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Die böhmische Verwandtschaft

Tschechiens Energieriese CEZ strebt in die Lausitz – auch wegen einiger Gemeinsamkeiten. Doch es gibt Unterschiede.

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© SZ/Tilo Berger

Von Tilo Berger

Kulinarisch bevorzugen Tschechen Bier, als Urlaubsziel mögen sie Wasser. Ihr nächstgelegenes Meer ist die Ostsee, und auf die kommt Ivo Pegrimek zu sprechen, obwohl es bis zum Strand fast 600 Kilometer Luftlinie sind. Pegrimek zeigt nach unten, 250 Meter tiefer: „Sehen Sie die Bergleute“, sagt der Generaldirektor der Nordböhmischen Bergwerke AG und Chef von 5 000 Leuten – davon gut 1 200 hier, im Tagebau Bilina. „Sie arbeiten da unten auf dem Niveau des Meeresspiegels der Ostsee“, erklärt Pegrimek. Kein Braunkohletagebau in Europa liege tiefer als Bilina, behauptet der Mann an der Spitze des Unternehmens, das in der Landessprache Severo-ceske doly heißt und zum größten tschechischen Energiekonzern CEZ gehört.

Der neue Block des Kraftwerkes Ledvice ähnelt dem jüngsten Boxberger.
Der neue Block des Kraftwerkes Ledvice ähnelt dem jüngsten Boxberger. © SZ/Tilo Berger

Auf den ersten Blick sieht der Tagebau auf halbem Wege zwischen den nordböhmischen Städten Usti nad Labem und Teplice genauso aus wie der Bruder einer Kohlegrube in der Lausitz. Mehr als zwanzig Bagger beißen in den Untergrund – die einen legen das Kohleflöz frei, die anderen befüttern mit dem Bodenschatz kilometerlange Förderbänder, knapp zehn Millionen Tonnen pro Jahr. Einige Bänder führen direkt zum nahen Kraftwerk Ledvice, das aus der Kohle Strom und Wärme macht. Andere Förderbänder transportieren Abraum, also die über der Kohle weggebaggerte Erde. Abraumförderbrücken, wie es in jedem Lausitzer Tagebau eine gibt, haben die Tschechen nicht.

Auf den zweiten Blick fehlt noch etwas anderes als die Förderbrücke und lässt den Tagebau Bilina zwar nicht mehr wie den Bruder einer Lausitzer Förderstätte aussehen, aber immer noch wie einen Cousin: Obwohl über die Tagebaukante von Bilina eine steife Brise weht, fliegt kein einziges Sandkorn durch die Luft. „Wir haben hier Lehm, keinen Sand“, erklärt Ivo Pegrimek. „Und wir müssen keine Orte umsiedeln und auch kein Grundwasser abpumpen, um an die Kohle zu kommen. Das ist anders als bei Ihnen.“

Junges Lächeln soll Türen öffnen

Aha, der Generaldirektor weiß Bescheid über die Lausitz. Das verwundert nicht, schließlich haben sich die Tschechen genau angesehen, was sie kaufen wollen. CEZ-Leute waren ganz offiziell im Lausitzer Revier unterwegs, aber auch inkognito. Manager lächeln vielsagend, als beim abendlichen Bier dieses Wort fällt. Mit dem gleichen Lächeln antworten die CEZ-Verantwortlichen auf die Frage, wie viel Geld sie denn bieten für die Tagebaue und Kraftwerke, die der schwedische Vattenfall-Konzern in diesem Jahr verkaufen will. Nur ein Datum lassen sich die Chefs entlocken: „Wir werden bis zum 16. März ein verbindliches Angebot abgeben.“

Immerhin: So deutlich sagte das noch keiner der vier Interessenten, die bisher als Bewerber für die Lausitzer Kohle bekannt sind. Da ist zum einen die Essener Steag, die im Ruhrgebiet ihr Geld mit der Verstromung von Steinkohle verdient und der in Lauta bei Hoyerswerda 26 Prozent der dortigen Müllverbrennungsanlage gehören. Und es gibt neben CEZ zwei weitere tschechische Energiekonzerne, die in Richtung Lausitz schielen. „Aber mit denen sind wir keine so guten Freunde“, sagt ein Manager des Marktführers. Und lächelt wieder.

Das eindrucksvollste Lächeln aber zeigt Katerina Smrckova, die fließend Deutsch spricht und seit rund einem Jahr die CEZ-Repräsentanz in Berlin leitet. In der deutschen Hauptstadt soll die dunkelblonde Zopfträgerin vor allem bei den entscheidenden Leuten sehen und gesehen werden. Also zum Beispiel mal Kaffee trinken mit Bundesumweltministerin Barbara Hendricks? „Vielleicht“, lächelt die junge Frau.

