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Die Glöcknerin von Herzogswalde

Barbara Franz hängt sich täglich an die Seile. Mit der Handarbeit wird es aber bald vorbei sein.

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© Andreas Weihs

Von Annett Heyse

Herzogswalde. In dem großen Uhrenkasten tickt es rhythmisch: Tick, tack, tick, tack. Dann ein lautes Klacken – es folgen vier Schläge. „Der Stundenschlag“, sagt Barbara Franz und legt schon mal die Hände ans Seil. Es folgen zwölf Glockenschläge, tief und voll: zwölf Uhr mittags. Dann ist Barbara Franz dran. Sie zieht an dem Seil, lässt es durch die Hände gleiten, zieht wieder. Die Glocke weit über ihr in Herzogswaldes Kirchturm beginnt zu schwingen, weit schallt die Mittagsstunde übers Dorf, drei Minuten lang. Dann lässt sie das Seil nach oben rucken, die Glocke pendelt noch kurz aus, bevor es wieder ruhig wird. Jetzt ist nur noch das Vogelgezwitscher von draußen zu hören.

Kirchen, in denen noch per Hand geläutet wird, sind selten geworden. Die meisten Gotteshäuser bekamen schon vor Jahrzehnten eine elektrische Anlage. Ein Knopfdruck und es bimmelt. „Es gibt sogar Geläute, die per Fernbedienung gestartet werden. Da kann man ganz bequem vom Sofa aus läuten“, hat Barbara Franz erfahren. Nicht so in Herzogswalde. Hier sind nur die Holzstufen im Turm erneuert worden, die Barbara Franz täglich zweimal hoch- und wieder heruntersteigen muss. Seit 1982 ist sie fürs Läuten zuständig.

Im Winter zeitig Feierabend

Die Kirche hat drei Glocken und dafür drei Seile. Am Sonntag zum Gottesdienst erklingt das volle Geläut, ebenso sonnabends 18 Uhr. Wochentags wird nur die mit dem mittleren Ton geschwungen, immer zwölf und 18 Uhr, im Winter schon 16 Uhr. So zeitig? Barbara Franz zuckt die Schultern. „Das ist so Tradition in Herzogswalde.“ Aber natürlich werde in den Nachbarorten schon mal gewitzelt, die Herzogswalder hätten aber einen zeitigen Feierabend.

Dass die heute 74-Jährige die Glöcknerin wurde, ergab sich durch Zufall. In einer Pfarrersfamilie aufgewachsen, studierte Barbara Franz Kirchenmusik und Gemeindepädagogik. 1974 führte sie der Beruf nach Herzogswalde, wo sie Kantorin wurde. Sie bekam eine Wohnung im Pfarrhof, zog vier Kinder groß und kümmerte sich neben dem Orgelspiel auch um die Verwaltung der Kirchgemeinde. Als 1982 der alte Glöckner starb, übernahmen die Konfirmanden das Abendläuten, tagsüber dagegen blieb es still. „Die saßen ja um die Mittagszeit in der Schule.“ Also übernahm Barbara Franz, unterstützt von ihren Kindern, das Mittagsläuten und später auch das zur Abendstunde, an den Wochenenden, zu Hochzeiten und Trauerfeiern.

Entweder Orgel spielen oder Glocken läuten

Wobei sie bei den Festgottesdiensten auch heute noch an der Orgel sitzt und deshalb an den Glockenseilen in der Regel vertreten wird – beides zugleich geht nicht. Neben dem täglichen Läuten kümmert sich die aktive Rentnerin auch um die Kirche. Sie fegt das Gotteshaus, lüftet, stellt den Blumenschmuck hin.

Können Sie bei so vielen Verpflichtungen überhaupt mal in den Urlaub fahren, Frau Franz? Die Glöcknerin schmunzelt. „Ich bin ein sesshafter Typ. Nur einmal in den vergangenen Jahren, 2012, da war ich in Israel.“ Das war im Februar und es war in Sachsen damals so kalt, dass sie keinem zumuten wollte, sie im kalten Kirchturm an den Seilen zu vertreten. Damals fiel das Läuten aus. „Die Herzogswalder haben es verkraftet.“

Ansonsten richte sich ihr Tagesgeschehen nach den Läutzeiten. Alles eine Frage der Organisation, meint Barbara Franz. Aber natürlich, gibt sie zu, sei sie auch schon mal zu spät zum Läuten gekommen oder musste es ganz ausfallen lassen. „Das ist aber äußerst selten vorgekommen.“ Sie sei da sehr gewissenhaft.

Deshalb macht sie der Gedanke, dass es mit dem Hand-Läuten irgendwann einmal auch in Herzogswalde vorbei sein wird, ein bisschen traurig. Die Kirchgemeinde plant, zwei Glocken zu ersetzen. In sechs bis sieben Jahren soll es soweit sein. Dann wird auch ein neuer Glockenstuhl gezimmert und die Anlage elektrifiziert. Derzeit werden dafür Spenden gesammelt.