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Die Damen vom Grill

Der Imbiss am Görlitzer Hornbach-Baumarkt ist eine Institution. Das liegt an den Verkäuferinnen. Und an einem besonderen Chef.

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© Nikolai Schmidt

Von Frank Seibel (Text) und Nikolai Schmidt (Foto)

Görlitz. Beim ersten „Yippiejaja-yippie-yippie-yeah“ macht‘s zack. Und nochmal zack. Dann liegt die Gemüsezwiebel in Scheiben auf dem Schneidebrett. Es ist acht Uhr am Morgen, die Sonne scheint, der Himmel ist blau, und Ute Bittner steht schon mit beiden Beinen im Alltag. Sie hat eine rote Schürze an und schon einiges erledigt: gelbe und rote Reste von den Senf- und Ketchup-Spendern abgewischt, Kaffee für die große Pumpkanne gekocht, Fett in die eckigen Grillpfannen gegeben und die ersten Frikadellen des Tages hineingelegt. Dazu ein paar Scheiben Fleischkäse und einige Bratwürste. Auch die frische Currysauce für den Tag ist schon angesetzt. Nun sind die Zwiebeln dran. Gemüsezwiebeln, grob geschnitten.

Noch sind die Läden der Imbissbude geschlossen, noch ist niemand auf dem Parkplatz. Eine Stunde, bevor der Baumarkt öffnet, schickt „Hornbach“ ein erstes „Yipiiejaja“ – die berühmte Werbemelodie – als Ouvertüre via Lautsprecher über das leere Areal. Ute Bittner ist fröhlich und wird es gewiss auch bleiben. Obwohl sie „nie in so einem Wagen“ arbeiten wollte.

Der erste Kunde des Tages muss gar nichts sagen. Der junge Mann mit Latzhose steht um viertel neun an der Rückseite des Schlemmerstandes (so heißt der Imbiss offiziell) und grüßt durch die offene Tür. „Guten Morgen, Johannes“, sagt Ute Bittner und greift nach einem Pappbecher, um ihn mit Kaffee zu füllen. Mit 80 Cent ist der Kaffee hier besonders günstig. Und es gibt noch ein paar nette Worte gratis dazu. Johannes freut sich, weil er bald einen festen Job hat und rauskommt aus der Zeitarbeit.

Ute Bittner freut sich mit, während sie die nächste Zwiebel schneidet. Sie ist jetzt 57 Jahre alt und kennt das Auf und Ab im Leben. Ursprünglich hat sie beim Waggonbau gearbeitet, als der noch nicht zum Bombardier-Konzern gehörte. Waggons hat sie dort lackiert, bis das alte Werk 1 geschlossen wurde. 1997 war das, und sie musste sich völlig neu orientieren. Statt mit Maschinen und Farbe arbeitet sie seitdem mit Menschen. Zehn Jahre lang war Ute Bittner Verkäuferin in einem Kiosk in Rauschwalde, nahe der Tankstelle. Das war vor allem für ältere Menschen ein guter Anlaufpunkt, auf kurzem Weg ein paar alltägliche Dinge einzukaufen, erinnert sie sich. Aber je mehr Supermärkte und andere Geschäfte eröffnet haben, desto schwerer wurde es für den Kiosk. „Es ist ja schon eine Frage des Preises“, sagt Ute Bittner verständnisvoll. So endete die Kiosk-Zeit, und die fröhliche Frau entdeckte die Ausschreibung eines Imbiss-Betreibers, der in Sachsen und Brandenburg einen Generalvertrag mit der Baumarktkette Hornbach hat. Sollte es so weitergehen: bei Hitze und bei Frost in einem kleinen Kasten ohne Isolierung, bei dem nur das aufgemalte Ziegeldach den Anschein erweckt, das könnte ein richtig solides Haus sein?

Nun ist sie im achten Jahr, und – es macht noch immer Spaß im Schlemmerstand, sagt Ute Bittner, während Johannes seinen Morgenkaffee ausgetrunken und den leeren Becher zurückgegeben hat. Gleich wird sie noch ein paar Kanister frisches Wasser im Baumarkt holen, dann beginnt die „Show-Time“: Sie schiebt die weißen Fensterläden zur Seite, und der Schlemmerstand wird zur Bühne. Bis halb zwölf ist Ute Bittner in der Frühschicht allein an Grill, Friteuse, Kühlschrank und Kaffeemaschine. An manchen Tagen, sagt sie, steht sofort eine Traube von Menschen vor dem Fenster – obwohl es hier gar kein klassisches Frühstück gibt. Nichts Süßes und auch kein Rührei. „Mit Ei können wir hier nicht arbeiten“, sagt Ute Bittner. Schon die Morgensonne heizt den Stand ordentlich auf, da muss man mit Lebensmitteln sehr vorsichtig sein. Der Sommer wird eine Herausforderung. Auf über vierzig Grad steigt die Temperatur im Imbissstand an Sonnentagen zwischen Juni und August. „Aber ich denke mir dann immer, dass es viel schlimmer wäre, in irgendeinem stickigen Büro zu sitzen oder in einem zu sehr gekühlten Supermarkt zu arbeiten“, sagt Ute Bittner. „Hier weht wenigstens immer ein Lüftchen durch die Fenster.“

