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Des Klezmers schöne Träume

Görlitzer Musiker haben eine Band gegründet, die jiddische Lieder spielt. Am Montag treten sie beim Kulturpicknick auf.

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Von Ines Eifler

Görlitz. Die Freude, die Traurigkeit, die Sehnsucht und das Glück kommen in wohl keiner Volksmusik so stark zum Ausdruck wie in der traditionellen Musik der osteuropäischen Juden. Wenn sich eine Klezmerband den jiddischen Namen „Sheyne Khaloymes“ (übersetzt: Schöne Träume) gibt, dann sagt das schon viel. Wenn aber die sechs Musiker zu spielen beginnen, dann werden diese Emotionen lebendig, dann rühren die Melodien und Klänge an das Mitgefühl, an den Schmerz, an die Liebe und an die Träume der Zuhörer. So war es, als „Sheyne Khaloymes“ beim Kneipenfest im April im Camillo auftraten, so war es beim Friedensfest in Ostritz, wo sich die im Januar gegründete Band weitere Freunde gemacht hat. Und so wird es sicher wieder, wenn die Musiker am Montag beim Kulturpicknick vorm Theater auftreten.

Die Idee, eine Klezmerband in Görlitz zu gründen, hatte Stefan Dedek, der in der Neuen Lausitzer Philharmonie die erste Posaune spielt und dem Verein Philmehr! Philharmonische Brücken vorsteht. Er hat die Klezmermusik schon vor vielen Jahren für sich entdeckt. „Als Musiker möchte ich am liebsten mit allen Musikstilen aus allen Jahrhunderten vertraut sein“, sagt Dedek. Aber zum Klezmer hatte er immer eine besondere Beziehung. 15 Jahre lang hat er in der Dresdner Gruppe „Jowel Klezmorim“ mitgespielt und sich dadurch intensiv mit Klezmermusik beschäftigt. Diese Band hatte das Glück, Anfang der 1990er mit dem weltberühmten Klarinettisten Giora Feidman auftreten zu können, und wurde aus dieser Begegnung heraus selbst erfolgreich. Feidman sagte damals für Auftritte in Dresden anlässlich der Umbenennung zweier Plätze im Stadtteil Prohlis zu, aber nur unter der Bedingung, gemeinsam mit jungen Musikern aus der Stadt musizieren zu können. Ein Kontrabassist der Dresdner Philharmoniker war Mitglied der jungen Klezmerband und organisierte dieses Mitwirken. Als Jowel Klezmorim danach noch einmal bei einem Feidman-Konzert in der Dresdner Annenkirche vor 3000 Leuten spielten, saßen prominente Leute im Publikum, die Feidman öffentlich aufforderte, die junge Band zum Klezmerfestival nach Israel einzuladen. „Das ging zwar nicht so einfach, wie er sich das vorstellte“, erinnert sich Stefan Dedek, „aber wir fuhren tatsächlich im Sommer nach Israel und traten dort beim Festival auf.“ Zuvor hatte Feidman die Dresdner Musiker noch tiefer mit der Klezmermusik vertraut gemacht, und in Israel ergaben sich weitere Kontakte. „Wir lernten Musiker aus der ganzen Welt kennen“, sagt Dedek. Zum Beispiel trafen sie den US-amerikanischen Musikethnologen und Klarinettisten Joel Rubin. Der hatte in Osteuropa und in den USA die letzten echten jüdischen Klezmermusiker aufgespürt, die ihre Tradition über Krieg und Holocaust hinweg bewahren konnten. Deren Musik hatte er aufgenommen und auf Kassetten vervielfältigt. Stefan Dedek kaufte ihm einige Kassetten ab, schrieb die Musik später in Noten nieder und nahm diese alten jüdischen Lieder als Basis für das Repertoire von Jowel Klezmorim. Auch im Repertoire der Görlitzer Band „Sheyne Khaloymes“ finden sich noch einige davon.

Mit der Dresdner Klezmerband gab Stefan Dedek sowohl in Deutschland Konzerte als auch in der Ukraine, wo heute wieder eine lebendige Klezmerszene gedeiht, und in den USA. In Lemberg, Czernowitz und Rovno gab es Momente, die Stefan Dedek bis heute berühren. Einmal sei die Band in einer Suppenküche in Rovno aufgetreten. Mitten im Konzert kam ein uralter Mann am Stock nach vorn und bedankte sich halb auf Jiddisch, halb auf Ukrainisch dafür, zum ersten Mal nach 70 Jahren wieder die Lieder seiner Kindheit zu hören. Und das mitten in der Ukraine, von Deutschen gespielt, das sei unfassbar. „Genau solche Momente sind es wert, sich dieser Musik zu widmen“, sagt Stefan Dedek.

Nachdem er 2001 ans Görlitzer Theater kam, wurde der Kontakt zur Dresdner Band lockerer, 2003 entstand die letzte von drei CDs, 2005 lösten sich Jowel Klezmorim auf. „Vor ein paar Jahren hatte ich mit dem Klezmer schon abgeschlossen“, sagt Dedek, „ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich diese Erfahrungen wiederholen lassen.“ Jetzt aber revidiert er gerade seine Meinung. Vor einem Jahr erfuhr er vom Interesse einiger seiner Musikerkollegen am Klezmer. Und er traf Julia Bögershausen vom Camillo. Gemeinsam begannen sie, Musik zu machen, und die Freude am Klezmer erwachte. Julia Bögershausen beschäftigte sich intensiv mit der jiddischen Sprache, der Kultur und den Liedern und zog die anderen in ihrer Begeisterung mit. Im Januar stand die Besetzung: Neben Stefan Dedek, Posaunist, übernahm Martin Bandel, Solofagottist am Theater, die Klarinette. Benjamin von Reiche, vor einiger Zeit am Theater als Tenor engagiert, spielt Klavier und Akkordeon, am Montag aber ersetzt ihn der Pianist Björn Bewerich. Michal Rozek spielt die Geige, der Geigenbauer Albrecht Höppner das Helikon. Julia Bögershausen steht als Sängerin der jiddischen Lieder mit ihrer Rahmentrommel im Zentrum der „Schönen Träume“. Gemeinsam musizieren sie nicht nur, sie studieren auch ein Theaterstück mit jiddischen Liedern und Tänzen ein, das sie beim Viathea aufführen. In Zukunft möchten Sheyne Khaloymes in Görlitz öfter auftreten und noch mehr Menschen für die Klezmermusik begeistern.

Dafür ist ihr Auftritt beim Kulturpicknick ein weiterer Schritt. Im Mittelpunkt stehen will die Band dort aber nicht. Vielmehr hat Stefan Dedek mit dem Philmehr!-Verein zahlreiche Künstler, Profis wie Laien, aus der Stadt gefunden, die bereit sind, ihre Kunst, ihre Projekte am Montag von 14 bis 19 Uhr zu präsentieren und damit zu zeigen, wie viel Leben, wie viel Freude, Musik und Tanz in Görlitz steckt.