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Die Arche Näther

Seit neun Jahren betreibt Sven Näther den Tierpark Hebelei in Diera-Zehren, allen Hochwassern und anderen Unglücken zum Trotz. Die größte Prüfung steht ihm aber noch bevor.

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© Robert Michael

Von Dominique Bielmeier (Text) und Robert Michael (Fotos)

Also jetzt reicht’s! Es ist das erste und einzige Mal, dass Sven Näther während des Besuchs in seinem Tierpark laut wird. Er macht ein paar wütende Schritte auf den Kater zu, der trotz mehrfacher Drohungen schon wieder durch den Zaun in das Gehege der Weißstörche geschlüpft ist. Angelockt haben ihn weniger die großen Vögel als die toten Fische und Mäusehälften, die Näther in einer Schüssel zur Fütterung mit hineingenommen hat. „Mogelchen“ – so getauft, weil er sich immer irgendwie durchgemogelt hat, obwohl alles gegen ihn sprach – trollt sich widerwillig, aber erst, als die Störche die Köpfe weit in den Nacken werfen und drohend mit den Schnäbeln klappern.

Ohne Geld für ein Flurstück könnte der Tierpark bald drastisch schrumpfen. Sven Näther ruft deshalb auf Schildern zu Spenden auf.
Ohne Geld für ein Flurstück könnte der Tierpark bald drastisch schrumpfen. Sven Näther ruft deshalb auf Schildern zu Spenden auf. © Robert Michael

Der Tierparkchef hat die Stimme nun wieder gesenkt, spricht in dem für ihn typischen ruhigen und melodischen Ton über seine Störche: Der hier hat einen gebrochenen Flügel, der andere ist so sehr an Menschen gewöhnt, dass er einem die Schuhe zubinden würde, wenn er könnte. Gefunden wurde er, als er sich in die Schlange einer Imbissbude eingereiht hatte, sehr zur Unterhaltung der anderen Wartenden. So landete er irgendwann bei Näther.

Der 42-jährige Zootierpfleger betreibt das Naturerlebniszentrum Elbepark direkt am Elberadweg in Diera-Zehren, vielen besser bekannt als „Hebelei“, nach dem gleichnamigen Ort. Das Besondere an diesem Tierpark: Schon seit der Gründung im Jahr 1972 werden hier vom Aussterben bedrohte Haustiere gehalten und gezüchtet. Im Moment sind es rund 200 Tiere in 67 verschiedenen Rassen und Arten, darunter Sachsenhühner, Pekingenten, Heidschnucken, Hausesel, Siebenschläfer und Meißner Widder-Kaninchen. Rassen, die aus der Mode gekommen sind, weil sie den heutigen Hochleistungsansprüchen nicht mehr gerecht werden.

Von vielen hat Näther genau zwei Exemplare, sodass man beim Gang durch den Tierpark den Gedanken an eine Arche nicht aus dem Kopf bekommt. Eine Arche aber, die nicht nur rettet, sondern immer wieder selbst gerettet werden muss. Manchmal sogar im ganz biblischen Sinne.

Das Elbehochwasser von 2002 setzt den halben Tierpark unter Wasser, knapp drei Meter steht es hoch. Mithilfe von Anwohnern und freiwilligen Helfern können aber alle Tiere gerettet werden, durch Spenden von Privatleuten, Vereinen und Institutionen sowie aus Mitteln des Freistaats wird der Park mühsam wieder aufgebaut. Das ist noch vor Näthers Zeit. Heute gibt es eine Ausweichfläche, auf welche die Tiere bei einem erneuten Hochwasser gebracht werden können. Die Gefahr besteht immer, schon bei einem Pegel von 5,80 Metern wird es kritisch. Und Näther hat es selbst zweimal getroffen: Auch 2011 und 2013 wird der Park teilweise überflutet.