Arend Brüll kann froh sein. Und er ist es auch. Arend Brüll ist um die 50 Jahre alt, spricht leise und freundlich – und meist nur am Telefon. Der Kaufmann ist der Gründer der Imbisskette „Schlemmerstand“ und hat seinen Sitz in Berlin-Neukölln. Dass Ute Bittner seit fast acht Jahren für ihn arbeitet und ihre Kollegin Elvira Hübner, die an diesem Tag ab mittags die Spätschicht macht, ungefähr genauso lange dabei ist, das ist für den Unternehmer ein Glück – aber kein Zufall, wie er betont. „Ich bin ein bisschen stolz darauf“, sagt Arend Brüll, der aus der Region Oschatz stammt und vor der Wende ein paar Jahre lang schon eine eigene Drogerie geführt hat. Anfang der 1990er Jahre hat er sich dann, so erzählt er, mit einigen West-Berliner Studenten zusammengetan und ist ins Imbiss-Geschäft eingestiegen. „Schlemmerland“ hieß das Unternehmen zunächst, und es war ein ziemlich großer Wurf: „Innerhalb von eineinhalb Jahren haben wir 33 Geschäfte mit 125 Mitarbeitern aufgebaut.“ Aber dann, sagt Arend Brüll mit leiser, warmer Stimme, brachen doch Ost-West-Konflikte auf, bei den Vorstellungen darüber, wie man wirtschaften und mit Menschen umgehen solle, drifteten die Geschäftspartner auseinander.

Arend Brüll setzt auf Partnerschaft, Verlässlichkeit und Vertrauen zwischen ihm als Geschäftsführer und seinen Mitarbeitern. So stieg er schon nach einigen Jahren aus dem gesamtdeutschen „Schlemmerland“ aus und konzentrierte sich auf den „Schlemmerstand“ in Ostdeutschland, namentlich in Sachsen und Brandenburg. Hier, sagt er, hat er die Menschen, mit denen er gut zusammenarbeiten, denen er vertrauen kann. Nur einmal im Monat kommt er nach Görlitz zu seinem Stand, den er hier 2001 eröffnet hat. „Es geht ja immer mal etwas kaputt, und darum muss ich mich dann kümmern“, sagt der Unternehmer.

Ansonsten sind Ute Bittner und Elvira Hübner (sowie eine dritte Kollegin, die gerade im Urlaub ist) für ihren Schlemmerstand selbst verantwortlich. Sie bestellen Wurst, Fleisch, Zwiebeln, Ketchup, Senf, Cola, Kaffee, Limo beim Lieferanten, der einmal in der Woche die Ware liefert – auch die Kartoffelspalten, die nur gekühlt und nicht tiefgefroren angeliefert werden. Manche Leute kommen extra wegen der frischen Pommes Frites hierher, einige Juendliche sogar mit dem Fahrrad. Mittags ist hier so ein Betrieb, dass immer zwei Frauen am Grill stehen. Die Arbeitsteilung funktioniert intuitiv. Wenn gerade nur ein Kunde da ist, putzt eine Kollegin ein Fenster, während die andere serviert. Wenn viel los ist, sind die beiden wie eine Person mit vier Händen, so eingespielt ist alles.

Der Schlemmerstand am Stadtrand hat längst Kultstatus, nicht zuletzt wegen der Currywurst, die hier genauso lecker ist wie in Berlin, wo Arend Brüll weitere Schlemmerstände betreibt. Hier essen Frauen und Männer, die im Baumarkt oder in den benachbarten Möbelhäusern einkaufen, hierher kommen Mitarbeiter der Märkte und der Autohäuser in der Umgebung, Handwerker machen hier Station, Menschen aus den Dörfern, Menschen aus der Stadt. Und wenn ein junger Mann aus dem Schöpstal mittags drei „Hornbach-Döner“ bestellt, dann wissen Ute Bittner und Elvira Hübner sofort, was gemeint ist: Semmeln mit Fleischkäse.

Abends um sechs liegen nur noch ein paar Bouletten, Fleischkäsescheiben, zwei Bratwürste und ein paar Spezialwürste für die Hotdogs in der Grillpfanne – und natürlich die letzten Zwiebelscheiben, die am Morgen zurechtgeschnitzt worden sind. Im besten Fall geht die letzte Portion um halb sieben raus. Dann schließt Elvira Hübner – die Spätschichtfrau – die weißen Fensterläden. Die Lautsprecher von Hornbach rufen noch ein paar mal „Yippiejaja-yippie-yippie-yeah“, während sie den Schlemmerstand sauber macht.