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Deutsch lernen mit Familie Schlau

Elisabeth Fischer unterrichtet in Hainsberg Schüler aus dem Ausland. Keine leichte Aufgabe.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Thomas Morgenroth

Freital. Herr Schlau ist ein lustiger Tiger, und er malt. Frau Schlau ist eine hübsche Giraffe, und sie hört Musik. Wie aber kommt der Künstler zu seiner Angetrauten? David fährt mit dem Finger über die verschlungenen Wege des Suchbildes auf Seite 25 seines Lehrbuches. Er zögert kurz und landet bei Willi, dem Frosch, der Karate macht. Nein, das war falsch, also noch einmal. Die Reise führt erneut über verwirrende Kreuzungen. Diesmal besucht Herr Schlau die Hexe Dixi, die auf einem Pferd reitet. David runzelt die Stirn, aber er gibt nicht auf – und lernt bei dieser Übung, wer männlich ist und wer weiblich, und was es mit dem Der, Die, Das auf sich hat. Der Zwölfjährige stammt aus Ungarn und spricht nur wenige Worte Deutsch. Kein Wunder: Er lebt erst seit ein paar Wochen in Deutschland. David wohnt bei seinem Vater in Freital, der hier arbeitet. Für einen Bürger der Europäischen Union ist das nichts Außergewöhnliches. Nur sprechen die Freitaler kaum Ungarisch, eine der schwersten Sprachen Europas, sondern eine noch schwerere Sprache: Deutsch.

Unter dem Dach des alten Hauses der Geschwister-Scholl-Oberschule in Hainsberg befasst sich der freundliche und etwas schüchterne Bursche nun mit Familie Schlau, um selbst schlau zu werden. „Er ist noch ganz frisch“, zeigt Elisabeth Fischer Verständnis für seine Schwierigkeiten beim Lernen und Sprechen. Die Freitalerin unterrichtet Deutsch als Zweitsprache, abgekürzt DaZ. Seit 1991 bringt die aus Tharandt stammende Pädagogin, die in Leipzig die Fächer Deutsch und Russisch studiert hat, Ausländern in sogenannten DaZ-Klassen die Grundzüge des Deutschen bei.

Über Schulen in Wurgwitz, Klingenberg und Tharandt ist Elisabeth Fischer 2003 nach Hainsberg gekommen. „Ich fühle mich hier wohl“, sagt die 57-Jährige, die auch die Integrationsverantwortliche der Scholl-Schule ist. „Bei uns gibt es null Probleme.“ Immerhin 48 der rund 270 Schüler haben einen Migrationshintergrund – sie stammen aus 14 verschiedenen Nationen. Fast alle waren sie bei Elisabeth Fischer im Unterricht, die meisten rund anderthalb Jahre lang. Deutsch lernen sie neben dem normalen Schulalltag, in den die Jugendlichen umso leichter integriert werden, desto besser sie ihre Mitschüler verstehen und sich selbst artikulieren können. „Sie sind ihren deutschen Mitschülern gleichgestellt“, betont Elisabeth Fischer. „Sie bekommen keinerlei Sonderbehandlung.“

Vom zusätzlichen Deutschunterricht einmal abgesehen, der freilich Grundvoraussetzung für eine Integration ist. Für Elisabeth Fischer ist das alles andere als eine leichte Aufgabe. Die klassischen Lehrmethoden kann sie in ihrem Klassenzimmer kaum anwenden. In den Bänken sitzen derzeit bis zu zwölf Schüler neben- und hintereinander, die nicht nur aus gänzlich verschiedenen Sprach- und Kulturräumen kommen, sondern auch unterschiedlichen Alters sind und deren Bildungsvoraussetzungen oft stark voneinander abweichen.

Vor David zum Beispiel, der in Ungarn bis zu seiner Übersiedlung nach Freital in eine ganz normale Schule gegangen ist, und dort auch schon ein wenig Deutschunterricht hatte, sitzt die 16-jährige Helen aus dem Irak. Das Mädchen hat nur sechs Schuljahre absolviert und muss sich erst wieder an den Schulalltag gewöhnen. Sie ist ein sogenannter „Familiennachzug“ zu ihren Eltern, die bereits in Freital wohnen. Diesen Status hat auch ihre Banknachbarin Tala aus Syrien. Allerdings war ihre Schulbildung besser. Tala ist 13 und wohnt mit ihrer Familie in Freital, ihr älterer Bruder lernt ebenfalls in der Scholl-Schule.

Elisabeth Fischers älteste Schülerin ist bereits zwanzig. Nikola Mazurczak aus Polen, die aus Zielona Góra (Grünberg) stammt, ist zu ihren Eltern und ihren drei Geschwistern nach Freital gezogen, als sie in der zwölften Klasse war. Das allerdings wurde in Deutschland nicht anerkannt. Sie geht jetzt wieder in die zehnte Klasse und macht in diesem Sommer in Hainsberg ihren Realschulabschluss, um dann auf ein berufliches Gymnasium zu wechseln. „Sie ist eine liebe Schülerin“, sagt Elisabeth Fischer, die auch schon Griechen, Kurden, Portugiesen und sogar Chinesen unterrichtet hat. „Ich könnte ein Buch darüber schreiben“, sagt sie lachend. Darin kämen allerdings nicht nur die Erlebnisse mit ihren Schülern vor, sondern es gäbe auch kritische Anmerkungen zur Bürokratie. „Die wird immer schlimmer“, meint Elisabeth Fischer. Deren Wege seien unergründlicher als die, auf denen Herr und Frau Schlau zueinander finden können.