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Die Bahn auf dem Zeigersprung

Der Konzern will pünktlicher werden. Fernzüge schließen die Türen 20 Sekunden früher. Wer sich bislang auf seinen Endspurt verlassen hat, könnte jetzt zu spät kommen.

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© imago/gustavo alabiso

Von Michael Rothe

Die Deutsche Bahn stemmt sich gegen Verspätungen. Und sie hat für ihre Pünktlichkeitsoffensive auch schon ungeahnte Reserven entdeckt: Im Fernverkehr werden die Türen jetzt 20 Sekunden früher geschlossen – also exakt eine halbe Minute vor der fahrplanmäßigen Abfahrt.

Eckart Fricke, Konzernbevollmächtigter Südost der Deutschen Bahn AG
Eckart Fricke, Konzernbevollmächtigter Südost der Deutschen Bahn AG © Deutsche Bahn AG

Was Laien angesichts gefühlt eher ausufernder Verspätungen lächerlich erscheint, hat für den allzu oft gescholtenen Konzern erhebliche Bedeutung. „Ziel ist es, dass sich im nächsten Jahr Fernzüge bundesweit just in dem Moment in Bewegung setzen, wenn der Zeiger auf die planmäßige Abfahrtzeit springt“, sagt Eckart Fricke, Konzernbevollmächtigter für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. „Unsere Fahrpläne sind so eng getaktet, dass in Minute zwei schon wieder der nächste Zug fährt“, erklärt der Bahnchef für die Region. Frankreich und Großbritannien zeigten, dass der Ansatz großes Potenzial habe.

Nach den Tests an den Hauptbahnhöfen Köln und Hannover fährt die Bahn nun bundesweit so ab. Damit sie pünktlich ist, müssen Reisende also überpünktlich sein. Sonst könnten die Auf-den-letzten-Pfiff-Kommer zwar vor dem Zug stehen, aber dennoch nicht mehr einsteigen. Ärgerlich vor allem für jene, die verspätet von einem anderen Zug zum Anschluss gehechelt kommen. Bahn-Manager Fricke sieht das nicht als Problem, da das System für alle Fernzüge gelte und sich die Pünktlichkeit flächendeckend erhöhen werde. „Außerdem sind die Anschlüsse so konstruiert, dass Umsteiger ihre Züge bequem und nicht nur im Sprint erreichen“, sagt er. Sollte absehbar sein, dass es dennoch knapp wird, sollten sich Betroffene beim Zugbegleiter melden, rät Fricke. Er werde den Bedarf an die Leitzentrale weitergeben, die dann nach Anzahl der Betroffenen abwäge, ob der Anschlusszug warten soll.

„Abfahrtspünktlichkeit beginnt nicht erst am Bahnsteig, sondern bereits im IC-Werk“, sagt Fricke. Dort würden die Züge unter anderem gereinigt, betankt, mit Wasser und Catering-Ware versorgt. Um den Prozess zu optimieren, seien bundesweit an zehn Bahnhöfen Knotenkoordinatoren unterwegs. Das sechsköpfige Spezialistenteam in Leipzig (die SZ berichtete Anfang November) sei in Kürze auch für Dresden zuständig. Außerdem sollen Baustellen exakter geplant, ihre Pläne und Umleitungen besser koordiniert werden. „Unser Ziel ist es, dass 2018 bundesweit mindestens 90 Prozent aller Fernzüge pünktlich sind“, so der Konzernbevollmächtigte.

Bis dahin ist es noch ein Stück Weg. Laut Bahn (DB) konnte die Pünktlichkeit auf den zehn größten deutschen Abfahrtsbahnhöfen in Jahresfrist von 62 auf 80 Prozent erhöht werden. Leipzig verbesserte sich mit seinen 20 bis 25 abfahrenden Fernzügen von 73 auf 79 Prozent, Dresden mit 17 bis 20 Zügen wurde nicht erfasst.

Das Projekt „Zeigersprung“ ist nur ein Baustein in der vor einem Jahr gestarteten Qualitätsoffensive der Bahn mit Schlagworten wie Pünktlichkeit, Sauberkeit und Service. In seiner regionalen Zwischenbilanz verweist Regionalchef Fricke auf die „Multizuganzeigen“ an mehr als 120 Fernbahnhöfen, darunter auch Dresden-Hauptbahnhof und Dresden-Neustadt. Dort würden Reisende nicht nur über die nächsten beiden Züge am jeweiligen Bahnsteig informiert, sondern auch über Gleiswechsel, Wagenreihungen und Verspätungen.

Auch die Reinigungsoffensive sei ein Erfolg. „Allein die Anwesenheit des Putzwagens hat eine enorme Wirkung“, sagt Fricke. Mit einer neuen App „DB Bahnhof live“ werde das Ärgernis defekter Aufzüge und Rolltreppen angegangen. Die 292 Aufzüge und 38 Fahrtreppen in Frickes Beritt würden mit einer Ferndiagnose ausgestattet. Störungen würden in Echtzeit gemeldet und Reparaturen umgehend veranlasst, verspricht der Manager. Ähnlich intelligent sollen künftig rund 4 000 Weichen in der Region Südost überwacht werden und den Zugverkehr dort verlässlicher machen.

Ferner will die Bahn mit besserer Kundeninformation punkten. Dazu gehören auch die via Smartphone abrufbare korrekte Anzeige der Wagenreihung im DB Navigator, der dortige „Umstiegswecker“ mit aktuellen Informationen über bevorstehende Abfahrten und in „City mobil“ mit Anschlüssen beim Nahverkehr am Zielort.

Um auch unterwegs pünktlich zu bleiben, will die Bahn die Zahl der jährlich etwa 800 Suizide senken helfen. Eine neue Technologie macht Schallwellen durch Lichtreflexe – damit Menschen, Tiere und andere Hindernisse auf dem Gleis – sichtbar. „Da es sich um Glasfasertechnik handelt, sind die Kabel auch nicht anfällig für Buntmetalldiebe“, sagt Fricke. Ein Pilotprojekt soll im ersten Quartal 2017 auf der vor einem Jahr in Betrieb gegangenen Schnellfahrstrecke Leipzig/Halle–Erfurt starten.

Unterm Strich ist Fricke zufrieden mit seiner ersten Jahresbilanz im Südosten. „Die größten Ärgernisse sind beseitigt“, sagt der gebürtige Marburger. Er ist seit Juli 2015 Ansprechpartner des Konzerns und Koordinator der Arbeit im Südosten Deutschlands. Er war zuvor in gleicher Funktion in Baden-Württemberg tätig.