Merken

Der Volksschauspieler

Herbert Graedtke hat heute Geburtstag. Viele Freunde gratulieren ihm zum 75. Was er erlebt und noch vor hat.

Teilen
Folgen
© Norbert Millauer

Von Peter Redlich

Radebeul. Der Händedruck von Herbert Graedtke ist kräftig. Er hat mal geboxt, sagt er später im Gespräch. Vor allem hat er viel Handwerkerarbeit geleistet an seinem Haus in der Radebeuler Heinrich-Heine-Straße. Balken, Elektrik, Abwasser – Handarbeit eben.

So kennen ihn viele Radebeuler aus den zurückliegenden Jahren – als Weingott Bacchus zur Eröffnung des Herbst- und Weinfestes in Kötzschenbroda.
So kennen ihn viele Radebeuler aus den zurückliegenden Jahren – als Weingott Bacchus zur Eröffnung des Herbst- und Weinfestes in Kötzschenbroda. © André Wirsig

Dabei ist das gar nicht zuerst seine Profession. Herbert Graedtke ist Schauspieler. Volksschauspieler, nennen sie ihn hier. Weil der muskulöse Mann mit knapp eins-achtzig Größe eben wirklich immer dort anzutreffen ist, wo auch das Volk ist. Zuletzt beim Radebeuler „Lichterglanz & Budenzauber“ auf dem Anger in Kötzschenbroda als Weihnachtsmann. Beim Weinfest gibt er im weißen Gewand und vom Weinlaub das Haupt geschmückt, den lebenslustigen Weingott Bacchus. Eine Rolle, in der sich der, seit 1980 in Radebeul lebende Mime wohl fühlt. Es ist ihm auch anzusehen – oben auf der Kutsche, Weinkönigin und Weinprinzessin im Arm, dem Volk zuzuprosten und angejubelt zu werden.

Heute wird Herbert Graedtke 75 Jahre. Alt? Jung? Das ist relativ bei diesem Mann. Er hat das pralle Leben oft ordentlich gepackt und auch genossen. Christine Ruby, seine Frau, ist lange nicht die Einzige in seinem Leben. Zwei Töchter und zwei Söhne hat er. Und kommt dabei darauf zu sprechen, wie gerne er heute noch vor Kindern spielt. Etwa unter der Yenidze-Kuppel in Dresden. Oder vor Familien im Pulsnitztal auf der Naturbühne Reichenau, wo sich die Zuschauer in Decken Hüllen und belegte Brote mitbringen und Graedtke auch Regie führt.

Volksschauspieler. Nah an den Leuten. Im Wikipedia-Eintrag für Herbert Graedtke sind mehr als zwei Dutzend Rollen aufgeführt. Vom Doolittle in My Fair Lady über den Old Shatterhand auf der Felsenbühne in Rathen bis zu Brechts Puntila. Gefragt nach der liebsten Rolle, nennt er den Puntila. Einen aus dem Volke.

„In aller Freundschaft“ und im „Tatort“ war der Radebeuler, der in Altlandsberg bei Berlin geboren ist, auch dabei.

Künstlerischer Leiter steht ebenfalls in Graedtkes Biografie. Im Stahl- und Walzwerk Gröditz war das. Zu DDR-Zeiten, als es hierzulande noch Klubhäuser in Betrieben gab und die Arbeiter für wenige Groschen Zugang zur Kultur hatten.

Grenzgänger war Herbert Graedtke schon immer. In mehrfacher Hinsicht. Zum einen schaffte er es zur damaligen Zeit, den SED-Parteiwerbern immer wieder zu entwischen. Ein Schauspieler müsse neutral sein, war seine Ausrede. Heute ist er SPD-Mitglied, wie sein Vater, und redet im Stadtrat von Radebeul mit. Zum anderen gelang es ihm wirklich, über die Grenze zu kommen – offiziell zum Westbesuch bei Verwandten. In Wirklichkeit, um Blutsbruder Pierre Brice als Winnetou in Bad Segeberg zu bewundern und ihn nach Radebeul einzuladen.

„Da hatte ich mir was erlaubt“, erinnert er sich noch heute. „Wenn das kein Franzose gewesen wäre, wäre ich vielleicht in Bautzen gelandet.“ Der Franzose kam dann gerne wieder nach Radebeul, auch der besonderen Erinnerung wegen. Der Schauspieler hat als Bürger einiges für seine Stadt getan. Die Karl-May-Festtage mitbegründet und er ist Vorsitzender des Fördervereins vom Wandertheaterfestival, welches mit dem Weinfest 50 000 Besucher lockt. Vor zehn Jahren ehrte ihn Radebeul mit dem Kunstpreis der Stadt. Die Bürger kannten ihren Volksschauspieler gut. Seit 1965 agierte er an den Landesbühnen Sachsen.

Nochmals einen Großen der Zunft treffen, nochmals eine große Rolle spielen? Herbert Graedtke muss nicht lange nachdenken. Treffen würde er gern noch einmal Rolf Ludwig, einer der beliebtesten Schauspieler Ostdeutschlands, den „Tausendsassa der großen Berliner Schauspielbühnen“, wie ihn die Tagesschau im Nachruf bezeichnete. „Wir waren befreundet“, sagt Graedtke. Und spielen würde er am liebsten heute noch den König Lear im gleichnamigen Shakespeare-Stück. „Dafür brauchst du genau das Maß an Lebenserfahrung, was man im Alter hat“, so der 75-Jährige.

Geburtstag gefeiert wird bei Herbert Graedtke eigentlich nicht am 9. Dezember. „Es ist kalt, wir können unsere Freunde nicht in den Garten einladen“, sagen Christine Ruby und er übereinstimmend. Gefeiert wird am 1. August. Das ist der Tag, an dem er 1969 mit einem Freund im Elbsandsteingebirge zum Klettern war, 41 Meter in die Tiefe gestürzt ist und nur überlebte, weil der Sturz von zwölf Aufprallstellen abgebremst wurde. Entsprechend lädiert war damals sein Körper. „Die Ärzte schenkten mir damals einen zweiten Geburtstag.“

Und dieser soll diesmal ausnahmsweise wieder im Advent begangen werden. Wo? Im Theater. Im Glasfoyer der Landesbühnen und in der neuen Theaterkneipe mit vielen Freunden. Wie ein Volksschauspieler eben.