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Die Familienhelferinnen

Wenn Alkohol und Drogen Familien zu zerstören drohen, schickt das Jugendamt zwei engagierte Frauen vorbei.

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© Sven Ellger

Von Julia Vollmer

Wenn zu Hause mehr geschrien als geredet wurde oder die Beziehung der Eltern öfter kriselt, werden diese Erfahrungen irgendwann normal. In der Erziehung der eigenen Kindern fällt es dann schwer, andere Wege einzuschlagen. „Schwieriger als der Weg zum Mond.“ So beschreiben Kerstin Wachsmann und Fleur Wehowsky den Prozess, die eigene Sozialisation zu überwinden. Das haben sie in ihrem Berufsleben immer wieder erlebt.

Doch sie arbeiten längst nicht nur mit ganz schwierigen Fällen, sondern auch mit vielen Familien, in denen es Kommunikationsprobleme zwischen Mutter und Vater gibt oder einfach Unsicherheiten bei der Erziehung. „Die Sicht auf das Leben oder Angewohnheiten im Alltag übertragen die Eltern auf ihre Kinder“, beobachten die beiden Sozialpädagogen. Sie arbeiten als Familienhelferinnen im Auftrag des Jugendamtes und sind dafür in der ganzen Stadt unterwegs. Von Johannstadt bis Striesen, von der Neustadt bis Prohlis. Seit 12 Jahren betreiben sie gemeinsam ihr Büro.

850 Familienhelfer arbeiten derzeit im Auftrag des Jugendamtes. „Im Vordergrund stehen hierbei die Unterstützung der Eltern beim Erkennen und Wahrnehmen ihrer Erziehungsverantwortung“, sagt Stadtsprecher Karl Schuricht. Sie werden gerufen, wenn das Amt auf die Familien aufmerksam geworden ist. Durch Anrufe von der Kita, vom Kinderarzt oder von Nachbarn. Das passiert beispielsweise, wenn das Kind nur sehr unregelmäßig in die Kita kommt und das meist ohne Entschuldigung. Erzieher oder Arzt sehen zu kleine oder dreckige Kleidung, blaue Flecke oder eine Unterversorgung. Den Kinderärzten fällt in den U-Untersuchungen bei manchen Kindern eine Entwicklungsverzögerung auf. „Das Amt muss dann handeln, tut dies aber sehr sensibel und bietet Hilfe an“, erklärt Kerstin Wachsmann. Viele Familien wenden sich aber auch von sich aus an die beiden Frauen, brauchen einfach ein bisschen Zuspruch oder Beratung. Ungefähr vier bis sechs Stunden pro Woche sind sie in jeder Familie. Heute bekommen durch den Geburtenboom in Dresden mehr Familien Unterstützung als noch vor 20 Jahren, erlebt Fleur Wehowsky.

Die Kinder sollen in ihren Herkunftsfamilien bleiben – das ist grundsätzlich immer erst mal das Ziel der Jugendamt-Mitarbeiter. Nur wenn die Probleme zu gravierend sind, Alkohol- und Drogenmissbrauch der Eltern nicht in den Griff zu bekommen oder sie gewalttätig sind, greifen die Mitarbeiter zum letzen Mittel. Inobhutnahmen. Das heißt, die Kinder werden aus ihren Familien genommen und bei Pflegefamilien oder in Betreuungseinrichtungen untergebracht. Die Zahl dieser Kinder ist in Dresden konstant hoch. Bis Ende Mai mussten schon 152 Kinder im Kinder- und Jugendnotdienst untergebracht werden, so das Jugendamt. Im Jahr 2010 wurden 376, 2015 dann 327 und 2016 insgesamt 364 Minderjährige in Obhut genommen. Die häufigsten Gründe waren laut Jugendamt Überforderung und Strafdelikte der Eltern, Beziehungsprobleme und Vernachlässigung.

Feste Ziele vereinbaren

Genauso vielfältig sind auch die Klienten der beiden Familienhelferinnen Kerstin Wachsmann und Fleur Wehowsky. Sie betreuen Familien, in denen die Eltern Drogen oder Alkohol konsumieren genauso wie Eltern, die Hilfe bei der Strukturierung des Alltags brauchen. „Vor allem der Crystalkonsum hat stark zugenommen“, erzählt Fleur Wehowsky. Das belegen auch aktuelle Zahlen. Rund 100 Kinder von crystalsüchtigen Müttern werden derzeit jährlich in Dresden geboren. Die Uniklinik zählte von 2007 bis Mai vergangenen Jahres 145 Crystal-Babys, die im Krankenhaus zur Welt kamen.

Die beiden Sozialpädagogen arbeiten mit allen Eltern an den Zielen, die in einem Hilfeplan mit dem Jugendamt erarbeitet wurden. Das kann ein neuer Job sein, eine neue Wohnung oder die eigenen vier Wände sauberer zu halten. „Kinder schauen sich vieles von den Eltern ab. Deshalb ist es wichtig, dass die Eltern, die Veränderungen, die sie wünschen, auch vorleben.“, erzählt Fleur Wehowsky. Die beiden Frauen arbeiten mit den Klienten Papierkram ab oder begleiten sie zum Arbeitsamt. Steht ein Termin beim Kinderarzt an, gehen sie bei Bedarf mit. „Unsere Klienten fühlen sich leider oft bei Behörden oder von Ärzten nicht ernst genommen und unverstanden. Viele schämen sich und fühlen sich abgestempelt“, so Kerstin Wachsmann.

Die Familienhelferinnen beraten auch viele Pflegeeltern. Hier steigen die Zahlen rasant. Derzeit leben 379 Kinder in Pflegefamilien. 2010 waren 225 Pflegekinder, 2015 dann 349 und 2016 sogar 373 Mädchen und Jungen in Familien untergebracht. Erziehungsberatung und die Umgangsgestaltung sind häufige Themen. „Es ist für Pflegeeltern nicht einfach, die Kinder zum Treffen mit den leiblichen Eltern zu begleiten“, erzählen sie. „Es kann wehtun, das Kind liebevoll mit der Mama zu sehen“, so Wachsmann. Das Jugendamt prüft immer, ob das Kind wieder in seine Herkunftsfamilie zurück kann. Eine schmerzhafte Vorstellung für die Pflegeeltern. Die Familienhelferinnen beraten dazu.