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„Die Dörfer werden geknebelt“

Der demografische Wandel geht auch an Hirschstein nicht vorbei. Bürgermeister Conrad Seifert (CDU) fordert Änderungen in der Politik des Freistaates.

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© Lutz Weidler

Herr Seifert, Sie sind seit etwas mehr als zwei Jahren Bürgermeister von Hirschstein, haben die Probleme im ländlichen Raum noch direkter erlebt als in Nossen, wo Sie zuvor Kämmerer waren. Sind Sie immer noch so optimistisch, was die Zukunft der Dörfer angeht?

Conrad Seifert (CDU), Bürgermeister von Hirschstein.
Conrad Seifert (CDU), Bürgermeister von Hirschstein.

Zunächst möchte ich sagen, dass mir mein Job als Bürgermeister ausnehmend gut gefällt. Ich habe meinen Traumjob, meine Berufung gefunden. Die Wähler haben mir einen Vertrauensvorschuss gegeben, den ich jetzt zurückzahlen möchte. Und ja, ich glaube an die Zukunft des ländlichen Raumes.

Warum?

Wir haben natürlich auch mit den Auswirkungen des ländlichen Raumes zu kämpfen. Doch ich sehe in letzter Zeit positive Signale für einen Umschwung.

Welche denn?

Der Einwohnerschwund der letzten Jahre ist zwar nicht gestoppt, doch hat er sich verlangsamt. Erfreulich ist, dass wir viele Zuzüge haben. Gerade erst haben wir unser letztes gemeindliches Bauland verkauft, es gibt kaum noch Wohnungsleerstand. Unsere neu gebaute Kinderkrippe ist voll ausgelastet, möglicherweise ist sie bald schon wieder zu klein, denn die Geburtenzahlen steigen. In der Grundschule, die einzügig ist, gab es auch schon mal zwei erste Klassen. Es ist ja nicht so, dass junge Leute nicht auf dem Land leben wollen. Doch man lässt sie vielfach nicht.

Das müssen Sie erklären.

Oft ist es so, dass die Eltern oder Großeltern auf dem Dorf leben, die Kinder oder Enkel gern eine Scheune zu Wohnzwecken umbauen wollen. Das wird aber oft nicht genehmigt. Bauvorhaben scheitern auch daran, dass es im Außenbereich kein Baurecht gibt. Wir würden uns gern weiter entwickeln, dürfen das aber nicht. Die bürokratischen Hürden und das Baurecht engen die Entwicklung des ländlichen Raumes ein. In der Regionalplanung wird uns kleinen Gemeinden das Recht auf eine Entwicklung abgesprochen. Durch Gesetze und Verordnungen sind wir geknebelt, so dass wir uns nicht maßvoll entwickeln können.

Was ist denn so attraktiv, in Hirschstein zu wohnen?

Es ist attraktiv, in ländlicher Umgebung und in sauberer Luft zu leben, die Ruhe zu genießen und in die Städte arbeiten zu gehen. Bis Riesa ist es ein Katzensprung, bis Meißen und Nossen auch nicht viel weiter. Auch wenn mich manche auslachen, zähle ich uns noch zum „Speckgürtel“ von Dresden. Bis in die Landeshauptstadt fährt man eine knappe Stunde. Das ist doch heute die Regel.

Entstehen nicht durch allzu großen Zuzug und Arbeit außerhalb Schlafdörfer, weil es hier zu wenige Arbeitsplätze gibt?

Es liegt doch an den Leuten selbst, kommt auf die Dorfgemeinschaft an, ob es Schlafdörfer werden oder nicht. Die bürgerliche Eigeninitiative, die vielen aktiven Vereine und Feste, die es bei uns gibt, zeigen mir, dass der Wille zum gemeinsamen Leben da ist.

Doch nur zum Feiern zieht ja keiner aufs Dorf.

Nein, natürlich muss die Infrastruktur stimmen. Wir haben Grundschule, Kindereinrichtungen, eine Ärztin, eine Zahnärztin. Im ehemaligen Gasthof gibt es jetzt einen Bäcker, der auch einen Imbiss, Zeitungen und vieles anderer mehr anbietet, es ist praktisch ein kleiner Tante-Emma-Laden. Im Gasthof findet monatlich Tanz statt. Mir schwebt vor, gemeinsam mit der Bäckerei ein Lesecafé einzurichten.

Also alles paletti in Hirschstein?

Nein. Von der Politik werden wir vernachlässigt. Es gibt vom Bund eine Studie zum ländlichen Raum. Die beginnt bei Kommunen mit mehr als 20 000 Einwohnern, also Städten wie Riesa oder Meißen. Wenn das der ländliche Raum ist, was sind wir dann? Wir fallen wieder hinten runter. Nach einer bekannten Studie auf Landesebene sollen nur noch die Großstädte wie Dresden und Leipzig gefördert werden. Das bedeutet, dass der ländliche Raum palliativ entschlafen soll.

Was muss sich ändern?

Wenn ich bei runden Geburtstagen zu Besuch bei alten Menschen bin, höre ich immer wieder, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr lange in ihrem Haus leben können. Sie wollen aber nicht in die Städte, sondern in ihrer vertrauten Gegend bleiben. Betreutes Wohnen auf dem Land muss endlich gefördert werden.

Nach der Bundestagswahl haben manche Politiker plötzlich erkannt, dass der ländliche Raum vernachlässigt wurde, sie dafür abgestraft wurden, und geloben Besserung. Glauben Sie daran?

Diese Erkenntnis wäre ja schon der erste Schritt nach vorn. Ich habe allerdings Sorge, dass es sich nur um kurzfristigen Aktionismus handelt, der keine Ergebnisse bringt.

Das Gespräch führte Jürgen Müller