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Verrückt genug für ein Wagnis

Jetzt sagt die 32-jährige neue Besitzerin des Bahnhofsgebäudes in Neukirch, woher sie den Mut nimmt für ihre Millioneninvestition.

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© Wolfgang Schmidt

Von Carolin Menz

Neukirch. Marika Barber ist verliebt über beide Ohren. In ein Dach, durch das der Himmel lukt. In Blümchentapeten, die sich von der Wand schälen, weil sie so nass sind. In die originalen Holzdielen, die unter Linoleum schlummern. In bröckelnde Fassaden. Alles so verdammt alt in diesem Bahnhof West. Und doch so reizend für Marika Barber. Sie holt tief Luft. Als ob sie sich jetzt rechtfertigen müsse, dass sie sich einlässt auf dieses Abenteuer. Das mutig ist, bisschen verrückt. Und eine Mammutaufgabe für die junge Sozialpädagogin. Die 32-Jährige ist neue Eigentümerin des ehemaligen Empfangsgebäudes in Neukirch.

Die oberen Fenster des ehemaligen Empfangsgebäudes stehen offen, damit das Haus austrocknen kann.
Die oberen Fenster des ehemaligen Empfangsgebäudes stehen offen, damit das Haus austrocknen kann. © Wolfgang Schmidt
Die einstige Eingangshalle. Die originalen Bodenfliesen und Türen aus der Gründerzeit sind noch gut erhalten.
Die einstige Eingangshalle. Die originalen Bodenfliesen und Türen aus der Gründerzeit sind noch gut erhalten. © Wolfgang Schmidt

Zum 1. Juni kaufte sie das Denkmal für 18 000 Euro vom Vorbesitzer, der als einer von bereits drei privaten Eigentümern aus der Ferne zuließ, dass das ehemalige Empfangsgebäude aus der Gründerzeit fast gänzlich verfiel. „Ich bin im vergangenem Herbst bei Ebay auf den Bahnhof gestoßen. Ich suchte nach einem Lager oder einer Werkstatt, um meinen angesammelten Trödel zu lagern“ sagt Marika Barber. Seit Jahren ist sie begeisterte Sammlerin von Antikem, Trödel, Dingen eben, die andere achtlos wegwerfen. Im Zuhause in Demitz sei längst kein Platz mehr für all das, sagt sie. „Natürlich hab ich die Anzeige zunächst weggeklickt. Was macht man schon mit einem Bahnhof?“ Aus dem Kopf ging ihr das Empfangsgebäude dennoch nicht als so gut geeignetes Depot für ihre Schätze. „Und als ich dann mal live davor stand, verliebte ich mich sofort. Da war klar: Das hier darf unmöglich verfallen, das muss bewahrt werden.“

Ein Leben mit Zügen

Das mutige Vorhaben nahm seinen Lauf. Unkomplizierter als angenommen. Der bisherige Eigentümer gesprächs- und verhandlungsbereit, die Bahn kooperativ. „Natürlich habe ich mich kundig gemacht, wie es ums Gebäude steht“, sagt Marika Barber. Das große Loch im Dach und die eingedrungene Nässe ließ nichts gutes ahnen. „Doch insgesamt ist die Bausubstanz eine sehr gute“, sagt der Bausachverständige Hilmar Köhler, der sie nun begleitet in allen Baufragen. Ebenso wie Mama Karin Barber und ihr Lebensgefährte. Finanziell und moralisch. Die Tochter war nicht abzubringen. „Bahnhöfe faszinieren mich. Meine Großeltern wohnten im Bahnhof Bischofswerda. Das Flair, der Geruch, die vorbeirauschenden Züge. All das liebe ich“, sagt sie. Nun rauscht es vor der eigenen Tür, die Marika Barber zunächst provisorisch befestigt hat.

Neukirch liegt an der Strecke zwischen Bautzen und der sächsischen Schweiz. Viermal in der Stunde halten Züge hier noch bei Bedarf. Früher gab’s freilich mehr Trubel hier, wo Pendler ein- und ausstiegen, Fahrkarten verkauft wurden, Gepäck und Handelswaren aufgegeben und Bierdurstige in der Wirtschaft versorgt wurden. Bis zu sieben Familien lebten in den Wohnungen im Mitteltrakts des Gebäudes zeitweise. Das Geld für den Kauf borgte sich die junge Frau, die 2002 in Schiebock Abi machte, ein Jahr Australien bereiste und ab 2004 in Görlitz Soziale Arbeit studierte. Auch die Mittel, die sofort für dringende Bauarbeiten investiert werden müssen, liegen bereit, sagt Marika Barber. Das Dach wird nun repariert, das Gebäude überhaupt erstmal zugänglich gemacht. Marika Barber erledigt vieles selbst. Entkernt vom Dachgeschoss bis ins Erdgeschoss, kratzt mühsam Tapeten von Wänden, kehrt Schutt zusammen.

Pläne sind der Ansporn

Irgendwo muss es ja losgehen. Baustelle überall. Ein Ende nicht absehbar. „Schätzungsweise rund eine Million Euro muss ich investieren, um das alles zu restaurieren, wie es für das denkmalgeschützte Haus nötig ist.“ Marika Barber hofft auf zahlreiche Fördermöglichkeiten und natürlich Sponsoren. Eine Million! Für die Sozialpädagogin in einem Jugendhaus in Heidenau anders niemals allein zu finanzieren. Und dann die Zeit! „Ja, mir ist schon klar, dass ich in den nächsten Jahren jede freie Minute hier stehen werden,“ sagt Marika Barber. Ansporn sind die Pläne. „Als erstes werde ich mir ein privates Lager einrichten für meinen Trödel und eine Werkstatt, um Möbel zu restaurieren.“ Im Westflügel und im Mitteltrakt könnten langfristig Veranstaltungs- und Schulungsräume oder wieder Wohnungen eingerichtet werden. Die ehemalige Gaststätte könnte zum Multifunktionsraum mit Küche umgebaut werden. Neukirchs Bürgermeister Jens Zeiler – begeistert vom Vorhaben der Demitzerin – würde gern auch Touristen anziehen wollen, wie er sagte. Der beliebte Valtenberg sei schließlich nicht weit. Marika Barber ist offen für Anregungen potenzieller Nutzer und Mieter.

Die Netz AG der Bahn bleibt Mieter des Technikraums. Der Bahnsteig ist quasi Grundstücksgrenze. „Dieser bleibt im Besitz von DB Service. Die Bahn kümmert sich um Ordnung, Sicherheit und Schneeschippen im Winter.“

Marika Barber nimmt langsam Besitz von ihrem Bahnhof. Ein paar Trödelstücke trug sie schon hinein, mitten ins vermeintliche Chaos. Draußen rauscht ein Zug vorbei. Sie hört ihn gar nicht.

Neugierig? Zum Tag des offenen Denkmals am 11. September öffnet Marika Barber ihren Bahnhof von 10 bis 18 Uhr. Wer Anekdoten zu erzählen oder Erinnerungsstücke zum Bahnhof abgeben will, ist jederzeit willkommen.