Merken

„Deutsche Talente gehen zu wenig auf Risiko“

Blasewitz-Trainer Tomas Jiricka erklärt vor dem Start in die 2. Tennis-Bundesliga die Dominanz osteuropäischer Asse.

Teilen
Folgen
© kairospress

Von Alexander Hiller

Sie sind allein auf weiter Flur. Am Sonntag (11 Uhr) gegen Luitpoldpark München starten die Tennisfrauen des TC Blau-Weiß Blasewitz im Waldpark als Aufsteiger in ihre Saison der 2. Bundesliga Süd. Die Damen aus dem Waldpark sind damit in der 1. und 2. Liga bei Männern und Frauen deutschlandweit der Alleinvertreter aus den neuen Bundesländern. Trainer und Mannschaftsführer Tomas Jiricka liefert einen Denkansatz, weshalb das so ist. Der 39-jährige Tscheche wurde vom Deutschen Tennis-Bund (DTB) 2016 zum Vereinstrainer des Jahres gewählt.

Herr Jiricka, Ihr Verein hat die Entscheidung getroffen, die Frauen als Aufsteiger in der 2. Liga spielen zu lassen, das Männerteam, das den sportlichen Klassenerhalt in der zweithöchsten Spielklasse schaffte, aber nicht. Wieso?

Es ging darum, dass wir bei den Männer mit Christian Haupt nur einen Spieler aus der Region hatten, der diese 2. Liga vom Leistungsniveau her spielen konnte. Auch für ihn war das in der letzten Saison die Grenze. Weiteren Nachwuchs auf diesem Niveau haben wir noch nicht. Der Nachwuchs wächst jetzt erst langsam nach, deshalb sind wir mit den Männern freiwillig in die vierklassige Ostliga abgestiegen.

Bei den Frauen stehen neun vorwiegend sehr junge deutsche Spielerinnen im 16-köpfigen Kader. Ist das nur auf dem Papier so?

Im Prinzip ja. In der Realität können wir die Positionen fünf und sechs mit unseren Talenten besetzen – das ist machbar. Für die Setzpositionen weiter oben mussten wir ausländische Verstärkungen holen, wie im letzten Jahr. Das Niveau ist einfach so hoch. In der 1. Bundesliga hat in der letzten Saison Regensburg den Titel geholt. In allen Partien wurde nur in vier Spielen eine deutsche Spielerin eingesetzt – über die gesamte Saison. Ansonsten nur internationale Profis. Pro Bundesligaduell gibt es neun Spiele – sechs Einzel und drei Doppel.

Die Weltranglistenerste Angelique Kerber war für Regensburg an Nummer eins gesetzt, absolvierte aber nicht ein Spiel. Ist diese Regelung nicht irrwitzig? Das wäre so, als würde Bayern München die ganze Saison über einen gesunden Manuel Neuer nicht einsetzen.

Das ist richtig. Wenn sich die Punktspiele über das gesamte Jahr ziehen würden, wäre das sicher anders. Aber die Tennisbundesligen ziehen sich über sechs Spieltage in zwei Monaten. Da gibt es Konstellationen, dass individuelle Interessen vorgehen.

Nach welchen Kriterien haben Sie Ihre internationalen Profis ausgewählt?

Nach dem Ruf. Sie müssen zuverlässig und für Punktspiele geeignet sein. Es gibt Spielerinnen, die in der Weltrangliste unter den besten 150 stehen, die sehen so ein Punktspiel als Trainingsmatch, wollen sich nicht verletzen und spielen nicht ihr bestes Tennis. Ich bekomme Empfehlungen und spreche dann mit den jeweiligen Spielerinnen. In der Kommunikation merkt man recht schnell, ob es Sinn macht.

Von wem holen Sie sich Rat?

Ich habe einen guten Draht nach Tschechien zu Jaroslav Machovský, er ist Cheftrainer beim besten Tennisklub Europas – in Prostejov. Für den Verein spielt unter anderem Tomas Berdych (derzeit Weltranglistenzehnter, Anm. d. R.) oder Petra Kvitova (Nr. 11, Anm. d. R.). Mit ihm verstehe ich mich schon über Jahre sehr gut. Den frage ich meist um Rat, ob er jemanden kennt.

In der Weltrangliste der Frauen stehen unter den Top 30 allein 15 Spielerinnen aus Osteuropa. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Die setzen alles auf diese Karte. Da steht die Schule meistens im Hintergrund, es wird voll und unglaublich hart trainiert, schon in jungen Jahren. Die Besten spielen mit 16 die ersten Damenturniere, spielen da drei Jahre und haben ein ganz anderes Level an Erfahrung und Spieltempo. Unsere Talente machen da gerade Abitur. Die Athleten aus Osteuropa betrachten das als Job.

Deutsche Talente gehen also zu wenige Risiken ein?

Auf jeden Fall. Am Ende ist es natürlich schwer, damit Geld zu verdienen. Im Durchschnitt kommt nur ein Spieler pro Jahr neu in die Top 100. Das Risiko ist zu hoch, dass man es nicht schafft. In meiner Heimat Tschechien gibt es auch Talente, deren Entwicklung irgendwann stagniert, die bleiben dem Tennis aber als Ausbilder erhalten, geben Erfahrungen weiter. Das passiert in Deutschland noch zu selten.

Das Frauen-Team aus Blasewitz ist die einzige ostdeutsche Mannschaft in den 1. und 2. Tennis-Bundesligen. Woran machen Sie diese Schräglage fest?

An der Tradition. Die Sportart muss wachsen. Um einen guten Spieler zu formen, braucht man zehn Jahre und etwa 10 000 Trainingsstunden. In dieser Zeit muss man gute Sparringspartner, ein gutes Umfeld und auch Konkurrenzklubs haben. Das ist im Westen Deutschland nach dem Boris-Becker-Boom ganz anders gewachsen.

Zählt für Sie nur der Klassenerhalt?

Ja, erst einmal. Wir sind neu in der Liga. Letzte Saison wollten wir in der Regionalliga auch nur die Klasse halten, sind dann aber durchmarschiert, das wird wahrscheinlich nicht noch einmal passieren. Man braucht auch Glück, im schlimmsten Fall können ja drei Teams absteigen.

Wie kann sich in einer Individualsportart ein Teamgeist entwickeln?

Das gelingt mir immer wieder – allerdings nie schon ab dem ersten Punktspiel. Sondern meistens beim zweiten oder dritten, wo die Spielerinnen dann wirklich Verantwortung füreinander übernehmen. Wenn eine nicht gut spielt, rettet das eine andere. Die Athletinnen, die von den Turnieren zu uns kommen und dort nur für sich selbst verantwortlich sind, mögen dieses familiäre Umfeld, in dem mehrere Leute an einem Strang ziehen. Auf den langen Auswärtsfahrten wird viel im Bus ausgetauscht. Wir haben da auch Spaß dabei. Vor dem Spiel gibt es jeweils 9 Uhr ein gemeinsames Frühstück, auch das ist wichtig.