialmaßnahmen mit umstrittener Finanzierung suspekt. So scheiterten an den Wahlurnen Initiativen für einen Mindestlohn in Höhe von seinerzeit umgerechnet rund 18,50 Euro und für eine Verlängerung des gesetzlichen Mindesturlaubs von vier auf sechs Wochen.

Immerhin hat der Grundeinkommen-Vorstoß die Debatten zu dem Thema beflügelt. Einer der eifrigsten Verfechter ist dabei der frühere griechische Finanzminister Gianis Varoufakis. „Die Robotisierung ist längst im Gange, Roboter kaufen aber keine Produkte“, sagte er dem Zürcher Tages-Anzeiger. Ein Grundeinkommen könne soziale Folgen der digitalen Revolution auffangen. Und die Schweiz eigne sich doch als besonders wohlhabendes Land „ideal für Experimente“. (dpa)