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Die DNA des Osterzgebirges

Feuerlilie und Buschnelke sind vom Aussterben bedroht. Wissenschaftler wollen das verhindern.

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© Frank Müller

Osterzgebirge. Im Osterzgebirge gedeihen besondere Pflanzen. Dazu gehören Feuerlilien und Buschnelken. Ein Team um den Biologen Dr. Frank Müller möchte diese seltenen Exemplare in den nächsten zwei Jahren aufspüren. Sie sollen die Chance bekommen, sich zu vermehren. Für den 51-jährigen ist das ein Heimspiel. Er wuchs in Schlottwitz auf, interessierte sich schon als Kind für Pflanzen. Später beteiligte er sich an der Pflege von Orchideenwiesen. 1987 ging er nach Halle/Saale, um Biologie an der Martin-Luther-Universität zu studieren. Danach wechselt er an die Technische Universität Dresden. Am Institut für Botanik promovierte Müller zu den Steinrücken. Mit denen wird er sich nun nach gut 20 Jahren erneut in einem Projekt befassen.

Lage der Biotope und Steinwälle.
Lage der Biotope und Steinwälle. © SZ-Grafik
Frank Müller (51) ist Biologe. Er stammt aus Schlottwitz, wohnt in Freital und arbeitet an der TU Dresden.
Frank Müller (51) ist Biologe. Er stammt aus Schlottwitz, wohnt in Freital und arbeitet an der TU Dresden. © Maik Brückner

Besonderheiten des Osterzgebirges

Steinwälle, die als Grenzen dienten Steinrücken gehören zu den Besonderheiten des Osterzgebirges. Diese entstanden bei der Bodenbearbeitung. Störende Steine wurden von den Bauern an den Flurgrenzen aufgestapelt.
Steinwälle, die als Grenzen dienten Steinrücken gehören zu den Besonderheiten des Osterzgebirges. Diese entstanden bei der Bodenbearbeitung. Störende Steine wurden von den Bauern an den Flurgrenzen aufgestapelt.
Eine Lilie, die nicht duftet Die Feuerlilie ist in ihrer Gattung eine Ausnahme, sie duftet nicht. Die Pflanzen gedeihen auf Bergwiesen, Felsen und Gebüschrändern. Sie werden zwischen 20 und 90 Zentimeter groß.
Eine Lilie, die nicht duftet Die Feuerlilie ist in ihrer Gattung eine Ausnahme, sie duftet nicht. Die Pflanzen gedeihen auf Bergwiesen, Felsen und Gebüschrändern. Sie werden zwischen 20 und 90 Zentimeter groß.
Eine Nelke, die am Waldrand steht Die Buschnelke gedeiht an Wald- und Gebüsch-Rändern und auf wenig gedüngten Wiesen. Die Nelke wird zwischen 25 bis 60 Zentimeter groß. Sie blüht zwischen Juni und September. Fotos: Frank Müller
Eine Nelke, die am Waldrand steht Die Buschnelke gedeiht an Wald- und Gebüsch-Rändern und auf wenig gedüngten Wiesen. Die Nelke wird zwischen 25 bis 60 Zentimeter groß. Sie blüht zwischen Juni und September. Fotos: Frank Müller

Herr Müller, in diesem Jahr wollen Sie sich die Steinrücken im Osterzgebirge genauer anschauen. Was ist daran so faszinierend?

Die Steinrücken sind Lesesteinwälle, die von Menschen über Jahrhunderte geschaffen wurden, Schicht um Schicht. Sie sammelten die Steine von den Feldern und Wiesen, stapelten sie entlang der Flurgrenzen und Ackerraine auf. Es entstand eine Kulturlandschaft. Da es im Osterzgebirge noch viele Steinrücken gibt, kann man gut nachvollziehen, wie die Flurgrenzen verlaufen sind. Auch für mich als Biologen sind die Steinrücken interessant. Diese besitzen ein Mikroklima, das sich von den Feldern und Wiesen unterscheidet. Die Steinrücken schwächen die Wärmestrahlung ab, halten das Regenwasser länger auf und mindern die Windgeschwindigkeit. Im Inneren der windgeschützten Seite bilden sich Zonen heraus, die wärmer sind als die Umgebung. Das zieht einige Pflanzen und Tiere an. Steinrücken sind das Zuhause für Heuschrecken und Reptilien, aber auch für ganz seltene Pflanzen wie die Feuerlilie und die Buschnelke. Beide sind in ihrer Existenz bedroht. Um ihr Aussterben zu verhindern, hat die Technische Universität ein mehrjähriges Forschungsprojekt aufgelegt, an dessen Ende wir auch Pflanzungen vornehmen werden.