Ein anderes Mal bricht das Erdkabel, das den Imbisspavillon mit Strom versorgt. Hier wird mit dem Verkauf von Speisen und Getränken das meiste Geld erwirtschaftet. Ein Meter Kabel kostet 100 Euro, erzählt Näther, etliche Meter sind damals nötig. Das Geld dafür muss er als Betreiber selbst aufbringen. Um zu sparen, gräbt er den Schacht zusammen mit dem Auszubildenden selbst. Anschluss- und Materialkosten sind trotzdem immens. „In dieser schwierigen Situation mussten wir das alles alleine stemmen“, sagt Näther. „Dabei wurde eigentlich einmal gesagt, bei solchen schwerwiegenden Sachen hilft die Gemeinde natürlich.“

Ein Versprechen, das Näther nur mündlich erhalten hat. Wenn es um das Verhältnis zur Gemeinde geht, wird der 42-Jährige noch ruhiger, denkt lange nach, bevor er spricht. Er ist niemand, der gerne klagt und auch niemand, der sich schnell unterkriegen lässt. Sonst hätte er schon längst das Handtuch werfen müssen.

„Wir versuchen, die Dinge immer positiv zu sehen, es muss ja irgendwie weitergehen.“ Das ist einer der ersten Sätze, die Sven Näther sagt, als er mit der Storchenfütterung fertig ist und nachdem auch die Schweine ihre Möhren bekommen haben. Da hat er gerade in seinem kleinen Büro im Verwaltungsgebäude Platz genommen, Katze Purzel ist unbemerkt durch die Tür in den einzigen geheizten Raum gehuscht und macht sich nun laut schnurrend auf seinem Schoß breit. Sie ist eine von neun Katzen, die auch im Tierpark leben. Jetzt im Winter buhlen sie um jede Aufmerksamkeit, die sie kriegen können. So viele Besucher kommen bei den kalten Temperaturen nicht vorbei.

Normalerweise sei das kein Problem, erklärt Näther. Der Park ist eben ein Saisongeschäft – wenn der Sommer gut läuft, kommt gerade genug rein, um die Kosten auch im Winter zu decken. „Aber es darf nichts Außergewöhnliches dazwischenkommen.“ Dann könne es sein, dass der Tierpark in Schieflage gerät. Das ist noch beschönigend ausgedrückt. Im Moment ist die Arche von Sven Näther beinahe schon im Sinken begriffen.

Ein kleines Schild an der Tür zum Schweinegehege erklärt die Misere: „Hier könnte der Tierpark bald zu Ende sein“, ist der Spendenaufruf überschrieben. Der Pachtvertrag für einen großen Teil des Parks läuft Ende des Jahres aus. Wahrscheinlich wird dieser Unterpachtvertrag mit der Gemeinde, die das Flurstück wiederum von einem Privatbesitzer pachtet, nicht verlängert. Einzige Chance, die Fläche zu behalten, wäre ein Kauf. Doch dafür fehlt das Geld. Die genaue Summe nennt Näther nicht, um die Verhandlungen nicht zu gefährden. Aber es sei eine Zahl mit vier Nullen am Ende.

Wenn er dieses Geld nicht aufbringen kann, hat das drastische Folgen: Der Tierpark würde von rund fünf Hektar auf nur noch anderthalb Hektar schrumpfen. So gut wie alle Großtiere müsste Näther aufgeben, auch die große Storchenwiese an der Elbe würde wegfallen. Eine Fläche, die er nun zur Selbstversorgung nutzt, wäre betroffen; mehr Futter müsste dann teuer zugekauft werden. Und worauf er besonders stolz ist – die Weitläufigkeit der Anlage – damit wäre es ganz vorbei.

So hatte er es sich nicht vorgestellt, als er den Tierpark vor rund neun Jahren von der Gemeinde übernahm. Besser gesagt: der Gemeinde abnahm. Denn damals schrieb diese mit der Anlage rote Zahlen, weshalb sie auch zur privaten Bewirtschaftung ausgeschrieben wurde.

Näther, der in Döbeln aufgewachsen ist und zuletzt in einem Naturerlebniszentrum in der Lüneburger Heide arbeitete, bewarb sich mit einem Konzept, das mit großer Mehrheit in der Gemeinderatssitzung angenommen wurde. Der Park soll sich ausschließlich über Eintrittsgelder, das Imbissgeschäft, Souvenirs und die Standgebühren bei den Bauernmärkten tragen. Später kommen noch Tierpatenschaften dazu, weil Besucher immer wieder danach fragen. Dafür bekam Näther von der Gemeinde eine Anschubfinanzierung von mehreren Tausend Euro, die über die ersten Jahre planmäßig langsam auslief.

