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Die Ersthelfer von morgen

Wenn im Kindergarten Erste Hilfe geübt wird, dann sind Teddys, bunte Matten und viel Geduld gefragt.

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© Christian Juppe

Von Henry Berndt

Einmal hat er nicht aufgepasst, und schon ist Bruno böse gestolpert und hingefallen. Regungslos liegt der große Teddy mit dem roten Pulli und der blauen Hose auf dem Boden. Zum Glück hat sein Bruder Arnold, der kleine Teddy, das Unglück gesehen. Aber was soll er tun? „Na helfen“, da sind sich die Kinder der Kita „Am Lehmberg“ in Briesnitz einig und rufen alle durcheinander. Nur wie genau sie helfen könnten, das wissen Danny und die 17 anderen noch nicht.

An diesem Vormittag will Ralf Rehwagen den Kindern genau das erklären. Er ist Rettungssanitäter und Ersthelfer-Ausbilder beim Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), das heißt, er weiß nicht nur wie es geht, sondern auch, wie er es erklären kann. Viel braucht es nicht dazu: Im Turnraum wurden ein paar bunte Matten ausgelegt, auf die sich die Kleinen fläzen können. Und schon geht’s los, mit der wichtigsten aller Telefonnummern: 1-1-2. An der Leitung sind dann die fünf W-Fragen gefragt: Wo ist es passiert? Was ist passiert? Wie viele Kinder sind verletzt? Wie sind sie verletzt? Und ganz wichtig: Warten, und nicht gleich wieder auflegen.

Puh, ganz schön viel für kleine Kinderköpfe. Zum Glück gibt es ja auch andere Wege, um dem armen Bruno zu helfen. „Was macht ihr zuerst, wenn im Kindergarten jemandem was passiert?“, will Ralf Rehwagen wissen. Allgemeines Grübeln. „Entschuldigung sagen“, ruft einer. „Schon, ja, wenn ihr geschubst habt, aber was dann?“ „Einen Krankenwagen rufen.“ „Macht ihr das allein?“ „Neee.“ „Also, wen könntet ihr fragen?“ Die Kinder kommen nicht drauf, dabei sitzt ihr Erzieher Christian Müller direkt hinter ihnen. Vielleicht lag das zu nahe.

Danny und die anderen haben ihre ganz eigenen Fragen. „Und was ist, wenn ein Tier tot wäre?“, fragt einer. Er habe im Wald schon mal ein Eichhörnchen gesehen und es seiner Mama gezeigt. „Und, brauchte das Eichhörnchen Erste Hilfe?“, fragt Ralf Rehwagen. Brauchte es nicht, aber auf solche gedanklichen Ausflüge ist er nach zehn Jahren in seinem Job eingestellt. Der Ausbilder weiß auch, dass die Aufmerksamkeit seiner kleinen Zuhörer nicht grenzenlos ist. Deshalb sind jetzt erst einmal Rollenspiele dran. Dominik legt sich auf die Matte und Rehwagen zeigt, was zu tun ist: Erst einmal „Hallo“ sagen und an der Schulter rütteln. Dominik lacht, aber wir tun mal so, als hätte er nicht reagiert. „Jetzt müssen wir horchen, ob er noch atmet.“ Eine Hand an den Kopf, die andere ans Kinn, den Kopf überstrecken, mit dem Ohr ganz dicht an den Mund gehen. Und das Wichtigste und Schwierigste: ganz leise sein! Sonst hört man ja nichts.

„Hört mal auf zu kaspern“, muss Ralf Rehwagen nun immer mal wieder streng sagen. Es hilft für ein paar Minuten. Jetzt soll der Helfernachwuchs noch lernen, wie man jemanden in die stabile Seitenlage bringt. „Wollt ihr das mal üben?“, fragt er. „Jaaa“, schallt es durch den Turnraum. Also schnell Zweiergruppen bilden, hinlegen, Arme in Position bringen, das ganze Programm. Die ersten Anläufe sind noch etwas holprig. „Mit Gefühl, das ist kein Kartoffelsack!“, sagt der Ausbilder. Doch schon bald drehen und wenden die Kinder ihre Sparringspartner wie die Profis. Sogar mit Erzieher Christian klappt das. „Die meisten Kinder sind sehr stolz darauf, zu sehen, dass sie genug Kraft haben um eine erwachsene Person auf die Seite legen zu können“, sagt Rehwagen später.

Doch hat ein Erste-Hilfe-Kurs für Kindergartenkinder überhaupt schon Sinn? „Wir wollen ihnen frühzeitig die Angst vor dem Eingreifen in Notsituationen nehmen“ sagt Rehwagen, „und ihnen damit auch zeigen, dass man dabei nichts falsch machen kann – außer, man macht gar nichts.“ Leider würden heutzutage zu viele im Zweifel gar nicht eingreifen, aus Angst, einen Fehler zu machen. „Mit unserem kleinen Erste-Hilfe-Kurs wollen wir die Kinder befähigen, im Notfall selbstständig zu handeln.“ Nicht immer sei sofort ein Erwachsener zur Stelle. „Viele Unfälle passieren auch zu Hause, wenn die Mutti mal schnell einkaufen ist.“

Im schlimmsten Fall muss dann auch mal der Krankenwagen mit lautem „Tatütata“ anrücken. Auch Ralf Rehwagen hat an diesem Vormittag einen Wagen mitgebracht, den die Kinder nur zu gern von innen und außen ausführlich inspizieren. Das Blaulicht und das mobile Sauerstoffgerät faszinieren sie am meisten.

Als auch noch das richtige Pflasterkleben abgehakt ist, gibt es die begehrten Urkunden. Nach zwei Stunden wissen die Vorschulkinder in der Kita „Am Lehmberg“, was im Notfall zu tun und zu lassen ist. Wahrscheinlich besser als ihre Eltern. Am besten, sie geben Mama und Papa am Abend gleich mal ein bisschen Nachhilfe.