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Der Vizemeister und seine Mentorin

Paul Biedermann holt EM-Silber und profitiert von seiner Freundin. Die hilft neuerdings auch anderen Schwimmern.

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© Reuters

Von Daniel Klein, Berlin

Britta Steffen weiß, wie winzig zwei Hundertstelsekunden sein können. „Weniger als ein halbes Streichholz“ hätten am Ende gefehlt, erklärte die Doppel-Olympiasiegerin und verdeutlichte den Abstand zwischen ihrem Daumen und Zeigefinger. Natürlich sei das ärgerlich, doch der Paul sei ein bravouröses Rennen geschwommen. „Ich bewundere an ihm, dass er unter Druck nicht bricht, sondern immer stärker wird.“

Ein Siegerkuss war es zwar nicht, aber eine zärtliche Form der Belohnung ganz bestimmt. Britta Steffen unterstützt bei der EM in Berlin aber nicht nur ihren Freund Paul Biedermann. Foto: dpa/Hannibal Hanschke
Ein Siegerkuss war es zwar nicht, aber eine zärtliche Form der Belohnung ganz bestimmt. Britta Steffen unterstützt bei der EM in Berlin aber nicht nur ihren Freund Paul Biedermann. Foto: dpa/Hannibal Hanschke © dpa

Mit Paul ist Paul Biedermann gemeint, ihr Freund und seit gestern Vize-Europameister über 200 Meter Freistil. Einen spannenden Zweikampf lieferte sich der 28-Jährige mit dem Serben Velimir Stjepanovic, wenige Meter vor dem Anschlag noch sah der Hallenser wie der Sieger aus, am Ende aber hatte sein Nebenmann die Fingerspitze vorn. Soll man sich als viermaliger Europameister und Weltrekordhalter über diese Strecke nun freuen oder ärgern? Biedermann beantwortete die Frage selbst, bevor sie jemand stellte: „Ich habe Silber gewonnen“, betonte er mit Nachdruck, „und je länger das Rennen vorbei ist, desto mehr freue ich mich – auch über die Zeit.“

Um das einordnen zu können, muss man die Vorgeschichte dieses Rennens kennen. Es war das erste große nach den medaillenlos gebliebenen Spielen von London vor zwei Jahren. 2013 pausierte er komplett, nach einem verschleppten Infekt und großem Trainingsrückstand hielt er sich nicht für konkurrenzfähig. Die EM in Berlin ist für den Hallenser also so etwas wie ein Neuanfang. Oder der Auftakt zur letzten Etappe. Nach Olympia 2016 in Rio soll Schluss sein, das hat er mehrfach angekündigt. „Mir bleibt nicht mehr viel Zeit.“ Zumindest fürs Medaillensammeln. Umso ärgerlicher war deshalb am Montag sein Bummel-Vorlauf über 400 Meter Freistil.

„Es war meine Schuld, dazu stehe ich“, gab er zu. „Man lernt halt nie aus.“ In der unmittelbaren EM-Vorbereitung war er erneut zweieinhalb Wochen ausgefallen, was ihn offensichtlich verunsicherte. Auch über die halbe Distanz gestern? „Ob es mit der Krankheit zu tun hat, weiß ich nicht, das ist auch Spekulation.“ Als „Wundertüte“ hatte er sich vor seinem ersten Start bezeichnet. Seine Zwischenbilanz lautet: Vorlauf-Debakel und Vize-Europameister innerhalb von drei Tagen – so schlecht lag er also nicht mit seiner Selbsteinschätzung.

Serbe überrascht alle

Bei seinen Prognosen hatte er zwar seinen Dauerrivalen, den französischen Doppel-Olympiasieger Yannick Agnel, auf dem Zettel, der Dritter wurde, nicht aber den Serben Stjepanovic. Der gewann bereits die 400 Meter, holte sein zweites Gold. „Er muss auf den letzten Metern geflogen sein“, staunte Biedermann. „Er ist ein Mann für die Zukunft. Ich bekomme eben immer mehr Konkurrenz, aber das macht mich auch schneller.“

Einen kleinen Anteil daran hat sicher auch seine vor einem Jahr zurückgetretene Freundin. Steffen ist natürlich seinetwegen in Berlin, aber nicht nur. Eine offizielle Bezeichnung für ihre Aufgabe zu finden fällt schwer. Sie selbst spricht von „einer Art Mentoren-Funktion“, die ihr vor einigen Wochen von Bundestrainer Henning Lambertz angetragen worden sei. Die jungen Schwimmer sollen vom riesigen Erfahrungsschatz der 30-Jährigen profitieren, so der Plan. Steffens Karriere eignet sich dafür bestens, sie schwankte zwischen Olympiasieg und einer überstürzten WM-Flucht. Die 30-Jährige weiß also bestens, wie man mit Höhepunkten und Tiefschlägen umgeht. Oder mit Gewichtsproblemen. „Viele glauben mir das gar nicht. Dann erkläre ich ihnen, dass ich auch zwei Jahre hatte, die wirklich schlecht waren, weil ich – wie mein Trainer damals sagte – zu viel passive Masse hatte.“

Ihren ersten Einsatz hatte Steffen beim Vorbereitungscamp der deutschen Auswahl auf Sardinien. „Ich dachte, dass ich da ein bisschen Urlaub machen könnte, aber ich war gut gebucht“, erzählt sie. „Ich hatte viele Tassen Kaffee mit schönen Gesprächen. Ich habe gemerkt, dass wirklich Redebedarf besteht und dass man viel tun kann.“ In den nächsten Tagen soll es ein Treffen geben mit der Spitze des Deutschen Schwimmverbandes (DSV), ob aus dem Kurzeinsatz ein längerfristiges Engagement werden könnte. Die Wirtschaftsingenieurin, die in Halle/Saale Personalwesen studiert, wäre dazu bereit.

Für längst überfällig hält diese Zusammenarbeit Franziska van Almsick, die bei der EM erneut als Fernsehexpertin vor der Kamera steht. „Das ist mal ein Schritt, aber den hätte man schon vor vielen Jahren gehen können“, sagte sie. Sie selbst sei im Übrigen „nie“ gefragt worden. Was auch bezeichnend ist für einen Verband, der seine jetzige TV-Präsenz zum Großteil den einstigen Erfolgen der Vorzeigeschwimmerin van Almsick zu verdanken hat.

Sollte Steffens Engagement verlängert werden, könnte sie ihren Partner künftig wieder öfter sehen. Ihren Einfluss kann man bei Biedermann heraushören: „Ich bin insgesamt ein bisschen entspannter geworden“, erzählte er in Berlin, „kann ein wenig mehr abschalten, weil das Leben abseits des Sports auch ein sehr schönes ist.“ Das Zitat könnte auch von Steffen stammen. Offensichtlich ist es die neue Erfolgsformel.

TV-Tipp: Eurosport überträgt ab 16 Uhr Wasserspringen und mit der ARD ab 18 Uhr Schwimmen.