Von Dirk Schulze
Hinterhermsdorf. Noch vor dem von Holzstapeln flankierten Eingangstor rammt Frank Strohbach einen wunderlichen Metallstab in die Erde. Am Fuße der selbst gebastelten Konstruktion ist ein Stück Wurzel befestigt, oben an der Spitzen ein handgroßes Eichenblatt aus grün lackiertem Holz. Kurz unter dieser symbolisierten Baumkrone, hängt das Innenleben einer elektrischen Seifenblasenpistole. Den Kippschalter umgelegt, geht es los. Durch einen dünnen Schlauch wird die Seifenlauge von unten nach oben gepumpt. Die Energie kommt von einer hölzernen Sonne, hinter der sich die Batterie versteckt. Auf einmal bläst ein Schwarm von Seifenblasen aus der gedachten Baumkrone hervor. Wasser und Nährstoffe aus dem Boden verwandelt der Baum mit Hilfe der Sonne in Stärke, die er zum Wachsen braucht, erklärt Strohbach. „Als Nebenprodukt entsteht Sauerstoff“. Kindgerechter ist die Fotosynthese wohl selten erklärt worden.
Was es in der Nähe zu erleben gibt
Die Waldhusche in Hinterhermsdorf bei Sebnitz ist ein Erlebnisgelände, das der Nationalpark Sächsische Schweiz betreibt. Auf einer Fläche von 66 Hektar können Familien, Schulklassen und Erwachsene Wissenswertes über den Wald, seine Bewohner und die Geschichte seiner Nutzung lernen. Das Freigelände ist so konzipiert, dass die Besucher es auf vier miteinander vernetzten Themenwegen auf eigene Faust erkunden können. Wer mehr wissen will, als auf den Infotafeln steht, der bucht eine Führung bei der Nationalparkwacht. Nationalparkwächter Frank Strohbach kniet auf der Erde und zieht mit einem Stock Striche in den Schotter des Weges. Sie zeigen drei Schichten des Waldbodens. Dann packt er ein paar Setzlinge aus seinem Rucksack und legt sie darauf. Die Wurzel der kleinen Fichte reichen gerade so in die oberste Schicht, die einer Buche bis in die mittlere, die lange Pfahlwurzel der Eiche bis ganz nach unten. Wenn alle Schichten genutzt werden, gibt es für alle Bäume genug zu trinken. Deshalb wird der Wald umgebaut von der Fichtenmonokultur zum Mischwald. Wie eine Wurzel funktioniert hat der Waldpädagoge zuvor schon mit einem Stück Küchenrolle und einem kleinen Tintenfässchen demonstriert. „Die Wurzel ist immer trockener als der Boden um sie herum“, sagt Strohbach. Dadurch entsteht ein Unterdruck und die Wurzel saugt die Feuchtigkeit ihrer Umgebung auf, so wie der Küchenpapierzipfel die Tinte aus dem Fässchen zieht.
Ein Exkurs zu den Regeln im Nationalpark gehört ebenso zum Programm. Die wichtigste ist das Wegegebot, wonach die Wege nicht verlassen werden dürfen und in der Kernzone nur die beschilderten Pfade erlaubt sind. „Ich kann Ihnen zu jedem Quadratmeter im Revier erklären, warum er zur Kernzone erklärt wurde“, sagt Strohbach. Dort leben seltene und deshalb geschützte Tiere und Pflanzen, auch solche, denen man ihre Besonderheit auf den ersten Blick gar nicht ansieht. Unter dem Holzgeländer, vor dem Frank Strohbach halt gemacht hat, wachsen ein paar unscheinbare grüne Blätter mit schmalen Stängeln hervor. „Das ist Nickendes Birkengrün“, erklärt Strohbach. Das komme zwar auch in anderen Regionen vor, aber im gesamten Nationalpark Sächsische Schweiz ist dies die einzige Stelle, an der es wächst. Ohne den Zaun würde das Kraut am Wegesrand vermutlich zertrampelt. „Wir haben mit dem Naturschutz hier in Sachsen auch eine europaweite Verantwortung“, sagt der Nationalparkwächter.
Besucher können sich ausprobieren
Die Waldhusche
Frank Strohbach nimmt den Bildungsauftrag der Nationalparks ernst. Ein Stündchen reine Bespaßung zum Kindergeburtstag ist bei ihm nicht zu haben, die Kinder sollen etwas mitnehmen und den Sinn hinter den Regeln verstehen, die Erwachsenen ebenso. Seine Führung durch die Waldhusche dauert etwa zweieinhalb Stunden, wobei er genau weiß, dass spätestens nach einer Stunde die Konzentration nachlässt und die Kinder unruhig werden. Deshalb ist seine Runde so getaktet, dass sie nach sechzig Minuten an den Spielgeräten ankommt. Dort können sich die Kids dann austoben – und das sollen sie auch. „Man darf nicht vergessen, dass man selbst einmal Kind war“, sagt der 52-Jährige mit dem wettergegerbten Gesicht. Dann kann der Nachwuchs an verschiedene Stationen selbst erleben, wie eine Spinne sich in ihrem Netz fühlt, ein Käfer unter der Borke oder ein Fuchs in seinem Bau.
Wenn die Erwachsenen interessiert nachfragen und der Terminplan es erlaubt, zieht Frank Strohbach mit seinen Gästen auch mal fünf, sechs Stunden durchs Gelände und teilt den breiten Wissensschatz, den er sich über die Jahre im Selbststudium und in Lehrgängen angeeignet hat. 1986 hat er als Waldarbeiter beim Forst angefangen, seit mittlerweile 15 Jahren führt er als Mitglied der Nationalparkwacht Gäste durch das Schutzgebiet. Nicht trocken und theoretisch, sondern immer anschaulich und am konkreten Beispiel. Die große Buche auf der Lichtung gegenüber, der Farn am Wegesrand – der Naturliebhaber kann zu jedem Gewächs eine Geschichte erzählen. „Pflanzen sind Lebewesen“, sagt Strohbach, sie fühlen und kommunizieren. „Deshalb rennt man auch nicht mit dem Stock durch den Wald und kloppt einfach kleine Bäume um.“
Der Höhepunkt jeder Führung ist die eigentliche Waldhusche, die dem Gelände seinen Namen gab. Durch Rutschbahnen aus aneinandergereihten Stämmen haben die Altvorderen das gefällte Holz zu Tale geschickt, meist in Richtung der Kirnitzsch, von wo es dann weiter geflößt wurde – oder vielmehr gedriftet, wie das Schwimmenlassen der losen Hölzer korrekterweise heißt. In Hinterhermsdorf können die Besucher eine solche Husche am Waldhang noch heute selbst ausprobieren.
Mit einem Schwapp aus der Gießkanne befeuchtet Frank Strohbach die ersten Meter der steilen hölzernen Rinne sowie den bereitliegenden Stamm. Mit dem Flößhaken rückt er das Holz in Position. Dann darf der Besucher Hand anlegen und den Stamm mit einem kräftigen Schwung in die Bahn befördern. „Achtung!“, ruft Strohbach mit langgezogenem A als Warnsignal. Dann rauscht der Stamm ins Tal.