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„So fahren wir den Staat gegen die Wand“

Sachsens Finanzminister Georg Unland wehrt gegen immer mehr Landespersonal für immer weniger Sachsen. Das Interview:

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© Robert Michael

Dresden. Trotz der regelmäßigen Erfolgsmeldungen über rasant steigende Steuereinnahmen fordert Sachsens Finanzminister eine zügige Kehrtwende bei der Personalpolitik des Freistaates. Auf Dauer könne sich das Land Sachsen die Zahl von derzeit 86 000 Beschäftigten nicht leisten, warnt Georg Unland (CDU). Der Grund dafür ist aus seiner Sicht nicht nur das Geld:

Herr Minister, aus aktuellem Anlass: Sind Sie ein übervorsichtiger oder sogar ein ängstlicher Typ?

Also vorsichtig bin ich grundsätzlich. Ängstlich mit Sicherheit nicht. Sonst hätte ich viele Berufe, die ich in meinem Leben ausgeübt habe, nicht machen dürfen. Auch den aktuellen nicht.

Bleiben wir also bei vorsichtig – ist das der Grund dafür, dass Sie auch nach den nun fast schon zehn Jahre anhaltenden Rekordeinnahmen des Landes weiter aufs Sparpedal treten wollen?

Nein, das hat mehr damit zu tun, dass man im Leben schon andere Erfahrungen gemacht hat. Ich kann mich jedenfalls noch sehr gut an die Finanzkrise von 2008 erinnern. Was danach kam, war ein Schockerlebnis. Wir wussten zunächst nicht, wie weiter. Und das prägt natürlich.

Trotzdem, der Freistaat verfügt im Moment über einen Rekordetat, auch für die kommenden Jahren werden Zusatzeinnahmen erwartet. Wie erklärt man da dem Bürger, das Geld reicht nicht für mehr Lehrer oder mehr Polizisten?

Ich glaube, wir führen in Sachsen bei dem Punkt nicht die richtige Diskussion. Wir meinen, immer alles auf noch mehr Geld reduzieren zu müssen. Das ist aber sehr einseitig und geht an den grundlegenden Problemen in diesem Land vorbei. Eines davon ist die Demografie und damit der Bevölkerungsrückgang. Allein seit der Wiedervereinigung haben wir bis zu 850 000 Einwohner verloren. Alle Prognosen besagen, dass dieser Minustrend anhalten wird, auch wenn sich die Bevölkerungsentwicklung zurzeit etwas durch die Flüchtlinge stabilisiert und zudem die Geburtenzahlen leicht steigen. Auch eine höhere Zuwanderung aus anderen Bundesländern wird das Defizit auf Dauer nicht ausgleichen.

Entscheidend ist aber etwas anderes: Nämlich nicht die absolute Zahl der Menschen, die in Sachsen leben, sondern der relative Anteil an der Gesamtbevölkerung in Deutschland. Da wir in vielen westlichen Bundesländern einen deutlichen Bevölkerungszuwachs haben, in Sachsen aber nicht, wird der relative Anteil der Sachsen an der bundesdeutschen Bevölkerung spürbar abnehmen. Ein Phänomen, das hierzulande noch viele unterschätzen. Eine gravierende Folge davon ist aber, dass uns künftig immer weniger Zuschüsse vom Bund und aus dem Länderfinanzausgleich zustehen, unsere nach wie vor wichtigsten Einnahmequellen neben den Steuern. Ein akutes Problem, das völlig offen liegt und leider öffentlich kaum diskutiert wird.

Sachsen muss also mit deutlichen Einschränkungen bei den Finanzhilfen rechnen. Ist dies das einzige Problem?

Leider nicht, weshalb ich die aktuellen Debatten über mehr Personal im sächsischen Staatsdienst auch für so verfehlt halte. Das andere Problem ist die Altersstruktur unserer Bevölkerung. Im Zeitraum bis 2030 und darüber hinaus werden jedes Jahr in Sachsen rund 60 000 Menschen in Rente gehen, während gleichzeitig jährlich nur etwa 30 000 junge Leute neu in den Arbeitsmarkt eintreten. Wir stecken damit in einer gigantischen „Bevölkerungsfalle“ und das nicht nur, weil es überall zum Fachkräftemangel kommen wird.

Wo liegt da konkret die Gefahr?

Wenn wir im öffentlichen Dienst jetzt weiter jede frei werdende Stelle 1:1 wiederbesetzen oder Forderungen nach noch mehr Lehrer- oder Polizeistellen nachkommen, führt das angesichts der sinkenden Bevölkerungszahl automatisch zu einer höheren Staatsquote – der Anteil der Landesbediensteten an den immer weniger werdenden Steuerzahlern steigt. Während also Sachsens Industrie und Handwerk damit noch mehr Nachwuchsprobleme bekommen, würden wir auf eine Staatsbeschäftigungsquote von 20 bis 25 Prozent zusteuern – heute liegen wir bei knapp über 10 Prozent. Das ist das Hauptproblem, welches wir zügig angehen müssen, und hat viel stärkere Auswirkungen, als sich jeden Tag Gedanken zu machen, wo wir eine Million Euro mehr oder weniger ausgeben.

