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Die Gebhardts aus Namibia

Die Urenkelin des Weinschank- Gründers meldet sich zu Wort. Zum ersten Mal spricht auch der Eigentümer über sein Vorhaben.

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© Claudia Hübschmann

Meißen. Liebevoll spielt Karin Voigts an dem silbernen Anhänger an ihrer Halskette. „Er hat mir damals in Meißen Tür und Tor geöffnet“, sagt die 74-Jährige und lächelt. Das dreieckige Bildchen zeigt das Logo von Gebhardts Weinschank. Dieses erhielten einst besonders treue Besucherinnen der Traditionsgaststätte auf dem Plossen, die männlichen Stammgäste bekamen ein Silberetui mit dem Logo geschenkt.

Gebhardts Weinschank, wie er im Jahr 1914 aussah, zeigt diese Postkarte aus dem Kunstverlag Brück & Sohn. Nach historischem Vorbild will Besitzer Jürgen Hinz die Gebäude wieder aufbauen, sagt er.
Gebhardts Weinschank, wie er im Jahr 1914 aussah, zeigt diese Postkarte aus dem Kunstverlag Brück & Sohn. Nach historischem Vorbild will Besitzer Jürgen Hinz die Gebäude wieder aufbauen, sagt er. © Brück & Sohn

Karin Voigts besitzt den kleinen Anhänger jedoch aus einem anderen Grund: Sie ist die Urenkelin des Gründers von Gebhardts Weinstuben; Richard Gebhardt war der Onkel ihres Vaters. Dieser war Wirt in der Zeit zwischen den Kriegen, ließ die drei Gasträume errichten und das große, hölzerne Bacchusweinfass aufstellen.

In der vergangenen Woche war Karin Voigts mit ihrem Mann Reinhard zu Besuch in Meißen. Das verdient besondere Erwähnung, da ihr Zuhause die Farm Voigtskirch in der Nähe von Windhoek in Namibia ist und das Ehepaar die rund dreizehn Stunden Flugzeit wieder einmal nur für den Weinschank überwunden hat – oder für das, was davon übrig ist.

„Ich bin natürlich traurig, wenn man das sieht“, sagt Karin Voigts, als sie am vergangenen Donnerstag vor den Ruinen der ehemaligen Ausflugsgaststätte steht. Es sind nur noch die Grundmauern übrig, der einstige Charme lässt sich höchstens noch erahnen. Als sie das erste Mal hier stand, im Januar 2011, hatte das Haus noch ein Dach, wenn auch schon Vieles davon herunterfiel. „Man musste aufpassen, wo man lief.“

Anders als viele Meißner, darunter mehrere Stadträte, macht die Urenkelin jedoch nicht den Besitzer Jürgen Hinz für diesen Zustand verantwortlich. „Man hat ja nicht erwartet, dass die Bausubstanz so schlecht ist“, sagt Karin Voigts. Hinz habe versucht, zu erhalten, was zu erhalten war. „Aber dann hat er festgestellt, er muss noch weiter runter und noch weiter runter.“ Deshalb ärgert es sie, wenn in der Presse von einem „Abriss“ die Rede ist. „Das ist nicht richtig. Es ist ein Abbau.“ Laut Hinz wurde diese Entscheidung vom Architekten und dem Statiker getroffen.

Ob Abbau oder Abriss, die Frage ist, ob Hinz das Kulturdenkmal überhaupt so weit abtragen durfte. Derzeit befinden sich Denkmalpflege und Stadt im Gespräch mit dem Eigentümer, für das zurückgebaute Hauptgebäude mussten ergänzende Bauunterlagen eingereicht werden, die derzeit vom Denkmalschutz geprüft werden. Sicherungsmaßnahmen dürfen laut Hinz an allen Gebäuden durchgeführt werden.

„Ich hänge natürlich sehr daran und bin sehr interessiert, dass Herr Hinz weiterbauen darf“, sagt Karin Voigts. „Wenn das nicht geht, würde es so bleiben wie jetzt. Und das wäre furchtbar.“

Zum ersten Mal äußert sich auch der Unternehmer, der das Grundstück vor acht Jahren bei einer Zwangsversteigerung gekauft hat, zu seinem Bauvorhaben. Er bestätigt, einen historisierenden Neubau errichten zu wollen. Er wolle „das Gebäudeensemble wieder in seiner alten Schönheit zur Geltung bringen“, erklärt Hinz. Deshalb habe er sich bewusst für die originalgetreue Sanierung entschieden. Dazu gehöre auch, die Gebäude der Remise und der kleinen Gaststube nach altem Vorbild wieder zu errichten. Beide waren durch Brandschatzung zerstört worden.

Hinz lässt sich das viel Geld kosten, die ursprünglich geplanten Baukosten überstiegen schon zu über 50 Prozent die eines Neubaus in vergleichbarer Größe. In einer Mappe zeigt er Baupläne für das Grundstück und unzählige alte Fotos von Gebhardts Weinschank, die er und seine Frau über die Jahre gesammelt haben. Dem gegenüber stellt er andere Bilder: vermoderte Holzbalken, völlig von Wurzeln durchsetzte Wände. Letztere wurden erst am 19 . Juni aufgenommen. „Das kann man gar nicht erhalten“, sagt Hinz.

Wie konnte es überhaupt so weit kommen mit dem Gebäude? Vor sieben Jahren habe er mit der Planung begonnen, erklärt Hinz. Damals habe es erste Termine mit der Denkmalpflege gegeben, bei denen festgelegt wurde, dass das Haus erst einmal komplett freigelegt werden muss. „Das Mauerwerk war völlig durchfeuchtet“, sagt Hinz. Rund vier Jahre lang habe es gedauert, bis es halbwegs trocken gewesen sei. Dass das Mauerwerk so marode sei und die Grundmauern buchstäblich auf Sand gebaut, habe sich erst beim Freilegen der Bodenplatte und der Grundmauern ergeben. „Allein durch diese Tatsachen werden sich die Rohbaukosten erheblich erhöhen.“

Von seinem Vorhaben abbringen lassen will er sich trotz all dieser Widrigkeiten nicht. Als Karin Voigts nach ihrem ersten Besuch bei Gebhardts Kontakt zu Hinz aufnahm, flog er schon drei Wochen später mit Bauplänen zu ihr nach Namibia, seitdem war er noch rund fünfmal dort.

„Er hat sein Herz an den Weinschank verloren“, sagt Karin Voigts. Auch deshalb vertraut die Rentnerin dem Unternehmer dieses Stück Familiengeschichte gerne an. Hinz erzählt, wie seine Eltern sich 1962 beim Tanz im Weinschank kennengelernt haben. Er selbst besuchte später den Kindergarten im Waldschlösschen und ging immer durch den Park hoch zum Weinschank, der damals Verzerrspiegel an einem Seitengebäude hatte. „Das war für uns immer fantastisch“, sagt Hinz. Das Bacchusweinfass für den Gästesaal hat er bereits vom Schnitzer Günter Weichelt aus Schmiedeberg neu schaffen lassen. „Bewahre, was die Sonne reifte“, steht darauf.

Fürs Erste nimmt Karin Voigts wieder Abschied vom Weinschank. Wenn sie das nächste Mal nach Meißen kommt, soll das zum Richtfest sein, hofft sie.