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Die Ersten im Nest

In Pirnas neuste Wohnlage „Vogelwiese“ kommt Leben. Die Hufnagls sind als Erste eingezogen. Ein Hausbesuch.

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© Marko Förster

Von Jörg Stock

Pirna. Theresa Hufnagl steht unterm Dachspitz und guckt in die Landschaft. Man sieht den Borsberg, die Heidenauer Malzfabrik, den Copitzer Segelflugplatz, und jetzt, wo das Laub an den Bäumen fehlt, ein bisschen von Pirnas Altstadt. Manchmal grüßen sogar die Doppeltürme der Christuskirche von Dresden-Strehlen herüber. Theresa Hufnagl liebt diesen Ausblick. Schon als das Haus noch ein Rohbau war, allein auf weiter Flur, aus dem Boden geschossen wie ein Pilz, sind sie und ihr Mann Dirk hier raufgekrabbelt, um zu gucken. Inzwischen wachsen ringsherum Häuser. Der Ausblick aber bleibt, ist unverbaubar. Theresa lacht: „Sonnenuntergang auf Lebenszeit.“ Die Copitzer Vogelwiese, früher Rummelplatz und Zirkusdomizil, ist drauf und dran, Pirnas kommendes Premiumwohngebiet zu werden. Achtzehn Einfamilienhäuser, dazu mehrere Mehrfamilien- und Reihenhäuser, entstehen auf dem ausladenden Plateau. „Hier ein Nest bauen!“ So warb Pirnas Stadtentwicklungsgesellschaft für die neue Wohnlage. Das Bauland ging weg wie warme Semmeln.

Früh hatten die Hufnagls beschlossen, sich so eine „warme Semmel“ zu besorgen. Lange lebten sie in Pirnas Altstadt in einer Dreiraumwohnung unterm Dach. Und sie lebten gut. Doch die Wohnung schien zu schrumpfen, je größer die Zwillinge Olivia und Rafael wurden. Und dann das Hochwasser. Evakuierung, wochenlang kein Strom, kein öffentliches Leben. Sie suchten flutsicheres Wohneigentum mit Auslauf und Ausblick, in der Stadt gelegen, doch ruhig und mit kurzen Wegen zu Kita und Schule. „Die Vogelwiese“, sagt Dirk Hufnagl, „war für uns das Optimale.“

Das Grundstück der Hufnagls, knapp siebenhundert Quadratmeter groß, liegt an der „Planstraße B“. Es war die erste Parzelle mit einem fertigen Haus darauf. Vogelwiese 12 lautet die offizielle Adresse. Eine Weile war es schwierig, Postboten und Müllabfuhr davon zu überzeugen, dass hier wirklich schon jemand wohnt. Bestellungen kamen nicht an, Mülltonnen blieben ungeleert. Inzwischen sind die Startschwierigkeiten überwunden, sagt Theresa. „Wir fühlen uns hier sehr wohl.“

Die Hufnagls waren extrem fix mit ihrem Haus. Theresa ist Architektin, hat das Gebäude selbst geplant und den Bau überwacht. Die Firmen, allesamt aus der Region, klotzten ran. „Kompliment“, sagt die Fachfrau. Im März, kurz nach dem letzten Schnee, kam der Bagger, am 10. September, in einer Bullenhitze, der Möbelwagen. Das Einzugsdatum fiel geplantermaßen auf den 5. Hochzeitstag des jungen Paares, ein schönes Symbol für ihre Zusammengehörigkeit, finden beide. Wie aus dem Ei gepellt, steht nun der weiße Zweieinhalbgeschosser mit den hölzernen Schiebeläden inmitten roher Mauern und gähnender Baugruben. Am Wochenende herrscht hier ausgeprägter Baustellentourismus, berichten die Hufnagls. Die Pirnaer wollten wissen, was auf ihrer Vogelwiese passiert. Gegen die Bebauung hatte es im Vorfeld einigen Widerstand gegeben. Manche fürchteten den zunehmenden Verkehr, manche wollten die Freifläche als Veranstaltungsort behalten.

Distanz oder gar Feindseligkeit spüren die Hufnagls nicht bei ihren Nachbarn. Die meisten freuen sich, sagen sie, dass Leben auf die Brache kommt, dass hier wieder Kinder spielen. Ein einziges Mal sei ein älterer Herr da gewesen und habe sich über die Optik des Hufnaglhauses beschwert und darüber, dass es ihm die Sicht versperre. Ein Streit? „Wir haben intensiv diskutiert“, sagt Architektin Theresa. Sie macht sich nichts daraus. „Für manche ist eben alles Neue erst mal eine Bedrohung.“

Was ihr Eigenheim gekostet hat, das wollen die Neusiedler von der Vogelwiese nicht öffentlich preisgeben. Nur so viel: Etwa ein Drittel ihres Nettoverdienstes wenden sie künftig für die Tilgung des Kredits auf. Aber was gibt es Besseres in diesen zinslosen Zeiten, fragt Dirk Hufnagl, als sein Geld, wenn es denn reicht, in ein Haus zu investieren? Klappt alles, dann gehört dieses Haus in etwa zwölf Jahren ganz und gar ihnen. Und der Ausblick ist eh unbezahlbar, nicht nur, wenn man auf Sonnenuntergänge steht. Die Hufnagls freuen sich schon total auf ihr erstes Silvester.