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Der vergessene Widerstandskämpfer

Am 20. Juli 1944 misslang das Stauffenberg-Attentat auf Hitler. Der rächte sich. Auch ein Unternehmer aus dem Müglitztal wurde hingerichtet.

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© Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Von Maik Brückner

Geising. Dieses Attentat sollte Deutschland in letzter Minute vor der ganz großen Katastrophe retten. Doch der Anschlag der Militärs um Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler scheiterte. Mit Hochdruck suchte die Gestapo danach Stauffenbergs Helfer und Unterstützer. Die Rache des Führers war unerbittlich, ihr fiel auch ein Unternehmer zum Opfer, der im Osterzgebirge seine Spuren hinterlassen hat: Carl Marks. Daran erinnert der Altenberger Christoph Helbig. Er wohnt seit ein paar Jahren in der Bergstadt und hat sich auch mit deren Geschichte befasst. Dabei stieß er auf Marks.

Wahrscheinlich lebte Carl Marks bis zu seiner Verurteilung in der Villa Bäreneck in Hartmannmühle. Hermann Lindemann, ein Cousin von Fritz Lindemann (li.), und Carl Marks (re., stehend) standen am 1. Dezember 1944 vor dem Volksgerichtshof, der Marks zum T
Wahrscheinlich lebte Carl Marks bis zu seiner Verurteilung in der Villa Bäreneck in Hartmannmühle. Hermann Lindemann, ein Cousin von Fritz Lindemann (li.), und Carl Marks (re., stehend) standen am 1. Dezember 1944 vor dem Volksgerichtshof, der Marks zum T © Sammlung Wolfgang Barsch

Der Unternehmer lebte in jener Zeit in einem Haus im heutigen Altenberger Stadtteil Hartmannmühle. Dort besaß der Dresdner einen Landsitz. Der Geisinger Hobbyhistoriker Wolfgang Barsch vermutet, dass es sich um das Haus Bäreneck handeln könnte. Marks hatte das Haus nach seiner Scheidung Anfang Juli 1944 zum Hauptwohnsitz gemacht. Im August jenes Jahres hatte er sich seine Geliebte, die zugleich auch seine Sekretärin war, seinen Geschäftspartner Ernst Schäffner und dessen Frau eingeladen. Just an diesem Tag war ein Steckbrief in der Zeitung erschienen, mit dem nach dem General Fritz Lindemann gesucht wurde. „Dieser hat sich an den Vorbereitungen zum Attentat auf den Führer am 20. Juli beteiligt“, hieß es dort.

Der Steckbrief und die ausgelobte Belohnung in Höhe von einer halben Million Reichsmark waren an diesem Abend ein Gesprächsthema. Denn die Familie Lindemann war bekannt. Ein weitläufiger Cousin des Gesuchten, Hermann Lindemann, war an der Firma Druckmaschinen Ritter GmbH in Dresden beteiligt. Dort arbeitete Marks als Geschäftsführer, Ernst Schäffners Frau als Buchhalterin.

Marks, der sich unter Freunden wähnte, wurde gesprächig. Er berichtete, dass er wenige Tage zuvor Fritz Lindemann nach Berlin gebracht habe, damit dieser dort untertauchen könne. Da es auch dort für den General zu gefährlich wurde, plante er dessen Weiterreise in die Slowakei. Er wollte ihn mit dem Auto dahin bringen, erklärte er. Die Schäffners ließ das Gehörte nicht los. Unmittelbar nach ihrer Rückkehr nach Dresden ging Ernst Schäffner noch am Abend gegen 22.30 Uhr in die Gestapo-Dienststelle in der Dresdner Bismarckstraße am Hauptbahnhof und berichtete über das Gehörte. Zu seinem Motiv erklärte er gegenüber den Beamten: „Ich war mir der Tragweite meines Entschlusses bewusst. Konnte aber als Deutscher nicht anders handeln, da ich nicht als Mitwisser eines Tages selbst angeklagt werden wollte.“

Denunziation des Geldes wegen

Ob das dass tragende Motiv war, bezweifelt der Historiker Wolfgang Welkerling, der den Fall Lindemann aufgearbeitet hat. Er geht vielmehr von Neid aus. Schäffner war als Elektroingenieur nicht so vermögend wie Marks und Hermann Lindemann. Die Aussicht auf die Belohnung dürfte ihn beeindruckt haben. Sie dürfte ein „wesentliches Motiv der Denunziation“ gewesen sein, schreibt Welkerling.

