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Der vergessene Friedhof

Nahe der Offiziersschule wurden Menschen nebeneinander begraben, die sich im Leben nie hätten treffen wollen.

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© René Meinig

Von Kay Haufe

Dresden. Nordfriedhof? Auf der Stauffenbergallee kann kein Passant den Weg dahin beschreiben. Die meisten haben den Namen noch nie gehört. Der zweitkleinste städtische Friedhof, 1901 eröffnet, führt ein stilles Dasein. Selten finden Besucher den Weg auf das Areal am Kannenhenkelweg, mitten in der Heide gelegen. Dabei sind genau dort Zeitreisen in die Dresdner Geschichte möglich wie auf kaum einer anderen Begräbnisstätte.

„Hier sind Menschen nebeneinander beerdigt, deren Leben unterschiedlicher nicht hätte sein können“, sagt Holger Hase, der Vereinsvorsitzende von DenkMalFort. Neben den Gräbern von hohen Militärs, wie den beiden sächsischen Kriegsministern und Generälen Paul Edler von der Planitz (1837–1902) sowie Adolph von Carlowitz (1858–1928), finden sich hier auch die Ruhestätten gefallener deutscher Soldaten der beiden Weltkriege. Wer den Weg über den zweimal erweiterten Friedhof bis zum jüngsten Teil geht, steht dort plötzlich vor Sammelgräbern von polnischen, russischen und tschechischen Kriegsgefangenen sowie denen deutscher Wehrdienstverweigerer, die hingerichtet wurden oder sich selbst das Leben nahmen. Gleich nebenan sind die sterblichen Überreste von SS-Angehörigen ungarischer Herkunft bestattet, die in Dresden stationiert waren und im Bombenhagel umkamen. „Und erstaunlicherweise fanden hier auch sowjetische Staatsangehörige ihre letzte Ruhe, obwohl der sowjetische Garnisonfriedhof keine 200 Meter entfernt ist“, sagt Holger Hase. „Aber Kriegsgefangene passten wohl nicht in das Heldenbild der Roten Armee.“

Hase hat mit seinem Verein schnell das Potenzial des Friedhofes erkannt. Vor den Grabsteinen wird Geschichte geradezu greifbar und lässt sich gut vermitteln, genau das Ziel von DenkMalFort. „Friedhöfe als begehbare Geschichtsbücher der Stadt für nächste Generationen bewahren und über die Gräber zu Krieg und Gewaltherrschaft informieren“, heißt es auf der Webseite des Vereins. Doch damit der Nordfriedhof seine Geheimnisse preisgibt, braucht es Menschen, die ihr Wissen anderen weitergeben. Das übernehmen die Mitstreiter von DenkMalFort gern. Und hoffen, dass sie noch weitere Interessierte finden, die etwas über diese Jahre der Stadt erfahren wollen, sagt Heike Richter, die Geschäftsführerin des Vereins. Regelmäßig bieten die Vereinsmitglieder Führungen über den Friedhof an. Für Vorträge aber fehlt ihnen ein geeigneter Raum.

Zwar hat die Stadt die denkmalgeschützte Kapelle 2012 kurz vor dem Einsturz bewahrt und sie äußerlich instandsetzen lassen. Immerhin 218 000 Euro wurden dafür investiert. Doch im Innern sind weder Stromanschlüsse noch Heizung montiert. „Wir würden hier gern weitere Veranstaltungen anbieten, doch das ist derzeit nur im Sommer möglich“, sagt Holger Hase. Beim fehlenden Nutzungskonzept greift der Verein der Stadt nun unter die Arme. Im Frühjahr begannen die Arbeiten am kultur- und architekturbezogenen Konzept, mit dem die Feierhalle künftig ein Ort der Information und Kommunikation werden soll. Neben dem Städtischen Friedhofs- und Bestattungswesen sind auch die Ämter für Stadtgrün und Kultur und Denkmalschutz sowie das Architekturbüro Ruari O‘ Brien beteiligt. Bis zum Jahresende soll die Konzeption stehen, sagt zumindest die Stadtverwaltung.

Doch auch dann gibt es noch ein weiteres Problem. „Den Friedhof kennt kein Mensch, nicht mal in Dresden“, sagt Hase. Und das, obwohl er durchaus noch genutzt wird. 73 Menschen wurden hier in den vergangenen zehn Jahren beerdigt. Allerdings sucht man vergebens ein Hinweisschild an der Stauffenbergallee, für eine Buslinie zum Kannenhenkelweg gab es nie genügend Nachfrage. „Wir möchten diesen Ort bekannter machen, weil er es verdient hat, dass nicht nur am Jahrestag des Attentats auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 Besucher kommen“, sagt Holger Hase. Dafür aber braucht es mehr Hinweistafeln, damit der Weg besser zu finden ist. Die Stadt tut sich schwer damit, verweist auf eine Anfrage bei den Verkehrsbetrieben. Dort könnte vielleicht der Zusatz Nordfriedhof bei der Haltestellendurchsage Marienallee erfolgen. Doch ob das kommt, ist fraglich.

Der Verein setzt indes weiter auf „lebhaften Meinungsaustausch über die Vergangenheit unserer Stadt“. Die nächsten Veranstaltungen und Führungen stehen schon fest.

Führung über den Nordfriedhof zum Tag des Friedhofes am 17. September um 14 Uhr „Vom Stolz der sächsischen Armee zum Sorgenkind der Stadtverwaltung“. Dabei geht es nicht ausschließlich um Historisches, sondern auch um Zukunftspläne wie die weitere Nutzung der Feierhalle.