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Die Angeklagten schweigen

Am Görlitzer Landgericht begann der Prozess gegen ein Paar, dem brutaler Mord an Philipp W. aus Niesky vorgeworfen wird.

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© Nikolai Schmidt

Von Ralph Schermann

Görlitz/Niesky. Der erste Verhandlungstag war kurz. Richter Theo Dahm schloss am Dienstag die Sitzung nach nur einer Stunde. In der wurden Formalitäten besprochen, Personalien festgestellt, die Anklage verlesen und der Antrag der Verteidigung auf einen zusätzlichen, dritten Rechtsanwalt abgelehnt. Für die beiden Angeklagten reichen zwei bestellte Verteidiger völlig aus, war sich die mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzte Große Strafkammer als Schwurgericht einig: „Die Beweislage ist überschaubar, die Termine sind es auch.“

... und Anne-Kathrin Hartmann müssen sich vor dem Schwurgericht verantworten. Sie sind angeklagt, aus Habgier und niedrigen Beweggründen einen Menschen brutal umgebracht und weitere Straftaten geplant zu haben.
... und Anne-Kathrin Hartmann müssen sich vor dem Schwurgericht verantworten. Sie sind angeklagt, aus Habgier und niedrigen Beweggründen einen Menschen brutal umgebracht und weitere Straftaten geplant zu haben. © Danilo Dittrich
Am 13. Februar wurde die Leiche Philipp W.‘s in Weinhübel gefunden – Kriminaltechnik und Mordkommission begannen mit ihren Untersuchungen.
Am 13. Februar wurde die Leiche Philipp W.‘s in Weinhübel gefunden – Kriminaltechnik und Mordkommission begannen mit ihren Untersuchungen. © Danilo Dittrich

Für die Zuschauer im großen Sitzungssaal des Görlitzer Landgerichtes ist das, was so überschaubar sei, ein Drama. Es waren vor allem Familienangehörige, Freunde und Bekannte von Philipp W. aus Niesky, die so zahlreich erschienen, dass die Plätze kaum ausreichten. So zahlreich hatten die Nieskyer bereits Gedenkveranstaltungen für ihn gestaltet und seine Beisetzung auf dem Nieskyer Waldfriedhof begleitet. Denn Philipp W. wurde ermordet.

Die beiden Angeklagten Anne-Kathrin Hartmann (24) und Stephan Kuhring (33), für die um einen dritten Verteidiger gestritten wurde, haben Philipp W. auf ihrem Gewissen. Die gemeinschaftlich geplante und ausgeführte Tötung des 24-Jährigen sollen beide zugegeben haben, hieß es nach ihrer Festnahme im Februar aus Polizeikreisen. Mehr jedoch hatten sie damals nicht ausgesagt, und beide schweigen bis heute.

Angeklagte zeigen keine Regung

Die Rechtsmedizin Dresden hatte beim ermordeten Philipp W. Ersticken als Todesursache festgestellt. Daraufhin erfolgten „aufwendige histologische Untersuchungen“, informierte Oberstaatsanwalt Sebastian Matthieu. Mikroskopisch zu betrachtende Feingewebeproben mussten im Labor speziell aufbereitet werden, um herauszufinden, was genau kurz vor W.’s Tod passierte. Die Kripo unternahm umfangreiche Ermittlungen, um die Abläufe so genau wie möglich zu rekonstruieren, erinnerte Sebastian Matthieu. Das war aufwendig, weil sich das Pärchen während dieser Zeit nahe Dresden aufgehalten habe. Das Landeskriminalamt half bei der Auswertung aller gesicherten Fingerabdrücke, DNA-Spuren und weiteren Fundortfeststellungen. Da die Tatverdächtigen aber schwiegen, war das „reine Fleißarbeit“. Zudem wurde bereits damals ein Gutachter damit beauftragt, die Schuldfähigkeit der beiden Verhafteten festzustellen. Diese waren der Polizei vorher zudem bereits auch wegen Drogenkriminalität bekannt.