Das heißt, der Freistaat darf ab sofort kein zusätzliches Personal mehr einstellen und muss gleichzeitig Stellen abbauen. Woran denken Sie dabei?

Es geht nicht um Auf- oder Abbau, wir werden kräftig umbauen müssen. In jedem Bereich muss geprüft werden, wo kann man rationalisieren, wo kann man optimieren und wo muss man den Personalbestand sogar aufstocken? Im Pflege- und Sozialbereich wird beispielsweise angesichts der Altersstruktur der Bevölkerung zukünftig zusätzliches Personal benötigt. Wir brauchen dort definitiv mehr Leute, die unseren älteren Menschen helfen. Beim Stichwort Rationalisieren – also mit weniger Leuten das Gleiche oder mehr erreichen – fällt mir die eigene Steuerverwaltung ein, wo die Digitalisierung viele neue Möglichkeiten dafür schafft. Optimieren kann man wiederum fast überall, auch im Schulsystem. Nehmen wir nur mal den aktuellen Klassenteiler von 28 Schülern. Natürlich wäre es unsinnig, den wahllos nach oben zu legen. Aber ob dort 28 oder vielleicht auch einmal 30 Schüler sitzen, das bestätigten alle Gutachten, die ich kenne, hat keine Auswirkungen. Vielmehr kommt es immer auf den Lehrer an, der vor der Klasse steht. Wenn wir diesen Umbau jetzt aber nicht anpacken, sondern immer nur nach mehr Personal rufen, davon bin ich überzeugt, fahren wir den Staat gegen die Wand.

Für Sie ist das ein zwingender Weg, in der Öffentlichkeit sind solche Maßnahmen aber absehbar unpopulär. Wen wissen Sie denn eigentlich bei diesem Projekt hinter sich?

Das Datenmaterial, das wir analysiert haben, ist für jeden öffentlich verfügbar.

Das heißt, Sie stehen bislang mit Ihren Forderungen allein da?

Nein, es gibt viele, mit denen ich das diskutiere. Ganz allein fühle ich mich absolut nicht. Als Finanzminister muss ich jetzt aber öffentlich auf die Konsequenzen hinweisen. Wenn wir hier nicht gegensteuern, werden wir eine doppelt so hohe Staatsquote bekommen wie bisher. Und genau das wird in unserer Gesellschaft definitiv nicht funktionieren.

Sie sind Minister mit CDU-Parteibuch. Ihr derzeitiger Koalitionspartner SPD meint allerdings, dass es angesichts der guten Einnahmen durchaus Spielräume für mehr Personal gibt, und ist fest gewillt, diese auch zu nutzen.

Solche politischen Prozesse laufen nie kurzfristig ab. Man braucht da auch einmal Geduld und Zeit, bis sich die allgemeine Erkenntnis durchgesetzt hat, dass man hier gegensteuern muss. Ich erwarte daher nicht, dass von einem zum anderen Tag der Schalter umgelegt wird. Ich bin mir aber sicher, der notwendige Druck wird zuguterletzt aus der Bevölkerung kommen, wenn man dort merkt, dass überall Leute im Handwerk und der Wirtschaft fehlen und welche konkreten Auswirkungen das hat. Wenn der Staat der Wirtschaft zunehmend die Fachkräfte wegnimmt, dann sägt er an dem Ast, auf dem er sitzt.

Derzeit hat Sachsen gut 86 000 Landesbeschäftigte. Frühere Pläne, die Stellenzahl auf 70 000 zu senken, wurden wieder verworfen. Sind die 70 000 nun doch wieder die neue Zielmarke?

Wir werden die Diskussion, wie viel Personal sich der Freistaat leisten kann, wieder aufnehmen müssen. Und die künftige Gesamtzahl wird nicht mehr, sondern weniger sein. Worauf man sich letztlich verständigt, wird das Ergebnis einer politischen Willensbildung sein. Meine persönliche Einschätzung ist, dass die einstige Zielmarke von 70 000 für die Zukunft nicht ausreichen wird.

Sie meinen, es müssten sogar noch weniger Stellen werden?

Wenn man langfristig denkt – und damit meine ich nicht nur die nächsten drei bis vier Jahren – dann auf jeden Fall ja.

Wird dieser Sparkurs schon im neuen Doppelhaushalt für 2019/2020 zu spüren sein? Werden dort also keine weiteren Personalaufstockungen bei Lehrern oder Polizisten zu finden sein?

Davon bin ich überzeugt. Wir können nicht mehr oben drauflegen. Wir werden umbauen müssen und die dafür nötige Diskussion ist keine über die Ressource Geld, sondern eine über die Ressource Mensch.

Das Gespräch führte Gunnar Saft.