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Die Firma Semperopernball

Der Frankfurter Ball ist pleite, der Dresdner ausverkauft. Wie zwei Männer und ein Verein hinter der Bühne agieren, und warum der MDR mehr mitzureden hat als die Oper.

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Von Katrin Saft

Mister Semperopernball lächelt, auch wenn er innerlich kocht. Soeben hat MDR-Moderator René Kindermann die Pressekonferenz abgesagt. Sorry, krank! Und die Journalisten warten schon. Kindermann sollte ihnen das Programm mit präsentieren. Staatstragend verliest der Ballchef nun selbst die Namen der Prominenten, die am 1. Februar über den Roten Teppich schreiten: „Peter Ramsauer“, Pause, „Ralph Siegel“, Pause, „Nina Eichinger“, Pause, „Sonja Kirchberger. . . So viele, wie nie zuvor!“ Das sagt er jedes Jahr.

Hans-Joachim Frey ist Mister Opernball: Organisationschef und Künstlerischer Leiter in Personalunion. Frey schreibt am Programm. Frey akquiriert die Preisträger. Frey spricht mit Staatskanzlei und Bundeskriminalamt über Protokoll und Sicherheit. Ohne sein Okay läuft gar nichts. Und ohne ihn würde es den Semperopernball vermutlich nicht mehr geben. Denn der 46-Jährige glaubt an eine höhere Idee. Es gehe nicht darum, den Reichen und Schönen einen weiteren Party-Termin zu bescheren. Es gehe um Dresden. Die Stadt soll zeigen, dass sie nicht nur von August und Barock zehrt. Sie soll raus aus ihrem Provinzdasein und international strahlen. Und dazu braucht es ein hochkarätiges Publikum, das sich ohne den Ball niemals ins ostdeutsche Grenzgebiet verirren würde. Ein Publikum, das seine Begeisterung über Dresden in die Welt trägt.

Für diese Idee pfeift Frey schon mal drauf, ob es politisch korrekt ist, Leute wie Putin zum Ball einzuladen. Er überhört Klagen über zu viele oder zu langweilige Lobreden für Preisträger, deren Verdienste sich in Dresden schwer vermitteln lassen. Nur große Namen bringen große mediale Präsenz. Und die braucht der Ball, um ganz vorne mitzuspielen: Jean-Claude Juncker, Martin Winterkorn, Michael Ballack. Der Deutsche Opernball in Frankfurt ist pleite, der Nürnberger in den roten Zahlen. Potente Firmen, die früher schnell mal einen Tisch buchten, wollen in der Öffentlichkeit nichts mehr mit luxuriösen Feiern zu tun haben. Eine Ballkarte in Dresden kostet bis zu 2 262 Euro. Und trotzdem verkündet Frey: „Die Semperoper ist ausverkauft.“ Wie, bitte, schafft er das?

Der wichtigste Mann an Hajo Freys Seite unterscheidet sich nicht nur optisch von ihm. Frey im Anzug, tongenau in der Farbe des gerade vorgestellten Ball-Almanachs. Daneben Bernd Aust im roten Rolli, karierten Sakko und einem Ring im Ohr – mit fast 68 Jahren. Aust ist der zweite Vorsitzende des Unternehmens Semperopernball: ein kleiner Verein, eine reine Männerrunde, die sich nach der Arbeit trifft.

Im Gegensatz zu Frey agiert Aust lieber im Stillen. Als Konzertveranstalter in Dresden kennt er viele Künstler oder zumindest deren Manager persönlich. Aust weiß, wie man hart um Honorare verhandelt und wie man mit der Gema klarkommt. Als Veranstalter des Stadtfestes versteht er es, Massen zu begeistern und mit Millionen zu jonglieren. Und er ist sich nicht zu schade, die Klein-Klein-Probleme mit den Behörden zu klären: Brandschutzgutachten und Bauantrag, die für jeden Ball wieder neu gefordert werden. Auflagen fürs Feuerwerk, Absperrungen. Und wer schiebt vor der Oper Schnee, wenn es am Ballabend schneit?

Rainer Naseband rechnet exakt aus, wie viel Geld Aust ausgeben darf: 4.000 Euro fürs Schneeschieben, mehr nicht! Am besten natürlich, die Nacht bleibt klar. Den Finanzchef der Firma Semperopernball kennt kaum jemand – ein pensionierter Banker, der streng über das 1,6 Millionen-Budget wacht. Der Ball erhält keine Zuschüsse. Er muss sich aus Ticket-Einnahmen und durch Sponsoren tragen. Frey, Aust und die anderen drei Vorstände haften mit ihrem Privatvermögen.

Vorstand Georg Leicht kann heute nicht nach Dresden kommen. Der Juwelier lässt in seinem Atelier in Pforzheim gerade die neuen Dankorden fertigen. Wenn Ballack oder Juncker am Ballabend die Schmuckstücke entgegennehmen, wird auf der Schatulle in goldenen Buchstaben sein Firmenname zu lesen sein – werbewirksam auch im Fernsehen. „Was niemand sieht, ist unser Risiko“, sagt Leicht, einer der Gründer des Ballvereins. Allein Orden und Benefizpreis lässt er sich über 40.000 Euro kosten. Unbezahlbar indes sind seine Kontakte zu vermögenden Kunden, die er für den Ball in Dresden begeistert. Sein Familienunternehmen betreibt zum Beispiel die Wellendorff-Boutique im Berliner „Adlon“ und Juwelierläden auf Kreuzfahrtschiffen.

