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Die geniale Idee des Pfarrers

Der Bauernhof Kunze wird für einen Tag zur Kirche. Nicht nur Pfarrer Sebastian Zehme ist von der Resonanz überwältigt.

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© Andreas Weihs

Von Jörg Richter

Blattersleben. Beten, Bratwurst, Bulldogfahren. Das dreifache B ist beim ersten Bauernhofgottesdienst des Kirchspiels Großenhain voll aufgegangen. Wo? Natürlich in B wie Blattersleben. Rund 200 Leute besuchten am Sonntag den Gottesdienst auf dem hiesigen Bauernhof von Gunter und Annelies Kunze. Dort stand am Eingang zur Scheune ein Zeltdach, falls es regnen würde. Doch der Himmel meinte es gut mit den Besuchern. Und so wurde aus dem Regen- ein Sonnenschutz. Dass bei Weitem nicht alle drunter passten, freut die drei Pfarrer Dietmar Pohl, Jörg Matthies und Sebastian Zehme umso mehr. Letzterer war der Initiator für diesen ersten Bauernhofgottesdienst im Kirchspiel Großenhain. „Ich habe diese Idee aus dem Vogtland mitgebracht“, sagt Zehme. Der Lenzer Pfarrer arbeitete dort acht Jahre lang. „Dort hatten wir zur Premiere 80 Leute“, erzählt er. „Das hier sind wesentlich mehr und übersteigt alle meine Erwartungen.“

Die zahlreichen Gottesdienstbesucher hatten unter dem Zelt auf dem Kunze-Hof gar nicht Platz. So groß war der Andrang.
Die zahlreichen Gottesdienstbesucher hatten unter dem Zelt auf dem Kunze-Hof gar nicht Platz. So groß war der Andrang. © Andreas Weihs

Der Sinn der Bauernhofgottesdienste sei es, auch mal in die Dörfer zu gehen, in denen es keine Kirche gibt. „Denn gerade hier sind die alten Werte noch fester verwurzelt als in den Städten“, so Zehme. Da seien auch viele Leute bereit, bei der Organisation und beim Durchführen mitzuziehen. „Außerdem ist es für mich als Pfarrer auch eine gute Gelegenheit, vor Ort präsent zu sein.“ Dass er sich für den diesjährigen Bauernhofgottesdienst ausgerechnet Blattersleben aussuchte, hatte mehrere Gründe. Einer davon ist privater Natur. Der gebürtige Oschatzer besitzt in Glaubitz einen Cousin, der in Blattersleben eingeheiratet hat. Zehme: „Deshalb kenne ich auch ein paar Blatterslebener schon länger und weiß, dass hier aufgeschlossene und herzliche Leute wohnen.“

Bei einem Ausflug nach Blattersleben sei ihm der Kunze-Hof besonders aufgefallen. An die gelbe Außenwand der Scheune ist ein Bild gemalt. Es zeigt einen Bauern, der mit einem Pferdegespann das Feld pflügt. Darunter steht ein dreizeiliger Vers, der von der mühevollen Arbeit und dem unumstößlichen Gottvertrauen der Bauern zeugt. Dieses Bild ist der beste Altar, den ein Bauernhofgottesdienst haben kann, dachte sich der Pfarrer und fragte im Frühjahr bei der Familie Kunze nach.

„Ich dachte erst, dass wir beim Frühlingsfest in Lenz helfen sollen“, erzählt Annelies Kunze. „Da hatten wir leider keine Zeit.“ Doch dann offenbarte Zehme, was er in Blattersleben vorhabe. Sofort war Annelies Kunze von dieser Idee begeistert. Auf Zehmes Frage, ob sie noch eine Nacht darüber schlafen und erst einmal ihren Mann dazu befragen wolle, antwortete sie: „Heute bin ich mal der Chef. Das machen wir, Herr Pfarrer!“ Ehemann Gunter Kunze war von der Idee genauso angetan. Wohl auch, weil er dadurch den vielen kleinen Gottesdienstbesuchern anschließend eine riesige Freude bereiten kann. Er startet nach dem letzten Amen seinen Lanz Bulldog, Baujahr 1940, hängt den Kremserwagen an und fährt mit den Kindern eine Runde um das Dorf. Etwa fünf Touren macht er mit dem Bulldog-Gespann und ist dadurch der Held des Tages für die Jungen und Mädchen. Und auch für die Mütter und Väter, die entspannt Bratwurst, belegte Brötchen oder Kuchen essen können. Ein Akkordeonspieler aus dem benachbarten Diesbar-Seußlitz sorgt für gesellige Musik. Und so stimmt mancher Gottesdienstbesucher nach den verklungenen Kirchenliedern auch in Hans Albers’ Gassenhauer „Auf der Reeperbahn, nachts um halb eins“ ein.

„Es ist großartig, was hier los ist“, sagt Pfarrer Zehme. Er dankt den beiden Kunze-Familien, den Wenzels, den Klingners, der Familie Mai, dem Obsthof Ibisch, dem Posaunenchor des Kirchspiels Großenhain und den vielen anderen Blatterslebenern, die zum Gelingen beigetragen haben. Er freut sich, dass sich auch viele aus Großenhain und anderen Dörfern auf den Weg in die Blatterslebener Berge gemacht haben. Das sei ein hoffnungsvolles Zeichen, dass auch das Kirchspiel Großenhain nach zehn Jahren zusammenwächst. „Manches dauert eben seine Zeit“, sagt Zehme. „Zehn Jahre sind in der Kirche eher eine kurze Zeitspanne.“

Den nächsten Bauernhofgottesdienst soll es trotz des riesigen Erfolges erst im nächsten Sommer geben. Er sei nur einmal im Jahr geplant, so der Lenzer Pfarrer. Und auch immer nur dort, wo kein Gotteshaus steht. „Vieles wird schwarzer gemalt, als es ist, was die Kirche betrifft“, sagt Zehme. Dass der Glaube an Gott eine Zukunft hat, habe diese Premiere gezeigt.

„Von diesem ersten Bauernhofgottesdienst wird man eine Weile reden“, sagt auch Gottfried Wenzel. „Blattersleben hat Maßstäbe gesetzt.“