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Deutschkurs hinter Gittern

Zehn ausländische Gefangene haben jetzt einen Sprachkurs in der JVA Zeithain begonnen. Eine Premiere.

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© Monika Skolimowska/dpa

Von Martin Kloth

Zeithain. Arafet Mhamdi hat sich aufgeschrieben, was er sagen will – und seine Notizen am Ende mit einer kleinen Zeichnung garniert. „Couscous“ steht als Erklärung hinter einem Pfeil. Mhamdi ist Tunesier und Couscous ein traditionelles Gericht der nordafrikanischen Küche. Doch der junge Mann ist mehr als 3 000 Kilometer von seiner Heimat entfernt in Deutschland. Weil er hier straffällig geworden ist, verbüßt er eine Haftstrafe. In der Justizvollzugsanstalt Zeithain gehört der Tunesier zu einer Gruppe von zehn Gefangenen aus Nicht-EU-Staaten, die im Gefängnis Deutsch lernen.

Der Gefangene Arafet Mhamdi aus Tunesien hält in einem Deutschkurs in der Justizvollzugsanstalt Zeithain ein Blatt mit selbst geschriebenen Notizen in deutscher Sprache in den Händen.
Der Gefangene Arafet Mhamdi aus Tunesien hält in einem Deutschkurs in der Justizvollzugsanstalt Zeithain ein Blatt mit selbst geschriebenen Notizen in deutscher Sprache in den Händen. © Monika Skolimowska/dpa

Sieben Männer im Alter zwischen 26 und 45 Jahren sitzen in dem kleinen Raum eines Flachbaus. Drei weitere sind an diesem Tag „auf Schub“ – das heißt, sie haben wichtige Termine wie Vernehmungen, Verhandlungen oder Anwaltsbesuch. Der Unterricht dreht sich um Herkunft und Zukunft. Wo komme ich her, wo will ich hin? Lehrerin Nina Franke hat dafür mit Kreide verschiedene Fragen an die Schultafel geschrieben. Immer wieder unterbricht sie, korrigiert, stellt Nachfragen. Bei guten Leistungen spielt sie Applaus von einem Gerät ein, das an ein Babyfon erinnert.

Ihre Schüler kommen aus Tunesien, Russland, Georgien, Libyen, Algerien und dem Irak. „Wir sprechen alle deutsch“, gibt Franke ihre Unterrichtsmaxime vor. Die Männer auf den Schulbänken eint, dass alle bereits die deutsche Sprache verstehen und sprechen können. Nun sollen sie diese auch lesen und schreiben lernen. Ihr Kurs ist ein Alphabetisierungskurs. Er umfasst 400 Unterrichtsstunden zu je 45 Minuten und dauert ein halbes Jahr. Der Lehrstoff ist der gleiche wie in den Deutschkursen, zum Beispiel für Flüchtlinge in Freiheit,– und doch sind die zehn Männer so etwas wie Pioniere: Dass Gefangene aus Nicht-EU-Staaten diesen Unterricht bekommen, ist neu. Bislang war dies nur EU-Ausländern durch Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) vorbehalten.

Seit diesem Jahr nun finanziert das Sächsische Staatsministerium für Gleichstellung und Integration die Kurse für Gefangene aus Drittstaaten. Außer in Zeithain wird der Alphabetisierungskurs auch in der JVA Regis-Breitingen durchgeführt. In den Gefängnissen Leipzig, Görlitz, Zwickau, Dresden und Bautzen gibt es Einstiegskurse. Diese umfassen 200 Unterrichtsstunden, dauern drei Monate und sollen Verstehen und Sprechen der Sprache vermitteln.

Die Sprachkurse in den Anstalten könnten gemäß der Richtlinie Integrative Maßnahmen gefördert werden, teilte das Ministerium auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Für alle Kurs-Kategorien stehen in diesem Jahr neun Millionen Euro zur Verfügung. Für die Bildungsträger der JVA-Kurse bleibt davon nicht viel übrig. Das Berufsbildungswerk (bfw), das den Kurs in Zeithain organisiert, bekommt dafür 31 200 Euro.