Unter anderem von diesem Geld wollte der neue Betreiber schon damals das Flurstück kaufen. „Weil ich gesagt habe, das Ganze hat nur Sinn, wenn wir sicheres Fahrwasser haben und es keine Pachtflächen sind“, so Näther. Aber die Gemeinde sträubte sich dagegen, dass das Geld dafür verwendet werden sollte. Sie versprach, die Fläche selbst zu kaufen.

Durch Zufall erfährt Näther viel später, dass die Gemeinde die Fläche des Parks tatsächlich gekauft hat – aber nur einen kleinen Teil davon. Den Teil, der bald als einziger vom Park übrig sein könnte. „Wir waren ganz verdattert, weil wir die ganze Zeit dachten, dass Planungssicherheit für den ganzen Tierpark gegeben ist.“ Heute habe die Gemeinde das Geld für das Reststück wohl nicht mehr, sagt Näther. Und auch er kann es nicht aufbringen. In der Zwischenzeit wurde der Mindestlohn eingeführt, der ihm zu schaffen macht, und kleinere wie größere Katastrophen fraßen oft kurzfristig die finanziellen Mittel auf.

Besucher fragen Näther manchmal, warum er nur ein Rind hat. Es wäre doch besser, man würde ein Paar halten? Aber der Tierparkchef kann sich kein zweites holen, solange er nicht weiß, ob er es in wenigen Monaten nicht doch zusammen mit dem ersten abgeben muss. Er will auch keinen Apfelbaum pflanzen, solange er nicht weiß, ob dieser mindestens die nächsten zehn Jahre dort stehen bleiben kann. Näther schweigt lange, sehr lange, auf die Frage, wie viel Geld denn noch fehlt, um das zweite Flurstück kaufen zu können. „Schon noch eine Stange“, sagt er knapp. Trotz der Patenschaften, der Spendenaufrufe und des Engagements vieler Bürger, die immer wieder Futterspenden vorbeibringen oder sogar mal den Erlös aus der Kollekte ihrer kirchlichen Trauung an den Tierpark stiften.

Tiergärten genießen einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft, ist Näther überzeugt. In einer Liste von Seen, Bädern und anderen Freizeiteinrichtungen ordnet er Zoos weit oben ein. „Aber die Leute haben auch immer weniger Geld.“

Näther sieht das als einen Grund dafür, weshalb die Stimmung in Sachsen seiner Empfindung nach inzwischen sehr unruhig, teilweise auch aggressiv ist. Die Leute hörten immer aus Studien, dass Deutschland eines der reichsten Länder sei. „Das ist das, was sie dann aufwühlt: Wieso ist dann kein Geld für den Tierpark da?“

Er kann die Liste beliebig fortsetzen: Warum ist die Fähre in Niedermuschütz geschlossen? Warum zerfällt die Dorfstraße Richtung Naundorf? Warum kann das Terence-Hill-Bad in Lommatzsch nicht mehr aufgebaut werden? Warum musste das DDR-Museum aus Radebeul nach Dresden umziehen? „Das Geld muss ja irgendwo sein!“ Purzel hat Schwierigkeiten, sich auf dem Schoß von Näther zu halten, während er zu seinen Worten gestikuliert.

Auf dem Weg zu neuen Ufern! So hieß das Konzept von Näther damals. Bereut hat er seinen Entschluss, den Tierpark zu übernehmen, nie. Trotz aller Schwierigkeiten. Dafür gab und gibt es zu viele schöne Momente. Jungtiere, die geboren werden, wie das Skudden-Schaf-Lämmchen am 26. Februar. Solche Momente nutzt Näther, um zum Beispiel auf Facebook mit niedlichen Bildern für seinen Tierpark zu werben. Manchmal kommen aber auch Besucher zu ihm, die das gar nicht wollten.

An den Straßen ist der Tierpark nur als „Elbepark“ ausgeschildert. Einmal standen deshalb Leute vor seinem Tor, die eigentlich in das Einkaufszentrum in Dresden fahren wollten. „Das haben wir auch hingekriegt“, sagt Näther nun wieder bestens gelaunt. „Da gab es dann eben Bratwürste und Plüschtiere.“

Kontodaten für Geldspenden: Elbepark Hebelei, IBAN: DE 04 8505 5000 3100 0050 65, BIC: SOLADES1MEI, Sparkasse Meißen.