Schon als Stephan Kuhring in den Schwurgerichtssaal geführt wurde, brachen Angehörige des Getöteten in Tränen aus. Der bullig wirkende Angeklagte mit Kinnbart, millimeterkurzem Haar und mehreren Tätowierungen widmete ihnen keinen Blick, hielt den Kopf überwiegend gesenkt und vermied jede Sicht zur Mutter von Philipp W., dessen Eltern beide als Nebenklagevertreter auftreten und dabei von den Rechtsanwälten Sylke Jennewein und Christian Penning betreut werden. Dem Verteidiger von Anne-Kathrin Hartmann, dem Görlitzer Rechtsanwalt André Kanzog, gelang es, seine Mandantin erst nach der Prozesseröffnung in den Saal führen zu lassen, als Fotografen und Kameraleute kaum mehr aufnehmen durften. Wie Kuhring war auch der jungen Frau keine Gefühlsregung anzusehen. Das schwarze Haar modisch schulterlang frisiert, im weißen Shirt, versehen mit Armbändchen und Piercing, nahm sie mit aufeinandergepressten Lippen auf der Anklagebank Platz.

Weitere Tat war schon geplant

Während Oberstaatsanwalt Sebastian Matthieu die Anklagen vortrug, herrschte im Saal gespenstische Stille. Leises Schluchzen war zu vernehmen, schilderte er konkrete Tathandlungen. Beide Angeklagte ließen die Lesung gelassen über sich ergehen, hörten regungslos zu, wessen man sie anklagt: Ziel des Pärchens sei es gewesen, das Kind Anne-Kathrin Hartmanns zu entführen und sich mit diesem ins Ausland abzusetzen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der das Sorgerecht innehabende Kindsvater Max H. bei der Abholung des Jungen aus der Girbigsdorfer Kindereinrichtung niedergeschlagen, nach Tschechien verbracht und dort in einem abgelegenen Waldstück an einen Baum fixiert und geknebelt seinem Schicksal überlassen werden sollte. Für die Vorbereitung von Entführung und Flucht benötigte das Pärchen Geld. Wie man an solches gelangte, schildert die Anklageschrift so: Anne-Kathrin Hartmann lud den ihr bekannten Philipp W. auf die Görlitzer Stauffenbergstraße ein, in die gemeinsam mit Kuhring gemietete Wohnung. Während des Gespräches näherte sich der vorher in einem Nebenraum versteckte Stephan Kuhring von hinten und schlug Philipp W. mit einem stumpfen Gegenstand auf den Kopf. „Möglicherweise mit einer Bratpfanne“, vermutete Matthieu. Dann fesselten beide Angeklagten ihr Opfer an einen Stuhl und überzogen es mit mehreren Lagen Plastetüten, die sie sorgfältig mit Paketband abdichteten und verklebten. Philipp W. erstickte. Das Paar hob mit dessen EC-Karte viermal je 500 Euro ab, verkaufte dessen Handy und fuhr mit W.’s BMW davon.

Das war am 5. Februar. Am 9. Februar erstattete Philipps Vater Vermisstenanzeige. Ein Zufall in einer anderen Strafsache führte zur Festnahme des Paars in Weigsdorf-Köblitz, worauf bei einer Durchsuchung der Görlitzer Wohnung am 13. Februar die Leiche gefunden wurde, vor allem aber die geplante Kindesentführung und Tötung des Kindsvaters nicht mehr ausgeführt werden konnten. Am 15. August geht die mit zehn Prozesstagen angesetzte Verhandlung weiter. Dann werden Gutachter ihre Erkenntnisse vortragen. Zeugen sollen ab 29. August gehört werden. Ulf Israel, Verteidiger von Kuhring, kündigte für nächste Woche eine Erklärung seines Mandanten an, während Hartmann weiter schweigen will.

Einen Zuhörer stört das nicht: „Hauptsache, die beiden kommen nie wieder aus dem Knast. Und selbst das wäre noch zu wenig!“