Merken

„Die Asiaten sind uns meilenweit voraus“

Bürgermeisterin Anita Maaß weilte in Südkorea und ist beeindruckt. Wir können von den Asiaten viel lernen, sagt sie.

Teilen
Folgen
© privat

Von Jürgen Müller

Frau Maaß, Ende April waren Sie für einige Tage in Südkorea. Sind Sie mit ihrer Arbeit als Bürgermeisterin von Lommatzsch nicht ausgelastet?

Doch, natürlich. Es war keine dienstliche Reise, ich war auf Einladung des Bürgermeisters der Stadt Goyang dort. Alle Kosten haben die Koreaner getragen. Ich selbst habe für diese Zeit Urlaub genommen.

Wie kam der Besuch zustande?

Bereits 2015 weilte ich auf Einladung der Friedrich-Naumann-Stiftung zu Vorträgen in Seoul. Bei einem Vortrag an der Volkshochschule zur deutschen Einheit habe ich den Oberbürgermeister von Goyang, Herrn Choi Sung, kennengelernt. Im vergangenen Jahr traf ich ihn in Dresden wieder. Im Februar dieses Jahres bekam ich nun seine Einladung nach Goyang.

Was verspricht sich die Bürgermeisterin einer deutschen Kleinstadt von einem Besuch in einer asiatischen Metropole mit 1,5 Millionen Einwohnern?

Für eine kleine Stadt wie Lommatzsch ist es gewöhnlich kaum möglich, am internationalen Erfahrungsaustausch teilzuhaben. Dabei ist es gerade auch für Bürgermeister von kleinen Kommunen interessant, wie verschieden oder eben auch gleich Menschen weltweit auf bestimmte Entwicklungen reagieren. Themen wie Struktur- und Funktionswandel oder die Bewältigung des demografischen Wandels sind weltweit relevante Themen.

Was konkret haben Sie in Goyang gemacht?

Zufällig war ich genau zu der Zeit dort, als sich die Präsidenten von Nord- und Südkorea trafen. Die Menschen wünschen sich eine Wiedervereinigung sehr, sind sich aber zugleich der damit verbundenen Probleme bewusst. Wie schon 2015 führten wir viele Gespräche über die deutsch-deutsche Wiedervereinigung und die Erfahrungen von ost- wie westdeutschen Menschen. Mein gleichaltriger Kollege, der Niederlassungsleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul, Dr. Lars-Richter, kommt aus Westdeutschland und ich aus Ostdeutschland. Unsere nunmehrige Zusammenarbeit in der Naumann-Stiftung war für unsere koreanischen Gastgeber motivierend und symbolhaft. Nirgends habe ich übrigens seit dem Ende der DDR so viele Friedenstauben gesehen wie in Südkorea. Da habe ich Gänsehaut gekriegt.

Was können wir von den Südkoreanern lernen?

Die Asiaten sind uns in vielen Dingen meilenweit voraus. Ich denke nur an die Digitalisierung. An jeder Ecke gibt es WLAN, sie haben ein intelligentes Müllsystem, sind auf dem Weg zur Smart-City. Dort ist mir noch einmal bewusstgeworden, wie wichtig heute flächendeckendes Breitband ist. Da sind wir in Deutschland deutlich zu langsam. Es ist auch beeindruckend, wie kurz dort Planungsprozesse sind. Auch da sind wir in Deutschland viel zu langsam. Mit unserer komplizierten Bürokratie behindern wir Eigeninitiative. Manches machte mir auch Angst.

Zum Beispiel?

Nun, die Südkoreaner stampfen Hochhäuser aus dem Boden, da leben mehr Menschen drin, als Lommatzsch Einwohner hat. Eine solche starke Urbanisierung hat aber auch Schattenseiten.

Gab es auch Sachen, von denen die Südkoreaner von uns lernen können?

Ja, beispielsweise bei den erneuerbaren Energien. Auch über Themen wie erneuerbare Energien und Bürgerbeteiligung habe ich referiert. Ich habe zum Beispiel auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt, rund 15 Kilometer, nur ein einziges Windrad gesehen. Die Südkoreaner gewinnen ihre Energie vor allem aus Kohle und Atomkraft. Und die Luftverschmutzung ist ein großes Problem. Da sind wir nicht zuletzt in Lommatzsch deutlich weiter. Unsere Stadt ist schließlich energieautark. Das heißt, wir produzieren rein rechnerisch so viel Strom selbst, wie wir verbrauchen.

Könnten Sie sich eine Städtepartnerschaft zwischen Lommatzsch und Goyang vorstellen?

Ja und nein. Ja, weil die Südkoreaner dazu sofort bereit wären. Nein, weil Lommatzsch mit nicht mal 5 000 Einwohnern und eine 1,5-Millionenstadt nicht zusammenpassen. Wir könnten uns eine solche Partnerschaft schon aus finanziellen Gründen gar nicht leisten, haben nur halb so viel Geld im Haushalt für Partnerschaftsprojekte wie ein Flug kosten würde. Dennoch hoffe ich, dass wir weiterhin im Gespräch bleiben.

Was nehmen Sie mit von Ihrem Besuch?

Ich habe meinen Horizont erweitert, eine völlig neue Kultur kennengelernt, Impulse für die Stadtentwicklung mitgenommen. Es war angenehm zu erfahren, dass sich die Leute füreinander Zeit nehmen, viel miteinander reden, aber auch den Diskurs suchen. Auch das fehlt uns in Deutschland zu oft.

Das Gespräch führte Jürgen Müller