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Die erste Fabrik in Zittau

Die SZ erinnert an Gebäude und Menschen, die jeder kennt, die aber nicht mehr da sind. Heute: die Könitzer Textilfabrik.

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Von Arndt Bretschneider

Zittau. Ernst Friedrich Könitzer war kein gebürtiger Zittauer. Wie die Firmengründer Carl August Gruschwitz und Albert Kiesler hatte auch Könitzer die Gesellenwanderschaft nach Zittau geführt und die Liebe ihn sesshaft werden lassen. Der im Jahre 1812 geborene Thüringer aus Pößneck gründete vor genau 170 Jahren Zittaus allererste Fabrik. Es handelte sich um eine Weberei mit Garnfärberei für Orleansstoffe. Das waren halbwollene bedruckte Oberbekleidungs- und Futterstoffe, die ihren Ursprung in Frankreich hatten. Sechs Jahre hatte der junge Könitzer bei einem Jenaer Tuchhändler mit großem, ihm bezeugten Erfolg das Gewerbe erlernt.

Heute ist dieses Gelände Teil des Hochschul-Campus.
Heute ist dieses Gelände Teil des Hochschul-Campus. © Bernd Gärtner

Die kleine Firma in Zittau prosperierte schnell dank des umsichtigen Eigentümers, der mit seiner Produktpalette genau den Geschmack der damaligen Zeit traf. So richtete Könitzer im Jahre 1853 an den Stadtrat die Bitte um Genehmigung zur Aufstellung von 150 mechanischen Web-stühlen aus England. Das zog einen aufgeregten Schriftwechsel nach sich, angefangen von Stellungnahmen der Zittauer Baupolizei über Budissiner Behörden, dem Vorläufer einer Gewerbeaufsicht, bis hin in die königliche Dresdner Residenz. Es amüsiert heute, die angeführten seltsamsten Bedenken zu lesen. Kostprobe: Die 150 Webstühle in zwei Websälen, dazu eine Dampfmaschine mit Dampfkessel würden einen größeren Lärm machen als 100 hufeisenbeschlagene Reitpferde. Das wäre Anwohnern und Publikum in der gerade angelegten Mandauallee-Promenade nicht zumutbar! Nach und nach stimmten aber alle Bedenkenträger dem Antrag Könitzers zu, und die Fabrik wurde Realität.

Er ging gegenüber der Stadt und der gerade gegründeten Gasanstalt auch Verpflichtungen ein und erwirkte 1857 günstige Tarife für Stadtgas zu Beleuchtungszwecken. Im gleichen Jahre errichtete er ein Dampfbad für seine Beschäftigten mit Badezimmern und Badeöfen, was ihm weiteres Wohlwollen der Stadtväter einbrachte. Seine 19 Jahre jüngere Ehefrau Therese hatte ein Faible für Gartenbau. So ließ sie 1863 ein Gewächshaus mit Gärtnerwohnung bauen, verlor aber die betrieblichen Erweiterungspläne keineswegs aus den Augen. Sie erwarb eine neuartige Garnsengmaschine und modernisierte die Garnfärberei. Ihr Ehegatte war 1860 im Alter von nur 48 Jahren verstorben. Die Witwe führte anfangs allein mit einem Vormund, später mit ihren beiden Söhnen Ernst Friedrich und Franz Friedrich die Firma erfolgreich weiter. Eine deutliche Vergrößerung der Weberei nahm sie nach dem gewonnenen Deutsch-Französischen Kriege vor und nutzte die später als „die Gründerjahre“ bezeichnete Zeit, sodass der Betrieb eine größere Leistungsfähigkeit erreichte. Allerdings hatte die noch unregulierte Mandau bei häufigen Hochwassern das Ufer im Firmenbereich so stark beschädigt, dass es noch vor der Mandauregulierung mit städtischer Hilfe ausgebessert werden musste. Dann ging es weiter Schlag auf Schlag: Bau eines Appreturgebäudes an der Mandauallee, der späteren Theodor-Körner-Allee, danach einer Kläranlage, einer Websaalvergrößerung und einer Erhöhung des Schornsteins. Allmählich verabschiedete man sich von der Orleansweberei und wandte sich anderen Webwaren zu. Nach Tod der Mutter 1890 firmierten die Söhne Ernst und Franz unter „Gebrüder Könitzer“. Diese Verbindung hielt aber nicht lange, zu verschieden waren die Charaktere. Franz Könitzer wurde ein verdienstvoller Feuerwehrhauptmann und später Ehrenbürger Zittaus.

Weitere Bauanträge an den Stadtrat bewiesen den nach wie vor guten Geschäftsgang und auch das soziale Verhalten von Sohn Ernst. Eine große Reparaturwerkstatt entstand 1902, ein leistungsfähigeres Kesselhaus 1909. Stets und ständig ließ man irgendetwas bauen oder errichten. Ein Flickenteppich an Baulichkeiten war entstanden. Großzügiges Bauen war Könitzers Ding nie, und so blieb es bis zum Konkurs 1935. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden sämtliche Webmaschinen und das Zubehör demontiert, eingelagert und die Räume für Rüstungsproduktion von Fremdfirmen beschlagnahmt. Eine Firma aus Berlin-Schöneberg zog ein und stellte hochwertige Radio- und Messgeräte her. Nach dem Krieg entstand daraus an anderer Stelle der VEB Funkwerk Zittau.

„Schon Ende Mai 1945 gelang es unserem Vater, dem dritten Ernst Friedrich Könitzer, mit uns halbwüchsigen Jungs die ersten Webstühle zu entrosten und wieder in Gang zu setzen und mit Lohnweberei zu beginnen“ erzählt Klaus Könitzer. Jedenfalls war Mitte der 50er Jahre der Betrieb wieder hergestellt. Könitzer hatte 1956 nichts gegen die Aufnahme einer staatlichen Beteiligung von 90 Prozent, versprach er sich doch davon solide Investitionen. Die damalige VVB Wolle und Seide Meerane erhielt dadurch das Mehrheitsrecht. Im Sterbejahr von Könitzer 1964 arrangierte der beauftragte VEB Textilwerke Mülsen einen Zusammenschluss mit der Zittauer Privatfirma Gebr. Haebler zur „Seidenweberei Könitzer & Haebler“. Acht Jahre gemeinsamen Arbeitens unter der vierten Generation Könitzers folgten, ehe 1972 der neue Betrieb vollständig in Volkseigentum überführt wurde und sich bis zur endgültigen Stilllegung 1991 mit der Spinnerei Alwin Schmidt „VEB Textilwerke Mülsen, Werke 10, 11 und 12“ nannte. Der komplette Abriss erfolgte ab 1995, und als letztes Relikt verblieb noch eine Zeit lang das Buswartehaus Theodor-Körner-Allee, ehe auch das umgesetzt wurde.