Wo genau werden Sie jetzt tätig werden?

Die Natur macht an der Grenze nicht halt. Deshalb erstreckt sich das Forschungsgebiet über das ganze Erzgebirge, es schließt auch den tschechischen Teil ein. Dort haben wir Partner. Wir arbeiten mit der Jan-Evangelista-Purkyne-Universität Usti nad Labem zusammen. Finanziert wird unsere Arbeit von der Europäischen Union aus dem EU-Fonds für regionale Entwicklung. Von dort gibt es 439 000 Euro.

Wie gehen Sie vor?

Im Frühjahr werden wir die Steinrücken kartographieren. In einigen Regionen wird das schnell gehen, weil es hierzu schon Daten gibt. Diese hatte ich im Rahmen meiner Doktorarbeit gesammelt. Allerdings sind diese auch schon 20 Jahre alt. Wir müssen überprüfen, wie es um die Steinrücken bestellt ist. Viel Arbeit wird das Erfassen der Steinrücken auf tschechischer Seite machen. Dort hat sich noch niemand mit den Steinlesehaufen befasst.

Welche Daten werden Sie dabei erfassen?

Zunächst werden wir schauen, welche Pflanzen dort wachsen. Bei größeren Vorkommen werden wir deren Anzahl schätzen, Vorkommen seltener Arten werden wir genau zählen. Um diese vermehren zu können, werden wir bei der Buschnelke Samen und bei der Feuerlilie Brutzwiebeln mitnehmen. Dieses Saatgut soll der Botanische Garten in Dresden bekommen, damit er neue Pflanzen züchten und eine Erhaltungskultur aufbauen kann. Die so erhaltenen Exemplare können dann für die Aufstockung der stark dezimierten Wildpopulationen genutzt werden.

Wie ist es dazu gekommen, dass Feuerlilie und Buschnelke ums Überleben kämpfen müssen?

Die Hauptursache ist die Entwicklung der Landwirtschaft. Bis zur Kollektivierung in den 1950er-Jahren bestellten die Bauern nicht nur die Felder, sie kümmerten sich auch um die Steinrücken. Dort wuchsen Bäume, die regelmäßig verschnitten wurden. Für die Vermehrung der Feuerlilie und Buschnelke war das von Vorteil. Beide brauchen Licht. Mit der Gründung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) änderte sich viel in der Feldbearbeitung. Um größere Felder bewirtschaften zu können, wurden viele Steinrücken beseitigt. An anderen Stellen wurden die Steinlesehaufen durch Baumreihen ersetzt. Nach der Wende wurden dann viele Felder stillgelegt. Auf einigen begann sich Wald zu entwickeln. Die Bäume sind groß geworden, die Steinrücken stehen im Schatten. Auch das hat zu einem Rückgang von Feuerlilie und Buschnelke geführt.

Sie beschäftigen sich nicht nur mit Pflanzen, sondern auch mit Moosen und Flechten. Haben die auch Probleme?

Im Rahmen unseres Forschungsprojektes schauen wir uns auch einige Moos- und Flechtenarten genauer an. Konkret geht es um das Tundra-Pohlmoos und das Sand-Kissenmoos, aber auch mit der Rostroten Kleinspor-Flechte und der Rost-Landkartenflechte werden wir uns beschäftigen. Diese Moose und Flechten hatten im Erzgebirge bisher hervorragende Bedingungen. Denn sie gedeihen auf mit Schwermetall angereichertem Gestein. Diese gibt es vor allem im mittleren Erzgebirge, wo man höhere Konzentrationen von Zinn, Zink und Blei nachweisen kann. Auch im Osterzgebirge gibt es einige Stellen. Meist sind es Halden. Die zu finden, ist für den Laien nicht immer leicht, da sie heutzutage oft zugewachsen sind. Und das ist das Problem. Auch diese Moose und Flechten brauchen Licht. Da, wo wir fündig werden, sollen nach Rücksprache mit der Naturschutzbehörde Bäume gefällt werden.

Was hat der normale Bürger von Ihrer Forschung?

Viel. Zum einen tragen wir mit unserem Projekt zum Erhalt der Artenvielfalt bei. Und zum anderen können sich die Bürger aus erster Hand über die Besonderheiten unserer Natur informieren. Denn parallel zu unserer Erfassung wird es ein Begleitprogramm geben. Wir werden nicht nur Faltblätter und Broschüren herausgeben, sondern auch Führungen anbieten. Bei ähnlichen Projekten in der Vergangenheit war der Zuspruch sehr groß. Es gab Exkursionen, zu denen 50 Besucher gekommen waren. Das zeigte uns, dass die Menschen an solchen Themen interessiert sind.

Das Gespräch führte Maik Brückner.