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Der unzumutbare Bahnhof

Die Arnsdorfer Station ist nicht behindertengerecht und bringt viele Bürger an ihre Grenzen. Das soll sich endlich ändern.

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© Thorsten Eckert

Von Nadine Steinmann

Arnsdorf. Auf den ersten Blick sieht es wie eine romantische Geste aus: Christian trägt seine Freundin Marisa, mit der er seit einem Monat zusammen ist, die Treppen am Arnsdorfer Bahnhof hoch. Lässig hält er die 20-Jährige in seinen Armen, setzt sie erst am Ende der Treppenstufen wieder ab. Dass die jungen Leute tatsächlich frischverliebt sind, merkt man im Gespräch mit den Beiden. Die ganze Zeit umarmt er sie liebevoll, gibt ihr gelegentlich einen Kuss auf die Wange. Doch die romantische Geste des Tragens entkräftigt Marisa mit finsterem Blick. Denn die junge Frau ist drauf angewiesen, dass ihr Freund sie trägt. Sie leidet an Mukoviszidose – eine bisher unheilbare Krankheit, die besonders Organe wie Herz, Leber und Lunge angreift. Bei Marisa ist es vor allem die Lunge. Ihre Leistungsfähigkeit liegt bei gerade mal 21 Prozent. Dementsprechend ist jedes Treppensteigen oder längeres Laufen für Marisa anstrengend. Arbeiten ist gar nicht möglich. Ihr Leben besteht aus Arztbesuchen. Und diese führen die junge Frau regelmäßig nach Dresden. Um dorthin zu gelangen, nutzt sie den Zug von Arnsdorf in die Landeshauptstadt. Kein Problem – zumindest beim Hinweg. Doch sobald Marisa wieder auf dem Bahnhof in Arnsdorf eintrifft, beginnt für sie der schwerste Teil des Tages und dreht sich um folgende Frage: Wie schafft sie es auf die andere Seite des Bahnsteiges? Denn der Arnsdorfer Bahnhof ist nicht behindertengerecht ausgebaut. Es gibt keinen Fahrstuhl und auch keine Rampe. Sprich: Jeder, der von Dresden kommend in Arnsdorf aussteigt, muss die Unterführung nutzen. Und somit Dutzende Treppenstufen. „Manchmal gehe ich einfach über die Schienen“, berichtet die 20-Jährige. Eine gefährliche Aktion, aber Marisa spart dadurch Kraft. Wenn sie dennoch die Treppen nimmt, plant sie viel Zeit ein. Zeit für Pausen. Und wenn sie Glück hat, kommt ihr Freund sie abholen, um sie zu tragen. Doch natürlich kann der junge Mann nicht immer vor Ort sein.

Auch für Fahrradfahrer ist die Unterführung unangenehm. Vivien Karrasch aus Fischbach schleppt ihr Fahrrad auf der Schulter die zahlreichen Treppen hinauf.
Auch für Fahrradfahrer ist die Unterführung unangenehm. Vivien Karrasch aus Fischbach schleppt ihr Fahrrad auf der Schulter die zahlreichen Treppen hinauf. © Thorsten Eckert

Klar, Marisa ist ein heftiges Beispiel. Aber nur eines von vielen. Denn in unmittelbarer Nähe des Bahnhofes ist auch das Sächsische Krankenhaus zu finden. Insbesondere für Patienten mit Rollstuhl ist der Arnsdorfer Bahnhof ebenfalls immer eine Herausforderung. Oftmals steigen die Betroffenen bereits in Radeberg aus und nehmen sich von dort aus einen Fahrdienst nach Arnsdorf, wenn sie einen Termin in dem Klinikareal haben.

Doch auch bei den Patienten des Krankenhauses hört die Liste der Betroffenen nicht auf: Was ist mit Müttern mit Kinderwagen? Oder Fahrradfahrern? Die Bauweise des Arnsdorfer Bahnhofes ist für viele Menschen eine Unzumutbarkeit. Und genau deswegen soll sich endlich etwas ändern. Die Arnsdorferin Marianne Kallabinsky hat aus diesem Grund in dieser Woche eine Informationsveranstaltung direkt am Bahnhof durchgeführt. Mit dabei waren Bürgermeisterin Martina Angermann, der Gemeinderat Sven Scheidemantel sowie der SPD-Bundestagskandidat Richard Kaniewski, der sich insbesondere für mehr Mobilität einsetzen möchte. „Es kann nicht sein, dass in der Landeshauptstadt alles behindertengerecht ausgebaut und in den ländlichen Regionen dies vernachlässigt wird“, so der Dresdner SPD-Chef. Mit seinem Besuch in Arnsdorf möchte er auf solche Missstände aufmerksam machen. Geplant sei es in diesem konkreten Fall, Druck auf die zuständigen Ministerien auszuüben, damit diese sich mit den Vertretern der Deutschen Bahn an einen Tisch setzen. „Vor allem, weil gerade das Krankenhaus auch eine Landeseinrichtung ist“, so Kaniewski.

Die Deutsche Bahn hatte bisher immer darauf verwiesen, dass der behindertengerechte Ausbau des Bahnhofs baulich nicht möglich sei. Doch gerade für Menschen wie Marisa würde ein Ausbau ihr Leben deutlich vereinfachen.