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Die Bäume der anderen

Als Förster ist Matthias Hänel für Privatwald im Landkreis zuständig. Dort schlummern unerkannte Schätze.

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© K.-L. Oberthür

Von Jörg Stock

Osterzgebirge. Langsam, ganz langsam greift die Linke von Matthias Hänel in die Ecke, wo das Gewehr lehnt, während die Rechte das Glas vor die Augen hält. Seitwärts ist was im Busch. Aber wozu das Fernglas? Es ist ja stockfinster! Gewisse Dinge filtert man trotzdem raus, sagt er. „Übungssache.“ Die Sinne gespannt, verharrt er ohne Regung eine kleine Ewigkeit. Dann setzt er das Glas ab, zieht die Hand von der Waffe zurück. Vielleicht ein Fuchs. Jedenfalls kein Wildschwein. Schweine machen Krach. Zwitschernd grüßt eine Amsel den neuen Tag.

Diese Eiche ist blankes Geld.
Diese Eiche ist blankes Geld. © K.-L. Oberthür
Jens (l.) und Peter Wehner zeigen Sturmschäden im Fichtenforst.
Jens (l.) und Peter Wehner zeigen Sturmschäden im Fichtenforst. © K.-L. Oberthür
Ullrich Ruppert (l.) und Bernd Eißrich führen ihren Eichenhain vor.
Ullrich Ruppert (l.) und Bernd Eißrich führen ihren Eichenhain vor. © K.-L. Oberthür

Matthias Hänel ist das, was man in seiner Branche einen Pkw-Förster nennt. Nicht, weil er so oft im Auto sitzt und am Tag schnell mal hundert Kilometer und mehr auf dem Zähler hat. Pkw steht für Privat- und Körperschaftswald. Etwa ein Drittel des Waldes zwischen Wilsdruff und Altenberg gehört nicht dem Staat, sondern Privatpersonen, Kommunen, Kirchen oder Stiftungen. Der Sachsenforst kümmert sich um die Bäume der anderen – falls sie das wollen. Im Forstbezirk Bärenfels ist der Privatwald in extra Revieren gebündelt. Das weitaus größte, das Revier Spechtshausen, gehört Matthias Hänel.

Im Wald bei Rabenau ist das Dunkel gewichen. Hänel steigt von der Kanzel. Kein Glück heute. Trotzdem ein Gewinn. Er liebt es, einsam zwischen den Stämmen zu sitzen, während fernab das Leben erwacht. Im Frieden des Waldes ordnet er seine Gedanken, geht den Tag durch, genießt die freudige Erregung beim Anblick des Wildes. Dafür steht er mehrmals die Woche zu nachtschlafender Zeit auf. Gestört hat ihn das nie. Heute war er schon halb drei wach und hätte gleich losmarschieren können.

Die erste Amtshandlung des Tages wartet gleich um die Ecke: Schätze des Waldes heben. Jeden Winter versteigert der Sachsenforst Premium-Baumstämme, auch aus Privatwäldern. Dick, grade gewachsen, ohne Fehl und Tadel müssen sie sein. Davon gibt es mehr als man glaubt, sagt Matthias Hänel. „Man muss sie nur suchen.“ Auf eine stattliche Roteiche wirft er sein Auge. Eiche ist in, bringt pro Kubikmeter 500 Euro und mehr. Hänel legt den Messschieber an. Einen guten halben Meter ist der Baum dick. Nicht genug, findet er. Der soll ruhig noch ein paar Zentimeter zulegen. „Das ist blankes Geld.“

Holzernte fällt aus

Dieses Geld zahlen Furnierwerke, Möbelfabrikanten oder Musikinstrumentenbauer. Noch sind es ihm zu wenige Private, die ihn losschicken, edle Hölzer zu suchen, sagt Matthias Hänel. Manche wissen nichts von dieser Möglichkeit, denkt er, andere trauen sich nicht, scheuen den Aufwand für Fällung und Transport. Tatsächlich wollen die Spitzenstämme behandelt werden wie rohe Eier. Aber das lässt sich organisieren, sagt Hänel. Wenn sich ein paar Leute zusammentun, sinken die Kosten.

