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„Dreamhack“ startet in Leipzig

Auf der Messe läuft Deutschlands größte Computer-Party. Es geht um Millionen.

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© Sebastian Willnow

Von Sven Heitkamp

Es ist dunkel und ziemlich leise in Halle 5 der Leipziger Messe. Auf Bildschirmen ballern Maschinengewehre, ein Soldat kämpft sich durch unbekannte Gassen. 1 086 Computer sind aufgebaut in der LAN-Area, in die kein Tageslicht dringt. Die Rechner sind alle vernetzt, mit 16 Kilometern Kabeln über 50 Knotenpunkte. Ein Rechenzentrum und etliche Techniker überwachen, dass nichts abstürzt. In Leipzig steigt dieses Wochenende die Premiere der deutschen „Dreamhack“ – der erste deutsche Ableger des weltgrößten E-Sports-Festivals, das von Schweden aus schon nach halb Europa exportiert wurde. Es ist Deutschlands größte vernetzte Computer-Party mit mehr als 1 000 Spielern. 150 Profis, darunter weltweit bekannte Teams und Stars, kämpfen parallel in Turnieren um sechsstellige Preisgelder. Die Messe ist 56 Stunden rund um die Uhr geöffnet, für die Spieler gibt es Duschen und Liegeplätze.

Mit dabei: Calvin Seidel, 23, Zeitsoldat aus Leipzig. Eine große Nummer in seiner Szene. Die Fans kennen ihn auf Youtube als „Sir Royal“, dort hat er mehr als 400 Videos und 75 000 Fans. Die schauen ihm zu, wie er „Call of duty“ spielt und erklärt. Ein „Ego-Shooter“, bei dem er Kämpfer in einem Kriegsszenario mimt. Bei Facebook heißt Calvin nur „RoyaL“ und hat 140 000 Fans. Er ist eine „Person des öffentlichen Lebens“, der bekannteste Call of duty“-Spieler aus Sachsen, vielleicht deutschlandweit: 2011 Deutscher Meister, gehörte er zur Nationalmannschaft der virtuellen WM in Los Angeles. Er hat Sponsoren, die ihm die einwöchige Reise finanziert haben. Er verdient Tausende Euro im Jahr mit Werbeeinahmen und Preisgeldern.

Wer spielt, braucht Wasser

Wenn Seidels Engagement bei der Bundeswehr ausläuft, wechselt er vielleicht komplett in den Profibereich. Mit 15 Jahren hatte er heimlich angefangen, der große Bruder hat es ihm gezeigt. Das Geheimnis des Erfolgs liege aber nicht im Dauerspielen und in Energiedrinks. „Es ist das Spielverständnis“, sagt RoyaL. „Dazu viel Schlafen und viel Wasser trinken.“ Auf der Dreamhack trifft er Leute aus der Szene, die er bisher nur virtuell kennt. Sechs bis acht Stunden spielt er dann jeden Abend, diesmal aber nur zum Zeitvertreib.

Einer seiner Freunde ist Matthias Hietsch aus Köln. Der 24-Jährige spielt halb-professionell virtuellen Fußball, die aktuelle Version heißt „Fifa 16“ und sieht aus wie ein echtes Stadion. Hietsch heißt in der Szene „Stylo“, er spielt in der Online-Bundesliga, bei Europameisterschaften und anderen Turnieren, er gewinnt damit mehrere Tausend Euro im Jahr dazu – neben seiner Banklehre. Er sitzt fast jeden Tag zwei bis drei Stunden vor dem Computer, abends, wenn seine drei Kinder schlafen. Gestern Nachmittag hockt er auf einer Messe-Bühne und zockt drei Spiele für jeweils eine Viertelstunde. 16 der besten deutschen Spieler von „Fifa 16“ zeigen in Leipzig in einer Gruppenrunde ihr Talent, dann geht’s in die KO-Phase. Die Fans verfolgen das Finale Sonntag auf einer Leinwand wie beim Public Viewing. „Wie bei der Champions League“, sagt „Stylo“.

Der Vergleich passt auch ökonomisch: Die Umsätze der dynamischen Computerspiel-Branche gehen in die Milliarden. In Deutschland wurden 2014 mit digitalen Spielen und Spielekonsolen 2,67 Milliarden Euro umgesetzt. Ein Plus von elf Prozent, berichtet der Bundesverband für Interaktive Unterhaltungssoftware BIU. Nach dessen Erhebungen beschäftigt die Branche in 450 Unternehmen 13 000 Menschen. Auch wenn Deutschland international noch vergleichsweise unbedeutend ist, haben sich ein paar junge Unternehmen erfolgreich etabliert.

Von dem Boom will auch die Leipziger Messe profitieren. „Man muss immer viel Kraft in die Zukunft investieren. Aber wir sehen in diesem Markt viel Potenzial“, sagt Markus Geisenberger, einer der beiden Messechefs. Das E-Sports-Festival verfolge dabei ein anderes Konzept als eine klassische Messe. Neben den 10 000 Gästen, die Geisenberger erwartet, schauen weltweit Zehntausende Fans der Szene online zu. Im Netz schlummert ein Zukunftsmarkt. Leipzig hatte mit seiner Games Convention schon einmal erfolgreich eine Computerspiel-Messe aufgebaut, die dann aber von Köln weggekauft wurde. Jetzt wagt man den Neustart. „Wir holen die jährlichen Winterspiele nach Leipzig“, sagt Geisenberger. Über dem Messeeingang steht in großen Lettern: „Willkommen zu Hause!“