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Der Vater des neuen Russlands

Boris Jelzin verteidigte beim Putsch 1991 die Demokratie. Später gefährdete er sie. Ein Rückblick zum 10. Todestag.

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© dpa

Friedemann Kohler, Moskau

An Boris Jelzin scheiden sich in Russland die Geister. Der Sibirier, der nach dem Zerfall der Sowjetunion Ende 1991 als erster Präsident Russlands regierte, starb vor zehn Jahren – am 23. April 2007. Für viele Russen ist Jelzin ein Totengräber der Sowjetmacht, schuld am wirtschaftlichen und politischen Chaos der 1990er-Jahre in ihrem Land. Anderen gilt er als der Kremlchef, der Russland die freiheitlichsten Jahre seiner Geschichte verschafft hat. „Eine Diktatur Jelzins gab es nicht und wird es nicht geben, und andere Diktaturen lasse ich nicht zu“, sagte er 1996 über sich. Fünf Stationen auf Jelzins außergewöhnlichem Weg:

Ein Konkurrent für Michail Gorbatschow

Jelzin, geboren 1931, machte Karriere als Parteichef seiner Heimatregion Swerdlowsk (Jekaterinburg) in Sibirien. Als Michail Gorbatschow 1985 Generalsekretär wurde, wechselte Jelzin nach Moskau. Glasnost (Transparenz) und Perestroika (Umgestaltung) waren die Schlagworte für Gorbatschows Reformen. Er musste nicht nur mit Partei-Konservativen kämpfen, sondern auch mit denen, die wie Jelzin schneller voran wollten. In der Konkurrenz mit Gorbatschow brach der ehrgeizige Jelzin mit der Kommunistischen Partei. 1991 ließ er sich zu Russlands Präsidenten wählen.

Der Mann auf dem Panzer

Im August 1991 putschten die Konservativen in Partei, Militär und Geheimdienst gegen Gorbatschow, sie setzten ihn auf der Krim fest. Doch die Machtübernahme scheiterte an Jelzin. Hunderttausende strömten in Moskau zusammen. Vor dem Weißen Haus, damals Sitz der sowjetischen Regierung, stand Jelzin mutig auf einem Panzer und rief zum Widerstand auf. Der Putsch brach zusammen. Doch der Zerfall der Sowjetunion in ihre einzelnen Republiken ließ sich nicht mehr stoppen. Ende 1991 musste Gorbatschow seinen Schreibtisch im Kreml für Jelzin räumen.

Die Schüsse auf das Weiße Haus in Moskau

Knapp zwei Jahre später, im Oktober 1993, ließ Jelzin selber das Weiße Haus, nun Sitz des Obersten Sowjets, beschießen. Der Machtkampf zwischen Präsident und Parlament kostete 123 Menschen das Leben, mehr als 380 wurden verletzt. Zu den Schattenseiten von Jelzins Herrschaft zählt auch der Krieg in Tschetschenien, der 1994 begonnen hatte. Aber er schloss auch Frieden mit der Teilrepublik im Nordkaukasus. Durch die Privatisierung fiel das Staatsvermögen in die Hände weniger Neureicher, das Volk verarmte. Nur mit Geld der Oligarchen sicherte Jelzin sich 1996 die Wiederwahl. Der Kremlchef regierte chaotisch, fiel oft wegen Krankheit aus.

Freundschaft mit Bundeskanzler Helmut Kohl

Der Bundeskanzler war eigentlich mit Gorbatschow befreundet gewesen, mit dem er die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 ausgehandelt hatte. Doch auch zwischen Kohl und Jelzin wuchs eine Freundschaft. Im August 1994 verabschiedeten die Staatsmänner die letzten russischen Truppen, die nach einem halben Jahrhundert Ostdeutschland verließen. Jelzin dirigierte in dem emotionalen Augenblick sogar das Berliner Polizeiorchester. Die Jelzin-Jahre brachten die größte Annäherung Russlands an den Westen. 1998 wurde aus der Siebenergruppe von Industriestaaten mit Russland die G8. Auch mit US-Präsident Bill Clinton war Jelzin befreundet.

Der unerwartete Rückzug aus der Politik

„Ich gehe, ich gehe vorzeitig“, verkündete Jelzin zu Silvester 1999 überraschend dem russischen Fernsehpublikum. Die Macht überließ er dem bis dahin weitgehend unbekannten Ministerpräsidenten Wladimir Putin. „Bewahren Sie Russland!“, gab Jelzin dem früheren Geheimdienstler mit auf den Weg. Putin brachte die abtrünnige Republik Tschetschenien wieder unter Kontrolle und wurde im März 2000 zum Präsidenten gewählt. Auf dem Altenteil hielt sich Jelzin politisch zurück. Nur manchmal ließ er durchblicken, dass ihm der Kurs seines Nachfolgers Putin nicht passte. Der erste russische Präsident habe viele Fehler gemacht, schreibt die Geschichts-Webseite Russkaja Semjorka. „Doch sein Hauptstreben war, einen starken, freien Staat zu schaffen.“ (dpa)