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Die Buben von Börnchen

Der Kneipenskat lebt! Im Börnchener Landgasthof treffen sich immer montags „reizende“ Männer.

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© Egbert Kamprath

Von Jörg Stock

Börnchen. Gibt es einen Skat-Gott? Klar gibt es den, sagen die Jungs. Sie reden viel über ihn. Mag er Dilettanten? Ich habe nämlich allenfalls Halbwissen. Sven, hier der „Alte Herr“ genannt, bringt Richtung in mein Blatt: Die Unter nicht an den Rand! Da wissen die anderen ja gleich, was los ist. Diese Karte hier rüber. Und diese dahin. Er zweifelt: Zu viele Fehlkarten, zu wenig Trumpf. Er würde das Ding nicht spielen. Andererseits: Liebt der Skat-Gott nicht gerade jene, die ihr Blatt ausreizen, die etwas riskieren statt zu „mauern“? Vielleicht hat er Trumpf in die verdeckten Karten reingesteckt, um die wir gleich streiten? Na gut, sagt Sven. „Wir können’s ja mal probieren.“

Wohl bekomms! Wirt Ulrich Burkhard serviert den Skatbrüdern Bier. Wenn Schlachtefest ist, spendiert er allen Wurstbrühe. Obwohl er selber auch Skat spielt, ist er lieber für seine Gäste da. „Das Spielen hebe ich mir für die Rente auf.“
Wohl bekomms! Wirt Ulrich Burkhard serviert den Skatbrüdern Bier. Wenn Schlachtefest ist, spendiert er allen Wurstbrühe. Obwohl er selber auch Skat spielt, ist er lieber für seine Gäste da. „Das Spielen hebe ich mir für die Rente auf.“ © Egbert Kamprath
Etwa ein Dutzend Spieler kommt regelmäßig her, nicht nur zum Stechen, sondern vor allem zum Quatschen und Geselligsein.
Etwa ein Dutzend Spieler kommt regelmäßig her, nicht nur zum Stechen, sondern vor allem zum Quatschen und Geselligsein. © Egbert Kamprath

Während die einen montags schlecht gelaunt zur Arbeit gehen, spüren andere Vorfreude. Diese anderen wohnen meistenteils auf einem Berg rechts der Müglitz und wissen: Heute ist Skat! Montagabend, halb neun, im Gasthof Börnchen – so lautet das Gesetz dieser Männer. Ein Gesetz, das nie gebrochen wird, das, außer bei Krankheit und Todesfall, immer Vorrang hat. Vorrang sogar vor den Frauen, denn die bleiben daheim. Frauen schwatzen ihnen zu viel, sagen die Jungs und feixen. „Wir wollen auch mal unsere Ruhe.“

Skat gilt als das deutsche Spiel schlechthin. Schätzungen des Altenburger nationalen Skatverbands zufolge sind etwa 20 Millionen Deutsche Skatspieler. Allerdings ist die Mitgliederzahl in den einzelnen Verbänden seit der Einheit rapide gesunken. Der Kneipenskat soll in weiten Teilen des Landes bereits ausgestorben sein. Nicht so in Börnchen. Hier ist er quicklebendig und vor allem relativ jung. Von dem Dutzend Leute, das hier regelmäßig zum Skatabend erscheint, sind die meisten zwischen Ende zwanzig und Ende vierzig.

In meiner Runde, die ganz hinten am Kachelofen hockt, ist der Altersschnitt besonders günstig. Er beträgt keine 38 Jahre. Bunt ist die Mischung der Berufe. Sven, mein Coach, ist Maurer, Heiko selbstständiger Installateur, Marcel diplomierter Betriebswirt und Raik studierter Landwirt. Außerdem gibt es Männer vom Bau und Computerfachleute. Die Vielfalt hat Vorteile, sagt Raik, wenn man mal was Spezielles wissen will zum Beispiel. Aber auch, wenn einer einen Haufen Holz abzugeben hat, eine Rüttelplatte braucht oder einfach nur eine Idee. „An diesem Tisch sind schon viele Ideen entstanden“, sagt er.

Es geht ans Reizen. Diese Versteigerung der noch herrenlosen Karten in der Tischmitte ist für Anfänger kaum zu kapieren, eine Rechnung mit Farbwerten, vorhandenen und nicht vorhandenen Untern. Wenn ich Rot spiele, erklärt Sven, könnte ich bis dreißig mithalten. Doch der Bieterstreit fällt aus. Heiko ist „weg“, und Marcel auch. Ich kriege die Karten. Statt der erhofften roten Trümpfe sind es zwei Schellen.

Obwohl meine Tischnachbarn recht jung sind: Skat spielen sie schon eine Ewigkeit. Im Dittersdorfer Jugendklub haben sie sich das Spiel von den Alten abgeschaut. Es war die Zeit, sagt Marcel, als noch nicht am Computer gezockt und am Handy gedaddelt wurde. In der Freizeit traf man sich, spielte und quatschte, mal mehr, mal weniger gehaltvoll. So ist es bis heute. Nur dass die Freizeit viel knapper ist. Alle haben Familie, haben Kinder. Und Handys haben sie auch. Aber daddeln tun sie immer noch nicht. Die Handys klingeln auch recht selten, jedenfalls solange gespielt wird. Heiko grient. „Die Frauen wissen ja, wo wir sind.“

Ich muss meinen Plan ändern. Statt Rot muss ich Schellen spielen. „Dann komm mal“, fordert Heiko. Eichel-Unter, den „Alten“, bringe ich zuerst. Da kann keiner drüber. Und nun? „Immer weiter, von oben runter, flüstert die Stimme hinter mir. Mach’ ich. Aber dann geht ein Stich an die anderen, ein fetter, mit As drin. Macht nichts, sagt Sven. Dafür haben sie Trümpfe verbraucht. Ich muss wieder „rein“ kommen. Komme ich auch, irgendwie, dank meines Souffleurs. Bei meinen Gegnern ist das Schell alle. Wir bringen die Kiste nach Hause, mit 73 Punkten zu 47.

Die Spaßpartie mit dem Anfänger hat dreimal länger gedauert als normal. Minuten später ist die Runde schon etliche Spiele weiter. Hat der Skat-Gott nicht gerade etwas Außergewöhnliches bewirkt, wird die Partie kaum ausgewertet. Man redet über ganz andere Dinge. Über das, was im Urlaub los war, was auf den Feldern passiert und was die Kinder angestellt haben, über Fußballspiele und über den letzten Feuerwehreinsatz. Wenn die Zeit reif ist, redet man intensiv übers Dittersdorfer Maifest, übers große Essi-Rennen und darüber, wer mit wem angebändelt hat. „Allgemeiner Dorftratsch“, sagen die Jungs.

Natürlich geht es den Buben von Börnchen auch um Punkte. Der „Alte Herr“ notiert sie säuberlich in einem großen Buch. Wie schon Loriot sagte: Wenn man nicht ernst spielt, macht es keinen Spaß. Letzten Endes aber ist das Gewinnen nur Beiwerk. Wenn es nicht so wäre, könnten sie auch zu Hause spielen. Machen sie aber nicht. Sie treffen sich im Gasthof, weil der Gasthof ein Stück vom Dorfleben ist, das nicht sterben soll. Es geht um Geselligkeit, sagt Heiko, und um Zusammenhalt. „Das ist der Grund, wieso wir hier sind.“