Das interessiert die Kursteilnehmer in dem Unterrichtsraum nicht. Sie wollen Deutsch lernen. Wie Jewgeni Wachruschew. Der Russe ist seit 2003 in Sachsen, hat nach eigener Aussage bereits einen sechsmonatigen Deutschkurs absolviert und möchte in Deutschland bleiben. Er wolle eine Ausbildung machen, entweder in Richtung Logistik oder Elektro. „Ich habe jetzt viel Zeit und kann hier schön lernen“, sagt der 32-Jährige.

Der im Februar gestartete Kurs ist auch für die Justizbeamten in Zeithain ein Gewinn. Die Gefangenen seien sinnvoll beschäftigt und man tue etwas für die Integration, sagt Benno Kretzschmar, in Personalunion Pressesprecher und Sicherheitsbeauftragter der Anstalt. Die Männer seien ausgeglichener, hätten einen strukturierten Tagesablauf. Sie würden Arbeitsschutzbelehrungen verstehen und könnten das, was sie wollten, schriftlich beantragen. „Das hilft uns, die Leute in den Vollzugsalltag zu integrieren“, sagt Kretzschmar und ergänzt: „Es ist auch unser Anspruch, die Gefangenen fit zu machen für draußen.“

Zeithain ist mit seinen rund 400 Haftplätzen laut Kretzschmar voll ausgelastet. Die Insassen der Anstalt kommen aus 18 Nationen. In den zehn Gefängnissen Sachsens waren im März 3 679 Menschen in Straf- und Untersuchungshaft. 1 040 davon kamen aus 59 Ländern, darunter 17 EU-Staaten. Häufigste von Ausländern begangene Straftaten waren laut Justizministerium Diebstahl, gefährliche Körperverletzung, Betrug, schwerer Bandendiebstahl und Drogendelikte. In Einzelfällen gebe es Probleme mit Gefangenen aus muslimisch geprägten Ländern, insbesondere aus Nordafrika. Sie würden Anweisungen nicht befolgen oder Selbstverletzungshandlungen androhen, um Interessen durchzusetzen. Kretzschmar bestätigt dies, betont aber, dass es tatsächlich nur Einzelfälle seien. Die Vollzugsbeamten ihrerseits müssten lernen, dass diese Menschen eine andere Gestik, eine andere Dynamik und ein anderes Ehrgefühl hätten. „Das Wichtigste ist Respekt.“

Diesen verspürt Lehrerin Franke von den Gefangenen in ihrem Deutschkurs. „Aggressionen mir gegenüber habe ich noch nicht erlebt“, sagt die schlanke, blonde Frau. Sie lehre zwar Deutsch. „Aber die Regeln der Gesellschaft besprechen wir auch. Die interkulturellen Aspekte sind ganz wichtig“, erklärt die gebürtige Russin. Sie sei auch ein Beispiel für eine Ausländerin. „Nur der Erfolg zählt, nicht die Nationalität oder die Herkunft“, sagt sie. Die meisten ihrer zehn Schüler werden 2019 aus der Haft entlassen. „Diese Menschen werden wir bald draußen haben. Das motiviert mich, Deutsch zu unterrichten.“

Im Juni kommenden Jahres soll es auch für Nebas Saber wieder in die Freiheit gehen. „Wenn ich rauskomme, habe ich große Pläne“, sagt der Kurde aus dem Irak. Der 41-Jährige hat einen Asylantrag gestellt. Er sei Maler, das habe er von seinem Vater gelernt, habe aber keinen Berufsabschluss. „Für die deutsche Zeugnisgesellschaft hat er nichts vorzuweisen“, erklärt Franke. Wegen seiner praktischen Kenntnisse müsse er vielleicht nur ein paar Module machen. Der Deutschkurs soll die Voraussetzungen dafür schaffen.

Arafet Mhamdi bekommt seinen geliebten Couscous auch in Zeithain. Auf eigene Kosten kann er ihn auf einer Einkaufsliste bestellen. Ob er nach seiner Entlassung in Deutschland bleiben kann, ist fraglich. Tunesien gilt als sicheres Drittland. Erst vor ein paar Tagen sind 22 straffällig gewordene Tunesier aus Deutschland in ihre Heimat abgeschoben worden, die Hälfte von ihnen lebte in Sachsen. (dpa)