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Deutsch-deutsches Mysterium - Mord an Grenzschützer Plüschke bis heute rätselhaft

Der Fall gehört zu den rätselhaftesten in der deutsch-deutschen Grenzgeschichte. Ein Bundesgrenzschützer erschießt vor 50 Jahren einen DDR-Soldaten. Die Identität des BGS-Mannes bleibt 35 Jahre geheim. Als sich der Schütze offenbart, wird er 1998 getötet.

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Von Volker Nies

Hünfeld/Fulda. Im August 1962, ein Jahr nach dem Bau der Berliner Mauer, riegelt die DDR auch die Grenze zwischen Hessen und Thüringen völlig ab. Dabei treffen am 14. August Posten aus Ost- und Westdeutschland aufeinander. Es fallen Schüsse. Ein Hauptmann der DDR-Grenztruppen stirbt. Der Fall wird nie restlos geklärt. Jahre nach der Wende wird der Schütze selbst erschossen.

Zwischen dem hessischen Rasdorf-Setzelbach und dem thüringischen Geisa-Wiesenfeld bauen 200 DDR-Grenzsoldaten einen stabilen Grenzzaun. Der damals 23 Jahre alte Oberjäger des Bundesgrenzschutzes (BGS), Hans Martin Plüschke, befindet sich mit zwei Kameraden gegen elf Uhr vormittags auf einem Inspektionsgang, als die Gruppe Schüsse wahrnimmt. Ein Kompaniechef der Grenztruppen, der 35 Jahre alte Hauptmann Rudi Arnstadt, feuert ohne Vorwarnung mit einer Pistole in Richtung Westen.

Möglicherweise gelten die Schüsse gar nicht der BGS-Streife. Es ist gut möglich, dass der DDR-Hauptmann den Fluchtversuch eines Soldaten unterbinden will. Tage zuvor war in diesem Abschnitt einem DDR-Grenzer die Flucht gelungen.

Die DDR spricht von „Bonner Mördern“

Die BGS-Patrouille sieht sich als Ziel der Attacke. Plüschke erwidert das Feuer. Eine Kugel trifft Arnstadt oberhalb des rechten Auges tödlich. Plüschke erklärt später, er habe nicht gezielt, sondern sei nach den Schüssen aus dem Osten herumgefahren und habe aus der Hüfte mit dem Schnellfeuergewehr einfach abgedrückt.

Die Staatsanwaltschaft Fulda ermittelt und stellt das Verfahren dann im Oktober 1962 ein: Plüschke habe in Notwehr gehandelt. Die DDR hingegen spricht von einer westdeutschen „Provokation“ und „Bonner Mördern“.

Wer den tödlichen Schuss abgab, blieb geheim. Der Schütze und die Behörden schwiegen. Plüschke schied 1970 aus dem BGS aus und baute im nahen Hünfeld eine Taxifirma auf. Aus Furcht vor Rache aus dem Osten hatte er oft eine Waffe dabei. „Ich hatte die meiste Angst davor, dass die meine Kinder entführen“, sagte der fünffache Vater 1997 in einem Fernsehinterview zum 35. Jahrestag der Schüsse. Darin bekannte sich Plüschke erstmals öffentlich, 1962 den tödlichen Schuss auf den DDR-Grenzer abgegeben zu haben.

Plüschke stirbt wie Arnstadt

Sieben Monate später ist er tot. Am 15. März 1998 ist er nachts als Taxifahrer unterwegs. Um 4.10 Uhr wird er, 70 Meter von seinem BMW entfernt, erschossen. Die Kugel trifft ihn - so wie den Grenzer Arnstadt - oberhalb des rechten Auges. Nur Zufall? Der Tatort, ein Feldweg an der Bundesstraße 84 zwischen Hünfeld und Neuwirtshaus, ist nur acht Kilometer vom Tatort des Jahres 1962 entfernt.

Der Mörder raubt weder Geld noch Papiere, obwohl die Geldbörse sichtbar im Auto steckte. Die „Fuldaer Zeitung“ schreibt von einer „Hinrichtung“. Vom Täter fehlt jede Spur. 2008 stellen Spezialisten des Hessischen Landeskriminalamts am Auto des Opfers und an dessen Kleidung mit neuen Methoden DNA-Spuren fest. Aber auch das bringt sie nicht weiter.

„Wir sind mehr als 100 Spuren nachgegangen - ohne Erfolg“, sagt Staatsanwalt Harry Wilke. Auch die Möglichkeit, dass der Mord von 1998 ein Racheakt sei, sei dabei intensiv geprüft worden. Konkrete Hinweise für die Annahme habe es aber nicht gegeben. „Die Akten werden nicht weggelegt. Wenn es neue Spuren gibt, gehen wir ihnen nach. Das ist aber nicht sehr wahrscheinlich“, so Wilke. Der Fall bleibe im Blick der Fuldaer Ermittlungsbehörden. Denn Mord verjährt nicht. (dpa)