Am 22. August wird Marks verhaftet und in ein Berliner Gefängnis gebracht. Am 28. August wird ihm sein bisheriger Geschäftspartner Schäffner gegenübergestellt. Später musste sich Marks vor dem Volksgerichtshof verantworten. Hier sagt er über die Hintergründe aus, wie er zum Fluchthelfer wurde. Dabei spielten die Geschäftsbeziehungen zu Hermann Lindemann eine wesentliche Rolle.

Nach dem gescheiterten Attentat war Fritz Lindemann am 22. Juli nach Dresden gekommen. Er versuchte hier, seinen Cousin telefonisch zu erreichen, vergeblich. Deshalb wandte er sich an seinen Onkel Max. Er erzählte ihm und seiner Tante, dass er in die Führerreserve versetzt worden sei und Urlaub habe. Das Ehepaar nahm ihm die Geschichte zunächst ab und gewährte ihm vier Tage Quartier. Später traf Fritz Lindemann seinen Cousin Hermann, der ihm Hilfe anbot und gefälschte Reisepapiere besorgte. Mit denen wollte Fritz Lindemann nach Berlin reisen, da er davon ausging, dass er in einer Großstadt besser untertauchen könne. Hermann Lindemann bat Marks um Hilfe. Dieser sagt zu.

Am 26. Juli begleitete Marks Fritz Lindemann auf der Reise nach Berlin. Um nicht aufzufallen, nahmen sie einen einfachen Personenzug. Kurz nach 19 Uhr ging es los. Auf halber Strecke wurde es brenzlig. Die beiden wurden von einer Zugstreife der Kriminalpolizei kontrolliert. „Bis zu diesem Zeitpunkt, etwa 20 Uhr, war die Fahndung offenbar noch nicht bis zur Zugstreife durchgedrungen“, schreibt Welkerling. Die Beamten schöpften keinen Verdacht. In Berlin angekommen, brachte Marks Lindemann zu einem guten Bekannten. Marks suchte indes noch den Leiter der Industriekommission in Ungarn und der Slowakei auf, um mit ihm die spätere Unterbringung Lindemanns in der Slowakei zu regeln. Am 27. Juli fuhr Marks nach Dresden zurück. Nach dem Verrat von Schäffner spürte die Gestapo Fritz Lindemann am 3. September auf. Der General wollte sich durch den Sturz aus dem Fenster der Festnahme entziehen. Das misslang. Er wurde angeschossen und am Oberschenkel und am Bauch verletzt. Am 22. September 1944 erlag er in einem Krankenhaus seinen Verletzungen. Marks wurde indes am 1. Dezember 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde am 23. April 1945, kurz vor Kriegsende, vollstreckt. Danach wurde der Unternehmer in einem Bombentrichter auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte bestattet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Fall neu aufgerollt. Ernst Schäffner wurde gefasst. Er musste sich 1947 vor dem Dresdner Schwurgericht wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit verantworten. Die Staatsanwaltschaft hatte die Todesstrafe beantragt. Doch das Gericht folgte dem Antrag nicht, sondern dem der Verteidigung. Es erkannte strafmildernd an, dass Marks geschwätzig war und den Angeklagten in Gefahr gebracht habe. Schäffner wurde zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Später wurde der Fall neu verhandelt, das Urteil in lebenslange Haft abgeändert. Im April 1956 wurde Schäffner auf Grundlage eines Ministerratsbeschlusses entlassen und ging in den Westen.

Literatur: Bengt von zur Mühlen (Hrsg.): Sie gaben ihr Leben – Unbekannte Opfer des 20. Juli 1944. General Fritz Lindemann und seine Fluchthelfer. Kleinmachnow. 1995. Der Autor dankt Wolfgang Barsch, Geising, für die Unterstützung bei der Recherche.