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Die Expressionistin

Die Riesaerin Carolin Koß lebt als Künstlerin in Finnland – wenn das Geld knapp wird, verkauft sie ihre Stimme.

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© Sebastian Schultz

Von Britta Veltzke

Riesa. Carolin Koß feiert 2017 einen runden Geburtstag: ihr zehntes Jahr in Finnland. Nun will sie auch die doppelte Staatsbürgerschaft beantragen. 2007 ging die Riesaerin in die nordeuropäische Republik. Mit dem Finnischen tut sie sich allerdings immer noch schwer. „Ich habe vor Kurzem meinen dritten Anfängerkurs begonnen. Weiter bin ich bislang noch nicht gekommen. Aber diesmal will es durchziehen“, sagt die zierliche 30-Jährige lachend.

Geschenkt, Finnisch gehört zu den komplizierten Sprachen in Europa. Dennoch sollte doch nach zehn Jahren mehr drin sein – oder? Dass sie sich schwer damit tut, bedeutet jedoch nicht, dass sie ausgesprochen untalentiert wäre. Genau genommen spricht sie die Nationalsprache fließend – eine der beiden zumindest: Finnlandschwedisch. Die ersten Jahre lebte Koß im Westen des Landes – in der Region Österbotten, eine Gegend, in der zu über 90 Prozent Schwedisch gesprochen wird. „Viele wissen das nicht, aber Schwedisch ist offiziell die zweite Amtssprache.“ In welchem Ort, welche Sprache vorherrsche, erkenne man an den Ortsschildern.

„Wenn Schwedisch die erste Sprache ist, steht der Ortsname auf Schwedisch oben und der auf Finnisch darunter und umgekehrt“, erklärt sie. Der erste Ort, in dem Carolin Koß in Finnland sesshaft wurde, war Nykarleby. „Dort gab es damals noch eine winzige Kunsthochschule, ein Pub, eine Kirche, zwei Cafés und drei Geschäfte – das war’s.“ Über das Austauschprogramm Erasmus landete sie von ihrer deutschen Universität Hildesheim aus in dem finnischen Nest in der Nähe der Küste. Und während andere Studierende im Auslandssemester Städte mit einer reichen Partyszene suchen, war die Riesaerin mit ihrer Wahl glücklich. „Ich brauche nicht so viele Eindrücke von außen. In meiner Kunst beziehe ich immer eher darauf, was in mir vorgeht.“

Kreativ ausgelebt hat sich die Tochter von Riesas Ex-Stadtrat Thoralf Koß schon als Kind: „Meine Eltern haben sehr darauf geachtet, dass ich mich musikalisch und künstlerisch ausprobieren kann. Ich habe sehr schnell selbst Musik gemacht, Gedichte geschrieben und gemalt.“ Was die bildende Kunst angeht, hat sie sich früh an der expressionistischen Künstlergruppe Brücke abgearbeitet. 1905 in Dresden gegründet existierte die Gruppe nicht einmal zehn Jahre, setzte, was den deutschen Expressionismus angeht, aber Maßstäbe. Auch die Brücke-Maler versuchten in ihren Bildern, ihre ganz subjektiven Regungen auszudrücken. Das wollte Koß auch: Einige der Ergebnisse hängen heute im Haus ihres Vaters in Merzdorf. Erst später in Finnland begann sie mit dem Medium Film.

Ganz besonders motivierend empfand Carolin Koß als Schülerin ihre Kunstlehrerin vom Gymnasium, Astrid Grauer. Die Strehlaerin arbeitet neben ihrer Anstellung an der Schule, inzwischen in Großenhain, als freischaffende Künstlerin. Noch im vergangenen Jahr waren ihre Bilder im Stadtmuseum zu sehen. Ende des Jahres wurde ein Werk an der Fassade eines frischsanierten WGR-Blocks am Karl-Marx-Ring fertig, das nach ihren Entwürfen entstanden ist. „Weil sie selbst Künstlerin ist, ist sie extrem authentisch“, erinnert sich Koß. So dürfte Astrid Grauer nicht ganz unschuldig an ihrer Karriere sein. Nach einem Auslandsjahr in Irland nach dem Abi ging Koß nach Hildesheim, um Kunst zu studieren – oder zumindest so etwas in der Art: „Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis hieß der Studiengang.

Das war ein Kompromiss zum reinen Kunststudium. Ein Teil meiner Familie wollte, dass ich etwas mit Hand und Fuß studiere, Lehramt oder BWL.“ Später im Auslandssemester erwartete sie das, was sie eigentlich wollte. „Da konnte ich mich richtig ausleben.“ Aus dem angepeilten halben Jahr im finnischen Nykarleby wurde erst ein ganzes Jahr – und schließlich fünf. Ihr Freund Otto, den sie dort kennenlernte, war ein weiterer Grund zum Bleiben. Ihr Vordiplom konnte sie mit einem Bein in Deutschland und einem in Finnland noch beenden, dann fing sie in Nykarleby noch einmal ein komplett neues Kunststudium an

. Danach ging das Paar nach Helsinki, wo Carolin Koß noch einen Master an der finnischen Akademie der Künste machte. 2014 erhielt sie den Abschluss. Seit dem versucht sich die Riesaerin von Helsinki aus auf dem weltweiten Kunstmarkt zu behaupten. Das scheint auch ganz gut zu funktionieren: In ihrem Lebenslauf kann sie auf Ausstellungen in Italien, den USA oder Großbritannien verweisen. Ihre Kunstfilme, die sie gemeinsam mit ihrem Freund als Cutter produziert, liefen bereits auf Festivals in Stockholm, Riga, Bogota oder New York.

Als ihren bislang größten Erfolg bezeichnet sie aber weder eine besondere Ausstellung noch einen hoch dotierten Preis, sondern: die Würdigung ihrer Kunst durch ihre Lieblingsband. „Für einen Songschnipsel ihres neuen Albums ‚A Moon Shaped Pool‘ suchte Radiohead letztes Jahr ein kurzes Video. Wir haben dann meinen Film Plastic Child zu einem einminütigen Clip zusammengeschnitten und eingereicht.“ Von mehr als 1000 Einsendungen wählte Radiohead sechs Videos aus, darunter das von Carolin Koß. Darin wandelt ein einsames Kind durch eine Welt, die komplett aus Plastik besteht.

Obwohl sie mit ihren Arbeiten viel herum kommt –  ganz einfach ist es für Carolin Koß nicht, von der Kunst zu leben. „Gut, dass es in Finnland Arbeitsstipendien gibt. Wenn man eins ergattert, ist man erstmal für ein bis drei Jahre finanziell abgesichert.“ Gleich nach dem Studium in Helsinki hatte sie Glück, eines der begehrten Stipendien zu bekommen. Aber bauen kann man darauf nicht. „In der Zeit, in der ich kein Stipendium habe, arbeite ich wieder mehr für finnische Unternehmen, die eine deutsche Stimme für ihre Werbespots brauchen.“

So war Carolin Koß schon in der Werbung für einen finnischen Anbieter von IT-Sicherheit oder für kontaktloses Bezahlen mit der Visa-Card zu hören. Parallel gibt sie noch einen Kurs in expressionistischem Malen an der schwedischsprachigen Volkshochschule in Helsinki. Im Januar wird Koß erfahren, ob es wieder klappt mit einem Stipendium. Auf die Sicherheit, die ihr ein anderer Beruf geben könnte, verzichtet sie für die Kunst bis jetzt noch gerne. „Kunst ist meine Berufung.“