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Die digitale Töpferei

Ohne Handarbeit läuft nichts bei Kannegießers in Neukirch. Doch der Betrieb geht auch neue Wege und bewirbt sich um Sachsens Innovationspreis.

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© Steffen Unger

Von Ingolf Reinsch

Neukirch. Die elektrische Töpferscheibe trat vor rund 80 Jahren von Neukirch aus ihren Siegeszug durch Deutschland an. Erfunden wurde sie von Elsa Kannegießer, der Großmutter des jetzigen Firmenchefs Andreas Kannegießer.

Mittlerweile firmiert das Traditionsunternehmen, dessen Wurzeln auf das Jahr 1824 zurückgehen, als Saxonia Feinsteinzeug-Manufaktur. Doch die Enkel Andreas und Gerd Kannegießer stehen ihrer Großmutter in puncto Innovation in nichts nach. Vermutlich als erste Töpferei Deutschlands verbindet das Unternehmen Kannegießer-Keramik traditionelles Handwerk mit Digitalisierung. Was sich dahinter verbirgt, zeigte Andreas Kannegießer am Montag Gästen in seinem Betrieb: Stefan Brangs, Staatssekretär im sächsischen Wirtschaftsministerium und Beauftragter der Staatsregierung für die Digitalisierung, und Andreas Brzezinski, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Dresden, hatten sich zum Besuch angemeldet.

Muster werden dreidimensional gescannt

In diesem Frühjahr nahm das Unternehmen einen Roboter in Betrieb, der den Henkel an die Tasse bringt. Sekundensache. Der Arm des Roboters greift nach dem Gefäß und positioniert es nach einer Vierteldrehung über der Tonmasse. Für den Laien kaum sichtbar, wird das Werkzeug herangeführt, das den Henkel presst und ihn an der Tasse befestigt. Das geschieht durch leichte Vibrationen. Durchs Vibrieren werden die Grundteilchen fest miteinander verbunden. Fester, als es durch Handarbeit jemals möglich wäre, erläutert Andreas Kannegießer. „Kollege Roboter“ befestigt rund 700 Henkel in einer Schicht an Tassen. Ein ausgebildeter Töpfer schafft je nach Erfahrung und Geschick in der gleichen Zeit zwischen 50 und 100 Tassen. Auch die Produktionsvorbereitung läuft inzwischen zum großen Teil digital. Die Muster für die einzelnen Teile werden per Hand gefertigt, oft aus Gips oder Holz. Diese Muster werden dreidimensional gescannt, digital bearbeitet und die Daten dann zu einer Maschine übertragen, auf der die sogenannte Mutterform hergestellt wird. Die wird für die Produktion gebraucht. Rund 1 000 verschiedene Erzeugnisse befinden sich im Sortiment des Neukircher Betriebes, wobei ein Artikel oft aus mehreren Einzelteilen besteht. Für jedes Teil wird eine separate Form gebraucht. Gerd Kannegießer, der Bruder von Andreas Kannegießer, ist der Mann in der Töpferei, der die Werkzeuge herstellt.

Die Töpferscheine wird nach wie vor gebraucht

Dadurch ist es beispielsweise möglich, Großserien effektiv und kostengünstig zu produzieren, wie die Glühweintassen für den Dresdner Striezelmarkt, den Pulsnitzer Pfefferkuchenmarkt und seit diesem Jahr auch für die Herrnhuter Sterne GmbH. Moderne Technik und Großserien stehen dabei in keinem Widerspruch zum traditionellen Handwerk, das der Neukircher Familienbetrieb natürlich weiterhin pflegt. Für Kleinserien und individuelle Anfertigungen werde die Töpferscheibe nach wie vor gebraucht, sagt Andreas Kannegießer. Auch das Bemalen der Keramik erfolgt weiterhin in Handarbeit. – Was in Neukirch passiert, ist das, was Stefan Brangs „digitale Wertschöpfung“ nennt. Mit dem sachsenweit geförderten Breitbandausbau schaffe der Freistatt eine wichtige Infrastruktur. Sie zu nutzen und mit Inhalten zu füllen, ist Aufgabe der Unternehmen. Die Handwerkskammer fördert das Engagement durch ihr Kompetenzzentrum Digitales Handwerk. Beide – Staatsministerium und Handwerkskammer – betonen die Chancen der Digitalisierung und wollen Unternehmern wie Beschäftigten mögliche Ängste nehmen. Welchen Mehrwert schaffen wir? Welche Innovationen sind möglich? Welche Auswirkungen hat Digitalisierung auf die Beschäftigten?, nennt Staatssekretär und Ex-Gewerkschafter Stefan Brangs einige Fragen.

Moderne Technik führt nicht zwangsläufig zum Abbau von Arbeitsplätzen. Bei Kannegießer-Keramik ist die Zahl der Beschäftigten mit 22 seit Jahren stabil. Drei Jugendliche beginnen in diesem Jahr ihre Ausbildung. Angeregt durch die Handwerkskammer bewarb sich der Neukircher Betrieb um den Sächsischen Staatspreis für Innovation und wurde für die zweite Wertungsrunde nominiert. Am 28. August werden die Preisträger bekannt gegeben.

www.kannegießer-keramik.de