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Die Fehler liegen Jahre zurück

Alexander Hiller über die Entmachtung von Wladimir Klitschko

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Klar, man könnte jetzt trefflich über das Alter von Wladimir Klitschko philosophieren. Wäre aber der falsche Ansatz. Die Punktniederlage gegen den skurril wirkenden Briten Tyson Fury hat ganz andere Ursachen. Und die liegen bereits Jahre zurück. Nach den beiden vorzeitigen Niederlagen gegen Corrie Sanders (2003) und Lamon Brewster (2004) haben Klitschko und sein Betreuerstab eine ausgeklügelte Taktik entwickelt, die die physischen Vorteile des Ukrainers gegen die meisten seiner Gegner beinahe maximal ausnutzt. Klitschko arbeitete besessen an seiner linken Führhand und entwickelte sie zum besten Jab der Schwergewichtsszene und zum Vorboten für die meisten seiner Knockouts mit dem rechten „Steelhammer“. Immer darauf bedacht, nur das geringstmögliche Risiko einzugehen.

Diese Taktik hat der 39-Jährige bis zur Selbstaufopferung gepaukt. Und sich zu einem der Größten im Boxsport hochgeackert. Allerdings hat der Trainerstab – der vergangene wie der aktuelle –, es völlig versäumt, seinen Schützling auf taktische Unwägbarkeiten vorzubereiten, ihn gedanklich variabel weiterzubilden. Das gilt gleichermaßen für technische wie für taktische Fortschritte oder Erweiterungen. Klitschko ist taktisch so beweglich wie eine Dampflok auf Schienen. Oder wann haben Sie zuletzt einen Aufwärtshaken des Entmachteten gesehen?

Der boxerisch nicht einmal überlegene Tyson Fury hat dem mehrfachen Weltmeister mit einem taktisch höchst variablen Konzept – mit der deutlich längeren Reichweite als entscheidendem Grundpfeiler – seine Grenzen auf diesem Gebiet aufgezeigt und den Mythos Wladimir Klitschko entzaubert. Das wäre in einer der höhepunktärmsten Schwergewichts-Weltmeisterschaften der letzten Jahre auch bei einem Punktsieg des einfallslosen Weltbürgers der Fall gewesen.