Sie soll Türen öffnen für CEZ, denn der tschechische Konzern will in Deutschland wachsen – und in diesem Plan spielt die Lausitzer Kohle nur eine, wenn auch im Moment entscheidende Rolle. Die Zukunft der Energieversorgung sieht auch CEZ in erneuerbaren Quellen, und die Kohle ist die Brücke dahin. Eine Brücke, die noch mindestens zwei, drei Jahrzehnte halten soll. Die eigenen zwei Tagebaue will die CEZ-Tochter Nordböhmische Bergwerke AG bis um das Jahr 2050 betreiben, und ebenso lange sollen die beiden Kraftwerke in der Nähe laufen.

Mehr als jede zweite in Tschechien geförderte Tonne Kohle und fast zwei Drittel des elektrischen Stromes im ganzen Land kommen von CEZ. Das Unternehmen gewinnt 36 Prozent seines Stroms aus der Verbrennung von Kohle und bislang sieben Prozent aus erneuerbaren Energien, aber fast die Hälfte aus Atomkraft. Im Unterschied zu Deutschland ist der Ausstieg aus der Atomenergie in Tschechien ebenso wenig ein Thema wie ein zeitnaher Abschied von der Kohle.

Unter Europas zehn Stärksten

Um aber bei den erneuerbaren Energien im Wachstumsland Deutschland schon mal einen Fuß in die Tür zu bekommen, hat sich CEZ im vergangenen Jahr Beteilungen an zwei Unternehmen gesichert. Allein deren Name ist Programm: Die eine Firma heißt Sonnenbatterie und hat ihren Sitz im bayerischen Wildpoldsried, die andere namens Sunfire arbeitet von Dresden aus. Auch in anderen Ländern wächst CEZ auf erneuerbare Weise: In der Nähe der polnischen Ostseeküste entsteht eines der größten europäischen Windkraftwerke.

In Rumänien betreibt CEZ bereits jetzt den größten Festland-Windpark in Europa. Insgesamt beschäftigt der tschechische Konzern im eigenen Land, in Polen, der Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und der Türkei mehr als 26 000 Mitarbeiter. In allen Ländern zusammen versorgt CEZ rund 7,3 Millionen Kunden mit Elektroenergie und ist damit die Nummer acht in Europa, übrigens derselbe Platz wie beim Umsatz.

„Wir wollen einer der zehn größten Energieversorger in Europa bleiben“, sagt Pavel Cyrani, der im Vorstand für die strategischen Fragen zuständig ist. „Nicht nur deshalb bewerben wir uns um die Aktivitäten in der Lausitz.“ Immer wieder fällt der Satz, dass sich die Reviere und technischen Anlagen in Nordböhmen und der Lausitz ähneln. Für Technik-Direktor Martin Jasek ist der neue 660-Megawatt-Block des Kraftwerkes Ledvice „der Bruder von Boxberg“.

In der Tat sieht die neue Anlage in Ledvice fast genauso aus wie der 670-Megawatt-Block in Boxberg, der seit 2012 Strom liefert. Der Block in Ledvice soll dies ab April tun. Er ersetzt ältere, kleinere Blöcke aus den 60er- und 70er-Jahren und stößt im Vergleich zu diesen wesentlich weniger Abgase aus. „Kesselhaus und Kühlturm sind die höchsten industriellen Gebäude in ganz Tschechien“, sagt Cheftechniker Jasek. Mit seinen 135 Metern ist das Kesselhaus exakt so hoch wie das des jüngsten Boxberger Blocks. Dort misst der Kühlturm 155 Meter – in Ledvice zehn Meter weniger.

Genug Kohle für die Kohle

Rund 120 Milliarden Kronen – etwa 4,4 Milliarden Euro – investierte CEZ in die Modernisierung seiner Anlagen und den Bau des neuen Blocks im Kraftwerk Ledvice. Ausgeben könnte der Konzern aber noch viel mehr – neben eigenem Kapital stehen auch Kredite zur Verfügung. Insgesamt 29,5 Milliarden Kronen – knapp 1,1 Milliarden Euro – haben Banken bewilligt. „Zur Deckung von unvorgesehenem Bedarf“, erklären die Manager des Konzerns, der zu knapp 70 Prozent dem tschechischen Staat gehört. An fehlender Kohle dürfte aber die Übernahme der Lausitzer Kohle jedenfalls nicht scheitern.

Und wenn eines Tages ein grüner Minister in Tschechien ein Stoppzeichen setzt, so wie es die schwedische Regierung für Vattenfalls Kohlebranche tat? Auf diese Frage winken die CEZ-Chefs ab. „Wir sind in Nordböhmen der größte Arbeitgeber. Das weiß die Regierung, und das wissen auch die Menschen in den Orten.“ Ein Bergmann im Tagebau Bilina verdient im Monat durchschnittlich 31 000 Kronen, rund 1 150 Euro. Das sind umgerechnet etwa 150 Euro mehr als der tschechische Durchschnittslohn – vielleicht schon ein Zuschuss für den nächsten Ostsee-Urlaub.