Merken

Die Frau für Schuldfragen

Früher arbeitete Anke Schinkel mit höheren Beträgen, heute berät sie Menschen, die tief in den roten Zahlen stecken.

Teilen
Folgen
© Sven Ellger

Von Nadja Laske

Dresden. Es hört sich an, als habe einer keine Manieren, könne nix und sei faul. Eigenschaften, die verpönt und selbst verschuldet sind. Verschuldet. Genauso endet dann einer, der nicht mit Geld umgehen kann. Rote Zahlen im privaten Leben gelten als hausgemacht. Dass es so einfach nicht ist, weiß Anke Schinkel nur zu gut. Sie selbst versteht es besser als viele andere, mit Geld umzugehen. Geld ist und war ihr Job. Doch inzwischen widmet sich die Mitte Vierzigjährige Menschen, die genau das nicht haben: kein Geld und oft auch keinen Job.

Anke Schinkel sitzt in einem überschaubaren Büro des Caritasverbandes an der Schweriner Straße. In diesen kleinen Raum passen unzählige Geschichten, Leidenswege der Frauen und Männer, die zu ihr kommen, weil sie in einer Sackgasse gelandet sind. Den Gang zurück versperren klagende Gläubiger, Richter, Gerichtsvollzieher und stapelweise ungeöffnete Briefe von denen, die auf ihr Geld warten. Geld, das sie von Anke Schinkels Klienten bekommen müssten. Die aber sind pleite. Zahlungsunfähig. Anke Schinkel berät sie und begleitet einige von ihnen sogar durch eine sogenannte Verbraucherinsolvenz.

Größtes Risiko: Trennungen

So wie die Mutter zweier Kinder, die sich mit einer eigenen Praxis selbstständig gemacht und dafür einen Zigtausend Euro schweren Kredit aufgenommen hat. Aber ihr Ehemann brennt mit der Nachbarin durch und verschwindet folglich mit der Hälfte des Familieneinkommens in sein neues Leben. Haus, Praxis, Autorate, Lebenskosten für drei Personen lasten nun auf ihr allein. Diese Geschichten erzählen nicht nur Filme, die schreibt das Leben.

Genau wie die vom verlassenen Ehemann, der aus der gemeinsamen Eigentumswohnung auszieht, zu trinken beginnt, den Job verliert, völlig entgleist. „Die wenigsten Schuldner sind in die Bredouille geraten, weil sie einfach nur zu viel eingekauft haben und ihr Geld nicht beisammenhalten konnten“, weiß Anke Schinkel. Meistens stecken schwere Schicksalsschläge dahinter. An erster Stelle stehen Trennungen und Scheidungen. Und noch einen Eindruck gewinnt sie immer wieder: „Schuldnern sind ihre Schulden nicht egal. Sie leiden darunter.“

Früher gehörten Geld und Kredite zu Anke Schinkels Tagwerk. Jetzt arbeitet sie mit Klienten, die bei keiner Bank oder Sparkasse ein Darlehen bekämen. Nach ihrem Schulabschluss im Wendejahr blieben viele Abiturienten ohne Studienplatz, erzählt sie. Die Hochschulen und Universitäten wurden umstrukturiert, gerade die Fachrichtung Ökonomie, für die sich Anke Schinkel interessierte, bedurfte einer Reform. „Also habe ich eine Ausbildung zum Finanzkaufmann begonnen. Finanzkauffrau, den Begriff gab es damals noch nicht.“ Sie wurde Sparkassenfachwirt, bekam eine Anstellung und leitete schließlich eine Filiale.

Als Auszubildende erlebte sie die Währungsunion von der Mark zur D-Mark mit, die Einführung neuer Technik und neuer Produkte. „Das war eine tolle Zeit“, sagt Anke Schinkel. Zehn Jahre später folgte die zweite Union, der Wechsel von der D-Mark zum Euro. Die Umstellung erstreckte sich bis ins Jahr 2002, da war die Finanzfachfrau bereits zum ersten Mal Mutter geworden und hatte nach der Babypause zunächst wieder zu arbeiten begonnen. Dann jedoch rückten andere Pläne in ihren Fokus. Ein langgehegter Traum.

„Ich wollte doch noch studieren, jetzt war es die richtige Zeit“, sagt sie. Ihr Mann hatte studiert, als sie jeden Tag in der Sparkasse arbeitete, nun wechselten die Eheleute ihre Aufgaben. Mit 32 Jahren schrieb sich Anke Schinkel an der TU Dresden ein. Nicht Wirtschaft reizte sie, sondern die Erziehungswissenschaft. Pädagogik, Psychologie, Soziologie und Recht sollten nun ihren Arbeitstag füllen. Das Sozialwesen empfand sie immer als wichtig und spannend, sagt sie. „Meine Praktika habe ich mit psychisch kranken Menschen im Dresdner St.-Marien-Krankenhaus verbracht und später mit Erwachsenen im ambulanten betreuten Wohnen.“

Nach der Geburt ihres zweiten Kindes ging Anke Schinkel an der Uni auf die Zielgerade. „Als ich nach dem Studium Arbeit suchte, fand ich die Ausschreibung der Stelle als Schuldnerberaterin, und das hat geklappt.“ Bestens geschult im Umgang mit Menschen in Notlagen, zum Teil auch in psychisch schlechter Verfassung, und fit in Recht und Finanzwesen, war sie die ideale Besetzung.

Recht auf kostenlose Hilfe

Seit vier Jahren unterstützt sie nun ihre Klienten auf dem Weg in die Schuldenfreiheit. Im Schnitt dauert die Betreuung anderthalb Jahre. Die Beraterin klärt mit den Hilfesuchenden, welche Forderungen zuerst zu bedienen sind und welche warten können, handelt mit Gläubigern Stundungen oder Ratenzahlungen aus, sogt mit dafür, dass die Schuldner ihre Lebenskosten decken und sich auf ihren Alltag konzentrieren können. „Erstes Ziel ist es, ihre Existenz zu sichern“, sagt sie. Das ist eine Menge Arbeit für beide Seiten. Die meisten Betroffenen kommen erst zur Beratung, wenn wirklich nichts mehr geht. „Viele erzählen nicht einmal nahen Angehörigen von ihrer Situation. Das Thema Schulden ist stark mit Schamgefühlen behaftet.“

Doch jeder Dresdner hat das Recht auf kostenlose Schuldnerberatung. Das bietet nicht jede Kommune. Neben der Caritas gibt es vier weitere Anlaufstellen in der Stadt. Außerdem hat Anke Schinkel eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Geldsorgen und Schulden gegründet. Sie trifft sich jeden zweiten Dienstag im Monat, 18.30 Uhr bis 20 Uhr, zum nächsten Mal am 8. August in der Schweriner Straße 27.

Die eigenen Finanzen in den Griff zu bekommen, bringt Selbstwertgefühl zurück. Das beobachtet Anke Schinkel dort und im Beratungsraum. „Ich kann mir keinen schöneren Job wünschen.“

www.caritas-dresden.de