Merken

Die Blut-Detektivin

Unter den Augen von Gabriele Siegert werden im Uniklinikum jedes Jahr fünf Millionen Proben untersucht.

Teilen
Folgen
NEU!
© Sven Ellger

Von Sandro Rahrisch

Dresden. Wenn das Blutröhrchen die Notaufnahme verlässt, brechen für Patienten unruhige Minuten an. Das Ergebnis wird möglicherweise darüber entscheiden, ob sie stationär aufgenommen oder vielleicht sogar operiert werden müssen. Allein am Institut für Klinische Chemie des Dresdner Universitätsklinikums treffen jeden Tag rund 2 000 Blutproben ein. Eine Stunde haben die Mitarbeiter dort Zeit, um den Großteil der Werte für Notfallpatienten zu bestimmen. Um Schnelligkeit ging es bereits 1980, als Gabriele Siegert als Assistenzärztin am Institut anfing.

„Damals sind die Befunde über Lochstreifen und Fernschreiber an die Intensivstation übermittelt worden, um Zeit zu sparen“, sagt Siegert, die sich nach zwölf Jahren als Institutsdirektorin nun in den Ruhestand verabschiedet. Heute werden die Ergebnisse über das Klinik-Netzwerk binnen Sekunden nach der Untersuchung an die Computer der Stationsärzte übertragen. Noch immer ist Zeit ein großes Thema. Im Schnitt sind die Kuriere 20 Minuten unterwegs, um das Blut von den Stationen ins Labor zu bringen. Ab 2018 soll sich die Transportzeit halbieren. Das Universitätsklinikum investiert mehr als eine Million Euro in eine Rohrpostanlage, damit Proben vom neuen chirurgischen Zentrum innerhalb von zehn Minuten im Labor ankommen. Später sollen weitere Kliniken an das System angeschlossen werden.

Zumindest bei der Analyse der Blut-, Urin- und Nervenwasserproben lässt sich kaum noch Zeit sparen. Wer sich Gabriele Siegerts alten Arbeitsplatz als einen großen Raum voller Laboranten vorstellt, die durchs Okular eines Mikroskops blicken und angestrengt Zellen zählen, der irrt sich gewaltig. „Die Technik ist so weit fortgeschritten, dass wir ihr unterlegen sind“, sagt die Medizinerin. Hochmoderne Geräte saugen das Blut aus den Röhrchen. Auf der Suche nach Entzündungen im Körper zum Beispiel werden die festen Bestandteile vom flüssigen Serum getrennt, bevor die vollautomatische Analyse beginnt. „Unterm Mikroskop können wir um die 100 Zellen betrachten, die Geräte schaffen mehr als 1 000.“ Bereits in den 80er-Jahren wurden bestimmte Laborwerte wie Blutzucker oder Cholesterin automatisch untersucht. „Damals waren die Geräte noch mit zig Schläuchen verbunden“, erinnert sich die Ärztin, die jahrelang auch Medizinstudenten in ihrem Fach unterrichtet hat.

Gabriele Siegert wird 1951 in Freital geboren und arbeitet nach der Schule zunächst als Krankenschwester. Das Abitur holt sie an der Volkshochschule nach. 1974 beginnt sie das Medizinstudium. „Als Schwester hatte ich immer eine enge Verbindung zum Labor. Ich glaube, das war auch der Auslöser, warum ich mich später für dieses Fachgebiet entschieden habe.“ In der Forschung beschäftigt sie sich vor allem mit der Gerinnung des Bluts. Ist es zu dünn, kann der Mensch verbluten. Ist es zu dick, können Blutpfropfen die Gefäße verstopfen. Beides kann tödlich enden. Daher ist die richtige Balance wichtig. 2007 holt sie zwei große Tagungen mit Tausenden Teilnehmern an die Elbe. Ein Thema: Angeborene Blutgerinnungsstörungen.

Ganz verlassen wird Gabriele Siegert das Dresdner Universitätsklinikum nicht. Am dazugehörigen Medizinischen Versorgungszentrum wechselt sie ins Labor. „Ganz loslassen möchte ich noch nicht.“ Ihr Nachfolger am Institut wird Triantafyllos Chavakis. Er gilt als einer der weltweit führenden Wissenschaftler, der akute und chronische Entzündungsprozesse im Körper erforscht. Zu den Mitarbeitern gehören auch der Experte für Neurochemie, Graeme Eisenhofer, der 2007 vom amerikanischen National Institutes of Health nach Dresden gewechselt ist, sowie der Inhaber der ersten Heisenberg-Professur an der Medizinischen Fakultät, Benjamin Wielockx.