Die größte Loge in der Semperoper kauft Leicht jedes Jahr selbst und lädt dort Prominente wie Roger Whittaker oder Jose Carreras ein. Diesmal bringt er 53 Damen und Herren vom feinen Hapag-Lloyd-Club mit. „Alles Menschen, die viel unterwegs sind, Multiplikatoren also“, sagt er. Zwar zog der Juwelier vor Jahren von Dresden nach Pforzheim zurück. Doch wenn er über die Elbestadt spricht, glänzen seine Augen wie seine hochkarätigen Schmuckstücke.

Für die wichtigsten Ballgäste hält Hoteldirektor Gerold Held seine schönsten Suiten im Taschenbergpalais bereit. Die Gläserne Manufaktur holt die Herrschaften mit Phaetons vom Flughafen ab und chauffiert sie bis zum Roten Teppich. Die Semperoper, der der Ball seinen Namen verdankt, ist nüchtern betrachtet nur Vermieter. Der Ballverein zahlt 70.000 Euro dafür, dass er das Haus nutzen darf – fünf Tage mit Auf- und Abbau. Hinzu kommen 130.000 Euro für Dienstleistungen. Von früheren Befindlichkeiten keine Spur mehr. Der amtierende Intendant Wolfgang Rothe hat den Imagegewinn für die Oper erkannt und garantiert dem Ball bis 2016 vertragliche Sicherheit. Die Verwandlung in eine Festzone ist geübt. Wenn sich am 28. Januar der Vorhang nach „Don Carlo“ senkt, bauen über 200 Handwerker rund um die Uhr Stühle aus, verkleiden Bühnen, verlegen Tanzparkett und kilometerlange Kabel. Der Deutsche Meister für Floristik macht selbst aus einem fensterlosen Ballettraum einen glanzvollen Spiegelsaal.

Einfluss aufs Ballprogramm freilich hat die Semperoper nicht. Zwar spielt die Staatskapelle, singt der Opernchor. Aber den Ton gibt der Mitteldeutsche Rundfunk an. Weil der Sender vier Stunden live überträgt, möchte er vor allem die Zuschauer daheim unterhalten wissen. Das kollidiert zuweilen mit der gewünschten Hoch- und Ballkultur. Doch Frey weiß, wie er auch nicht so gute Nachrichten als gut verkauft: „Wir bieten einmaliges Klassik-Entertainment“, sagt er. Startenor und Staatskapelle, Zirkus und Gotthilf Fischer. Roberto Blanco soll draußen volkstümlich „Dresden, Dresden“ singen, frei nach dem Dschinghis Khan-Hit „Moskau, Moskau“.

Hajo Frey braucht den MDR als Partner. Denn erst der sorgt dafür, dass sein Ball keine geschlossene Veranstaltung bleibt, sondern zur Show wird.

In einem spartanisch eingerichteten Büro in der Dresdner Innenstadt arbeiten zwei Frauen und ein Mann ein Jahr lang darauf hin: potenzielle Gäste anrufen, Eintrittskarten verschicken, Beschwerden anhören, Auskünfte aller Art erteilen. Dürfen Männer mit weißen Schuhen erscheinen? Was gibt es zu essen? Kommt der Friseur aufs Hotelzimmer? Prominente und ihre Sonderwünsche können manchmal anstrengend sein. Kurz vor dem Ball schickt die Agentur Flaskamp-Ummen ein „Event-Team“ zur Verstärkung. Die Berliner kümmern sich auch um die 160 Journalisten, die deutschlandweit von der Ballnacht berichten. Nicht alle können mit der Kamera am Roten Teppich stehen. Es gibt zugeteilte Plätze. Das bringt Ärger.

Wenn sich am Abend des 1. Februar die Türen der Semperoper öffnen, werden sich 2.200 Helfer mühen, damit genauso viele Gäste eine unvergessliche Nacht erleben. Das meiste läuft inzwischen reibungslos. Jeder kennt seine Rolle. Hans-Joachim Frey bezeichnet den Ball heute als Nummer eins in Deutschland und einen der schönsten Europas. Er hat an der Idee festgehalten, auch wenn er beruflich längst aus Dresden weg ist. Nach der Pressekonferenz muss er zurück nach Österreich, wo er als Vorstandsdirektor und künstlerischer Leiter der Linzer Veranstaltungsgesellschaft Liva arbeitet. Bevor er sich ins Auto verabschiedet, verkündet er noch, dass der Ball erstmals komplett auch in 3sat läuft. Er sagt nicht: im Nischen-Kulturkanal. Mister Semperopernball sagt: 3sat strahlt den Ball jetzt europaweit aus – am Sonnabend, 20.15 Uhr, zur besten „Wetten, dass“-Zeit.

Fast 2.000 SZ-Leser haben sich per Telefon oder SMS um die Opernballkarten bemüht. Gewonnen haben : Monika Sprenger aus Frankenthal; Anita Schulze aus Heidenau.