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Die Angst fliegt mit

Stabhochspringerin Kira Grünberg stürzt beim Training so schwer, dass sie künftig im Rollstuhl sitzen muss.

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© dpa

Von Volker Gundrum, Sebastian Stiekel und Thomas Weitekamp

Kira Grünberg galt in Österreich als aufstrebender Leichtathletik-Star. Nach einem schweren Trainingsunfall ist die Stabhochspringerin jetzt querschnittsgelähmt. Die 21-Jährige, die sich sogar von Turn-Star Fabian Hambüchen Tipps holte, hat sich bei einem Übungssprung vor den Augen ihres Vaters und Trainers den Halswirbel gebrochen. Die schockierende Diagnose gab der nationale Verband am Freitag nach der Operation in der Uniklinik Innsbruck bekannt. „Kira, die Sportfamilie ist in Gedanken bei Dir und Deiner Familie“, schrieb der ÖLV auf seiner Internetseite.

„Der Erhalt der Lebensfunktionen“ sei primäres Ziel des Eingriffs gewesen, sagte ihr Manager Thomas Herzog der österreichischen Nachrichtenagentur Apa. Was die Diagnose querschnittsgelähmt betreffe, sei „von keinem positiven Verlauf“ auszugehen und an eine weitere Karriere nicht zu denken. „Der Weg, der auf sie wartet, ist ein anderer, langer, schwieriger.“

Einmal mehr wurde auf tragische Weise deutlich, wie gefährlich diese Disziplin ist. „100-prozentige Sicherheit kann es beim Stabhochsprung leider nie geben. Das ist ein Sport, zu dem eine Risikokomponente gehört“, erklärte Herbert Czingon, Teilzeittrainer von Kira Grünberg und früherer Bundestrainer der deutschen Leichtathleten, der seit 2012 als Stabhochsprung-Trainer für den Schweizer Verband Swiss Athletics und den LC Zürich arbeitet.

Seit Beginn dieses Jahrtausends schreckten einige tödliche Unfälle in den USA die Sportwelt auf. 2002 führte das Land an Hochschulen nach drei Todesfällen in nur sieben Wochen die Helmpflicht ein. 2008 gab es an einer High School einen ähnlichen tödlichen Sturz. 2009 verunglückte ein 19-jähriger College-Student beim Training.

Von den Profis sprang anschließend bloß der inzwischen 38-jährige Toby Stevenson, Olympia-Zweiter von 2004 in Athen, mit Helm – seiner Mutter zuliebe. Auch in Deutschland setzt derzeit lediglich Lilian Schnitzerling auf den Kopfschutz.

Bei Grünberg „hätte ein Helm vermutlich nicht geholfen“, meinte Czingon. „Bei bestimmten Verletzungen oder missglückten Landungen auf den Hinterkopf kann es sogar sein, dass ein Helm die Sache noch schlimmer macht. Vielleicht führt dieser furchtbare Fall zu der Entwicklung, die Härte oder Beschaffenheit des Einstiegskastens zu überdenken.“ Er betonte: „Die Regeln zur Sicherheit sind beim Stabhochsprung immer wieder verändert worden.“ Die Anlagen seien mittlerweile „im Schnitt viel sicherer als vor 20 Jahren“. Der einstige deutsche Chefcoach sagte aber auch: „Wir sind alle dazu aufgerufen, in dieser Sicherheitsdiskussion nie lockerzulassen.“

Der Umgang mit der Angst ist ein sensibles Thema bei Athleten und Trainern. Für viele Springer macht das Risiko auch einen Teil des Reizes aus. Umgekehrt gibt es Fälle wie die frühere deutsche Rekordhalterin Annika Becker, bei der 2004 im Training der Stab brach. Sie fiel auf den Kopf, verletzte sich am Halswirbel und wechselte vier Monate später zum Weitsprung. Die Angst war bei ihr zu groß geworden.

Grünberg wollte für die noch nicht erfüllte WM-Norm von 4,50 Metern trainieren. In einer Innsbrucker Halle stürzte sie bei einem Versuch über eine geringe Höhe mit dem Kopf voraus in den Einstichkasten. „Du brauchst in unserem Sport alles: Akrobatik, Athletik, Kraft, Mut. Mich hat das Stabhochspringen schon als Mädchen fasziniert. Ich wollte immer wissen, wie das funktioniert“, sagte sie. Grünberg hielt mit 4,45 Metern den österreichischen Rekord und war knapp dran an der WM-Qualifikation. Um noch höher zu springen, ging sie auch ungewöhnliche Wege. Beispielsweise entwickelte Hambüchen 2014 für Grünberg einen Trainingsplan. „Er hat mir drei Din-A-4-Zettel mit Übungen aufgeschrieben“, sagte sie. An diesem Sonnabend in Linz wollte Grünberg eigentlich die Norm knacken.

„Kira hat im Dezember ein verlängertes Wochenende bei uns in Wetzlar verbracht“, sagte Hambüchens Vater Wolfgang. „Es ist natürlich schrecklich, jetzt diese traurige Nachricht zu hören. Der Kontakt kam zustande, weil ihre Agentur ein Partner von Fabians Agentur ist. Wir wollten Kira helfen, sich als Stabhochspringerin turnerisch zu verbessern. Gesehen haben wir uns zuletzt bei den Europaspielen in Baku, wo sie die Konkurrenz gewonnen hat.“ Der schlimme Vorfall wecke Erinnerungen an 2004, die schwere Verletzung Ronny Ziesmers. Der Turner brach sich im Training für die Sommerspiele bei einem Sprung auch den Halswirbel. (dpa/sid)