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IM-Vorwürfe gegen Lech Walesa

Die Witwe des kommunistischen Geheimdienstchefs wollte gestohlene Akten an die Behörden verkaufen.

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© Reuters

Paul Flückiger, SZ-Korrespondent in Warschau

Warschau. Fast zehn Jahre war es in Polen ruhig um die angebliche Geheimdienstmitarbeit von Lech Walesa. Doch nun hat den Nobelpreisträger und Ex-Präsidenten der Schatten der Vergangenheit wieder eingeholt. Am Donnerstag bestätigte das Institut für das Nationale Gedenken (IPN) – das ist die polnische Entsprechung der Gauck-Behörde – den Fund einer handschriftlichen Verpflichtungserklärung Walesas.

Sie stammt aus geheimen Aktenbeständen, die sich der kürzlich verstorbene kommunistische General Czeslaw Kiszczak offenbar in der stürmischen Wendezeit 1989 angeeignet hatte. Die gefundenen Akten seien authentisch, bestätigte IPN-Direktor Lukasz Kaminski auf einer Pressekonferenz. Die Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Geheimdienst stamme aus den frühen Siebzigerjahren und trage die Unterschrift „Lech Walesa Bolek“.

Als IM „Bolek“ soll Walesa laut seinem – der politischen Rechten zugerechneten – Biografen Slawomir Cenckiewicz den Geheimdienst vor allem im Jahr 1971 mit ein paar nichtssagenden Spitzelprotokollen versorgt haben. Bereits 1976, also noch lange vor dem historischen Werkarbeiterstreik in der Danziger Leninwerft, wurde Walesa demnach wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft vom Inlandgeheimdienst (SB) wieder aus der IM-Kartei entfernt. Das ergaben bereits vor acht Jahren veröffentlichte Aktenstudien des IPN-Historikers.

Am Donnerstag schwadronierten trotzdem einige Regierungspolitiker der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gleich von „Hunderten“ mit „Bolek“ unterschriebenen Spitzelprotokollen. „Das sind kleingeistige Leute“, kommentierte Lech Walesa die Aktenfunde. „Den Sieger richtet man nicht“, fügte der einstige Arbeiterheld an.

Die Umstände des neuen Aktenfundes scheinen indes die Verschwörungstheorien der PiS und vor allem ihres Parteichefs Jaroslaw Kaczynskis und seines engen Freundeskreises zu bestätigen. So hatte offenbar ausgerechnet die Witwe Kiszczaks vor ein paar Tagen versucht, dem IPN sechs große Kartonschachteln mit geheimen Akten über IM „Bolek“ für umgerechnet gut 20 000 Euro zu verkaufen. Das IPN ordnete daraufhin eine Hausdurchsuchung an, denn die private Aufbewahrung solch heikler Akten ist in Polen ein Strafbestand. Am Donnerstag wurde auch das Sommerhäuschen der Kiszczaks in Masuren von der Polizei durchkämmt.

Seit Jahren behaupten regierungsnahe Kreise, in der Wende seien wichtige Geheimdienstakten vernichtet oder gestohlen worden. Mit letzteren sollen vor allem wichtige Entscheidungsträger im polnischen Staat immer wieder unter Druck gesetzt worden sein. Als Kronzeuge muss für Polens Rechte dabei immer wieder Jan Olszewski und der Sturz seiner konservativen Regierung im Sommer 1992 herhalten. Sie folgte auf eine von dem umstrittenen heutigen PiS-Verteidigungsminister Antoni Macierewicz publizierte IM-Liste.

Der damalige Staatspräsident Walesa war an Olszewskis Sturz nicht ganz unbeteiligt. Kurz darauf übernahmen die Post-Kommunisten die Macht in Polen. Auf das Jahr 1992 datiert dann auch der Beginn der bis heute unerbittlichen Feindschaft Walesas, eines Teils der heute regierungskritischen Medien wie der Tageszeitung Gazeta Wyborcza, des mächtigen Privatfernsehens TVN auf der einen und den Kaczynski-Zwillingen auf der anderen Seite.

Lech Walesa selbst hat seine Geheimdienstmitarbeit bereits vor Jahren eingestanden, war jedoch immer bemüht, diese als erzwungen und als nutzlos für den Geheimdienst darzustellen. „Alle haben unterschrieben, auch ich tat das“, sagte er 2011 im polnischen Staatsfernsehen. „Ich hatte mich dafür entschieden, weil ich überzeugt war, damit mehr zu schützen als zu schaden. Ich würde es wieder genauso machen“, sagte er damals.

In seiner drei Jahre zuvor veröffentlichten Autobiografie berichtete er von Papieren, die ihm Ende 1970 nach einem Verhör im Zusammenhang mit den blutigen Arbeiterunruhen in Danzig in der Zelle des Geheimdienstgefängnisses unterbreitet worden seien. „Es waren fünf oder sieben Seiten, darunter das Verhörprotokoll“, schreibt er. Er habe nicht lange überlegt und einfach alles unterschrieben, denn zu Hause wartete seine Frau mit einem Kleinkind. „Das war ein Fehler, aber ich habe dies erst später verstanden, nachdem uns das KOR – das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter – geschult hatte“, schreibt er weiter. Das KOR war 1976 übrigens vom heutigen PiS-Minister Macierewiscz mitgegründet worden.