Wieder eine Eiche, diesmal mehr als 70 Zentimeter dick. Keine Beulen, keine Äste. „Ein Traumstamm“, sagt der Förster und sprüht ein rotes S für „Submission“ auf die Borke. Als Frevel empfindet er das keineswegs. Irgendwann muss man ja ernten, sagt er. Und wenn ein alter Baum geht, macht er Platz für die jungen. „Wir schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe.“

Am Oelsaer Waldstadion packt Matthias Hänel die Farbdose schon wieder aus. Im Auftrag der Stadt Rabenau bemuttert er den Wald, in dem es einige Wackelkandidaten gibt. Diesen Herbst sollten sie beim regulären Holzeinschlag mit fallen. Doch die Holzernte fällt aus. Sturm „Herwart“ hat mehr als genug Holz umgeblasen. Nun muss der Förster entscheiden, welche Bäume so gefährlich sind, dass sie nicht mehr länger stehen sollten.

Gleich am Parkplatz tritt er zu einer mickrigen Eiche. An einem toten Ast sieht das Holz grau und schmierig aus. Dort wächst bald der Pilz. Bricht der Baum, fällt er vielleicht auf Autos und Menschen. Der Förster sprüht ein Kreuz auf die Rinde – hier heißt es handeln. Dann dreht er eine Runde um den Kabinentrakt, findet mal einen Rammschaden an der Borke, mal einen „Wassertopf“ in einem Zwiesel, mal Ameisenfraß in einer Astnarbe. Die Farbdose zischt – das Rathaus kriegt bald Post.

Wieder auf der Landstraße. Ohne Wagen geht nichts bei Matthias Hänel. Sein Revier ist gut 400 Quadratkilometer groß, größer als der halbe Forstbezirk. Es gibt über tausend Waldbesitzer. Aber jeder hat im Schnitt nur ein Fußballfeld voll Wald. Das Klein-Klein hat Hänel anfangs abgeschreckt. Heute liebt er es. Die Arbeit hat mehr Facetten als im Staatswald, sagt er. Als Pkw-Förster kommt er überall herum, kennt Hinz und Kunz. „Das macht Laune.“

Licht und Luft für Z-Bäume

In Hänichen trifft Hänel Ullrich Ruppert. Herr Ruppert hat Wald geerbt. Nun will er wissen, wie es damit weitergehen soll. Über den alten Bahndamm stiefeln die zwei zu dem jungen Eichenhain. Gut gewachsen, findet Hänel, aber viele Äste und Gabeln. Sein Rat: Die schöneren Stämme auswählen und ihre knorrigen Bedränger fällen. So kriegen die Z-Bäume, Z wie Zukunft, Luft und Licht. Das Sägen am besten Selbstwerbern überlassen. Die kosten kein Geld, sondern bringen welches. Fähige Leute mit Sägeschein und Ausrüstung kann er vermitteln. Anrufe von Feuerholzmachern kriegt er jeden Tag.

Eine Autofahrt später steht Matthias Hänel im „Sherwood Forest“, nicht bei Robin Hood, sondern bei Danny Schubert, einem der Chefs dieses Kletterparks am Malter-Stausee. „Herwart“ hat hier fünf Bäume umgeworfen und Teile der Kletterrouten demoliert. Danny trägt’s mit Fassung. „Das ist Natur“, sagt er, „damit müssen wir leben.“ Im Frühling wird die Saison trotzdem planmäßig starten, verspricht er. Bis dahin müssen die umgestürzten Bäume weg sein, sagt Förster Hänel. Nisten sich hier die Borkenkäfer ein, wäre das eine Gefahr für den Dippser Stadtwald, der in seiner Obhut ist, und der gleich nebenan beginnt.

Der Försterwagen rollt weiter. Matthias Hänel zeigt in die Botanik. Hier ein Stückchen Kirchenwald, da eine Erstaufforstung. Wald ist populär bei den Leuten, selbst wenn er winzig ist und manchmal nichts als Ärger macht. „Der Wald hat was Mystisches.“ Kurz darauf stapft Hänel mit Peter und Jens Wehner, Vater und Sohn, durch einen sturmzerzausten Fichtenforst nahe Reichstädt. Statt Fichten sieht er hier dicke Buchen wachsen, Eichen, Lärchen. In hundert, zweihundert Jahren könnte es so weit sein, wenn die beiden heute anfangen. Viel Mühe mit ungewissem Erfolg. Und das Sturmholz muss auch aufgeräumt werden. Den Wald abstoßen? Kommt nicht infrage, sagt Jens Wehner. Der Wald gehört zur Familie. „Den gibt man nicht einfach weg.“